EU-Agrarreform: Die verpasste Chance

Dünger
Überdüngung gilt als eine Ursache für das Artensterben. Doch auch diese Maßnahme wird von der EU gefördert. (Quelle: Amazone GmbH & Co. KG – CC BY-SA 3.0)

Die Umweltaktivistin Greta Thunberg schreibt auf Facebook, dass das EU-Parlament, das vor elf Monaten den Klimanotstand ausrief, nun die “ökologische Zerstörung” mit 400 Milliarden Euro vorantreibe.

Thunberg ist nur eine von vielen Stimmen, die die am vergangenen Freitag vom EU-Parlament beschlossene Agrarreform als vertane Chance bewerten. Trotz massiver Kritik von Politikern, Umweltschützern und Zivilgesellschaft haben sich die Parlamentarier dazu entschlossen, die Reform abzusegnen. Kritiker bemängeln unter anderem, dass nur 20 Prozent der Subventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in klimafreundliche Maßnahmen fließen – obwohl zuvor die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft als Hauptziel der Reform deklariert wurde.

Weiter sieht die Parlamentseinigung vor, dass die EU-Staaten selbst keine höheren Standards etwa beim Tier- und Umweltschutz setzen dürfen. So sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen garantiert werden. Die jährlichen Direktzahlungen , die in diesem Rahmen an Landwirte fließen und 60.000 Euro überschreiten, will das Parlament schrittweise kürzen und fordert zudem eine Obergrenze von 100.000 Euro für diese.

Eine verpasste Chance gegen den Klimanotstand

Thunberg kritisiert in ihrer öffentlichen Facebook-Nachricht, dass die Entscheidung des Parlaments durch den Druck von Lobby-Vertretern zustande gekommen sei. Doch auch Nachrichtenredakteure und Medienplattformen hätten “versäumt, ihren Job zu tun – die Bürger zu informieren über entscheidende Ereignisse, die sie betreffen”. In Bezug auf die Abstimmung schreibt Thunberg: “Dieser Tag hat erneut gezeigt, wie groß die Kluft zwischen der derzeitigen Politik und dem ist, wo wir uns befinden müssten, um im Einklang mit dem Pariser Abkommen zu stehen.”

Den verantwortlichen Politikern wirft Thunberg vor, dass sie bewiesen hätten, nicht zu wissen, was ein klimatischer oder ökologischer Notfall bedeutet. Alternativ vermutet sie: “Oder vielleicht hat diese Mehrheit beschlossen, dies nicht zu verstehen, sich dem Klimanotfall nicht zu stellen. Oder dem katastrophalen Verlust der biologischen Vielfalt. Das ist leider nichts Neues, das geht schon seit Jahrzehnten so. Leere Worte, leere Erklärungen, leere ‘Geschäfte’, leere Versprechen, gefolgt von Handlungen, die in eine völlig andere Richtung führen.”

Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Lasse van Aken kommentierte die Reform: “Angeführt von Julia Klöckner hat der Agrarministerrat die ohnehin schon schwache Vorlage der EU-Kommission bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Was übriggeblieben ist, wird keines der drängenden Probleme der Landwirtschaft lösen. Statt entschieden gegen Höfesterben, Artenverlust und Klimakrise vorzugehen, betreiben Klöckner und viele ihrer europäischen Kolleginnen und Kollegen klassische Klientelpolitik für Großbetriebe und Agrarwirtschaft zu Lasten bäuerlicher Familienbetriebe und der Umwelt.” Europas größte Chance, die Landwirtschaft fit für die Zukunft zu machen, habe das Europäische Parlament heute fahrlässig verspielt.

Die Abgeordneten seien vor der Agrarlobby eingeknickt. “Die EU-Agrarpolitik bekommt nur einen grünen Anstrich”, so van Aken weiter. “Dahinter werden in den kommenden sieben Jahren 390 Milliarden Euro Steuergelder auch künftig als Subventionen größtenteils blind verteilt.”

CDU und Agrarlobby zufrieden

Einzig die Mitglieder der federführenden CDU und des Bauernverbandes bewerteten die Reform positiv: Der Vorsitzende des Umweltausschusses des EU-Parlaments, Pascal Canfin, nannte das Reformpaket einen guten Kompromiss. “Das Europäische Parlament hat den Text erheblich verbessert.” Norbert Lins von der CDU sagte: “Die Position des Europaparlaments für eine Agrarreform ist zeitgemäß und innovativ.” Auch der Deutsche Bauernverband unterstützte die grundsätzliche Stoßrichtung.

WWF-Naturschutzvorstand Christoph Heinrich zeigte sich hingegen enttäuscht: “Damit droht dem ‘Green Deal’ der Kommission die Bankrotterklärung.” Bei der Entscheidung handele es sich um ein “Weiter so für Europas Landwirtschaft”.

“Natur und Klima sind große Verlierer der Abstimmung zur EU-Agrarpolitik”, warnte der Naturschutzbund Nabu. “Die Entscheidung aus Brüssel führt dazu, dass ein Großteil der Steuergelder weiterhin Natur und Klima schädigt.”

Unter dem Hashtag #VoteThisCAPdown (auf Deutsch etwa: “Lehnt diese GAP ab”) hatten auch Umweltaktivisten wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer dazu aufgerufen, gegen die Position zu stimmen.

Die SPD zog bei der Abstimmung nicht mit der CDU mit: Kurz vor der entscheidenden Abstimmung des Europaparlaments hatten die SPD-Abgeordneten angekündigt, den Vorschlag abzulehnen. Sie stimme für nichts, was sich nicht mit dem “Green Deal” oder dem Pariser Klimaabkommen vereinbaren lasse, erklärte die Vizepräsidentin des Parlamentes, Katarina Barley, am Donnerstag auf Twitter.

Wie sehr die Neuausrichtung der GAP umstritten war, zeigt sich auch an der Flut der Änderungsanträge, die im EU-Parlament zu den Vorschlägen der EU-Kommission eingebracht worden waren: Es waren mehr als 2000.

Landwirtschaft verursacht Artensterben

Laut des vom WWF in Auftrag gegebenen “Living Planet Report 2020” sind 70 Prozent der Verluste an biologischer Vielfalt auf die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln zurückzuführen. Landwirtschaft und Nahrungsmittelerzeugung sind demnach für 27 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Hinzu kommen starke Pestizidbelastungen sowie die Verschmutzung des Grundwassers und der Böden durch Überdüngung. Diese Art der Landwirtschaft fördert die EU durch Flächendirektzahlungen.

Die Agrar-Subventionen sind der größte Posten im EU-Budget. Für die kommenden sieben Jahre haben die EU-Staaten rund 387 Milliarden Euro vorgesehen. Die EU-Kommission hatte 2018 eine Reform für die Jahre 2021 bis 2027 vorgeschlagen. Weil bis 2021 und 2022 bereits eine Übergangsphase gilt, wird sich erst ab 2023 etwas ändern. Um finanzielle Förderung zu erhalten, müssen Landwirtschaftsbetriebe ihre Flächen lediglich in einem “guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand” erhalten und “Grundanforderungen an die Betriebsführung” erfüllen. (dpa / hcz)