Experten fordern mehr Vorsicht bei Kinderbildern im Internet
Berlin (dpa/Posteo) – Das erste Lachen – klick! Die ersten Schritte – klick! Das erste große Geschäft auf dem Töpfchen – klick! Die ersten Jahre vieler Kinder sind heute nahezu lückenlos dokumentiert. Stolze Eltern halten so viele Momente wie möglich fest – und teilen sie auf Whatsapp mit der Familie oder auf Instagram gleich mit der ganzen Welt.
Wie die Kinder das irgendwann mal finden, diese Frage stellen sich aus Sicht von Experten viel zu wenige Eltern.
“Das Thema gibt es nun schon seit Jahren, und ganz ehrlich hat sich fast nichts geändert”, sagt der renommierte Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger vom Institut für Polizeiwissenschaft der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg.
Mehr als 90 Prozent aller Zweijährigen seien laut einer US-Studie heute schon im Netz präsent. Wer auf Instagram nach dem Hashtag #Instakids sucht, kommt auf fast 20 Millionen Treffer. Darunter sind nicht nur erschreckend freizügige Bilder von Kindern, sondern auch solche, die dem Nachwuchs, würde man ihn fragen, womöglich peinlich wären.
Die Pädagogik-Professorin Nadia Kutscher von der Universität zu Köln, die gemeinsam mit dem Deutschen Kinderhilfswerk eine Studie zur Mediennutzung in Familien erstellt hat, fand heraus, dass die Persönlichkeitsrechte von Kindern oft verletzt werden – von ihren eigenen Eltern. “Kinder selbst haben oftmals genaue Vorstellungen davon, wer welche Bilder von ihnen sehen darf. Sie möchten auch an den Entscheidungen beteiligt werden. Aber die Eltern fragen sie in der Regel gar nicht.”
Cyberkriminologe rät vom Posten von Kinderbildern ab
Dabei könnten viele Eltern gar nicht überblicken, was die Präsenz ihrer Kinder im Netz bedeutet, sagt der Cyberkriminologe Rüdiger. “Wir wissen ja noch nicht, welche biometrischen Daten später mal aus Fotos herausgelesen werden können.” Die größte Gefahr sei aber weiterhin, dass Kriminelle wie Sexualtäter oder auch Stalker die geteilten Informationen über die Kinder nutzen. Es gebe beispielsweise Seiten, die vollautomatisch Bilder von Instagram-Accounts kopieren und im Netz anbieten, sagt Rüdiger. “Und dazu kommt noch, dass Kindern durch die Eltern eine Art feste digitale Identität gegeben wird, bevor diese selbst die Möglichkeit haben sich auch im Netz zu definieren.”
Auch Fotos als Whatsapp-Status oder Profilbild einzustellen, hält der Kriminologe für unklug. “Sie laufen ja auch nicht durch die Stadt und drücken Menschen, die Sie nur flüchtig kennen, Polaroid-Bilder von ihrem Kind in die Hand.” Normalerweise sei es Aufgabe der Eltern, die Risiken für ihre Kinder zu minimieren. “Im Netz erhöhen Eltern die Risiken sogar noch, vor allem durch Kinderbilder.”
Rüdiger hält es darum für wichtig, Netzwerke wie Instagram und Facebook in die Pflicht zu nehmen. “Auf der einen Seite ist es möglich, mit Filter-Einstellungen nackte Brüste zu finden und zu löschen. Gleichzeitig gibt es aber Tausende auch von problematischen Bildern von Kindern und Kommentaren sexueller Natur zu diesen Bildern.” Solange das Netz kein kindersicherer Ort sei, hätten “unvorbereitete Kinder dort nichts verloren”.
Auch die Bloggerin Toyah Diebel ist davon überzeugt, dass Kinderfotos nichts im Netz zu suchen haben. Sie setzt sich mit dem Foto-Projekt #DeinKindAuchNicht gegen das Posten solcher Bilder ein. Für ihre Kampagne liess sie sich selbst und den Schauspieler Wilson Gonzalez Ochsenknecht in drastischen Posen fotografieren: Der Mund mit Brei verschmiert, mit wütendem Gesicht auf dem Töpfchen sitzend – Szenen, die von manchen Eltern ins Netz gestellt werden. Diebel warnt auf der Kampagnen-Website:
“Auch für das spätere Leben des Kindes können veröffentlichte Fotos im Netz negative Konsequenzen haben. Möchte man, dass Mitschüler, Arbeitskollegen oder auch einfach nur irgendjemand später uneingeschränkten Zugriff auf diese Fotos hat?”
Kinderhilfswerk: Kinder sollten im Netz sichtbar sein
“Kinder sind Teil unserer Gesellschaft” und sollten darum auch im Netz sichtbar sein, sagt hingegen Sophie Pohle von der Koordinierungsstelle Kinderrechte des Deutschen Kinderhilfswerkes. Die wichtigste Frage drehe sich nicht darum, ob Kinderfotos im Netz überhaupt gepostet werden dürfen oder nicht, “sondern in welcher Art und Weise das geschieht.”
Im Rahmen der Initiative Erstdenkendannposten gibt das Hilfswerk Tipps und empfiehlt beispielsweise: "Posten Sie niemals den vollständigen Namen des Kindes im Zusammenhang mit einem Foto. Das verringert die Möglichkeit der Auffindbarkeit des Fotos über Suchmaschinen. Vermeiden Sie möglichst auch Fotos, die Rückschlüsse auf Orte erlauben, wie z.B. den Kindergarten, die Schule oder sogar das Wohnhaus. Dementsprechend sparsam sollte mit solchen sensiblen Daten und Informationen bei der Kommentierung oder Verlinkung von Fotos umgegangen werden. "
Kinder in Urlaubsposts nur undeutlich zeigen
Die Initiative “Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht.” empfiehlt denjenigen Eltern, die nicht auf das Posten von Familienfotos verzichten möchten, den Nachwuchs nur undeutlich zu zeigen oder den Zugang zu beschränken. Damit die Kinder nicht direkt erkennbar sind, sollten sie beispielsweise nur im Anschnitt oder mit Sonnenbrille zu sehen sein. Die vom Bundesfamilienministerium, ARD und ZDF sowie der Zeitschrift TV-Spielfilm ins Leben gerufene Initiative bietet online einen Fotoguide mit dem Titel „Posten oder nicht“ an, der Eltern bei der Entscheidung für oder gegen das Posten eines Fotos unterstützt.
Kinder haben ein Recht am eigenen Bild
Das Recht am eigenen Bild gehört zum Persönlichkeitsrecht und steht jedem Menschen zu: unabhängig von seinem Alter. Fotos von Kindern dürfen beispielsweise niemals ohne Einwillung eines Erziehungsberechtigten veröffentlicht oder verbreitet werden.
Zur Frage, wann Kinder und wann Erziehungsberechtigte entscheiden, stellt die “Internet-Beschwerdestelle” klar:
“In bestimmten Fällen können Erziehungsberechtigte die Zustimmung zur Veröffentlichung von Fotos ihrer Kinder geben. Dies hängt vom Alter und der Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen ab. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch entscheiden die Erziehungsberechtigten bis zu einem Alter des Kindes von 7 Jahren alleine. Zwischen 7 und 17 Jahren entscheiden Erziehungsberechtigte und Kind generell gemeinsam – außer das Kind besitzt bereits die notwendige Einsichtsfähigkeit, wovon in der Regel ab dem 14. Lebensjahr ausgegangen werden kann.”
Die Internet-Beschwerdestelle ist ein gemeinsames Projekt des eco – Verbandes der Internetwirtschaft e. V. und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM).
Beide Partner betreiben seit mehr als 15 Jahren Hotlines, bei denen Beschwerden über illegale und schädigende Internetinhalte entgegengenommen werden.