Gericht verurteilt Bundesregierung zur Nachbesserung des Luftreinhalteprogramms

Verkehr
Laut der DUH hat die Regierung viele der in die Prognosen einberechneten Maßnahmen abgesagt oder abgeschwächt. (Quelle: IMAGO / Jochen Tack)

Die bisherigen Pläne der Bundesregierung, gegen gesundheitsgefährdende Schadstoffe in der Luft vorzugehen, reichen nicht aus. Das hat Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg am Dienstag entschieden. Das OVG verurteilte die Regierung dazu, das Nationale Luftreinhalteprogramm (NLRP) anzupassen, um die europäischen Ziele für die Reduzierung von Luftschadstoffen zu erreichen.

“Der Senat geht davon aus, dass die dem Luftreinhalteprogramm zu Grunde liegende Prognose fehlerhaft ist, weil teilweise nicht die aktuellsten Daten eingestellt und Veränderungen in der Planung der Maßnahmen nicht berücksichtigt wurden”, teilte das Gericht am Dienstag mit. Damit gab das OVG der Deutschen Umwelthilfe (DUH) teilweise Recht, die ihre Klage bereits im Mai 2020 eingereicht und angezweifelt hatte, dass die Regierungspläne ausreichen, um EU-Vorgaben zu erfüllen.

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, sagte anlässlich des Urteils: “Heute ist ein besonders guter Tag für die Saubere Luft in Deutschland.” Er sprach von einem wegweisenden Urteil und zehntausenden Todesfällen, die nun durch zusätzliche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz verhindert werden könnten. “Das Gericht hat heute der Verschleppungstaktik der Bundesregierung einen Riegel vorgeschoben”, so Resch weiter.

In dem 2019 beschlossenen Nationalen Luftreinhalteprogramm sind zahlreiche Maßnahmen festgehalten, damit Deutschland die europäischen Vorgaben aus der europäischen NEC-Richtlinie (National Emissions reductions Commitments) einhält. Die 2016 eingeführte Richtlinie regelt nationale Emissionshöchstmengen und macht Reduktionsvorgaben für Emissionen von fünf Luftschadstoffen. Es geht dabei um Stoffe wie Ammoniak, Feinstaub, Schwefeldioxid und Stickstoffoxid, deren Konzentration in der Luft bis zum Jahr 2030 reduziert werden soll. Die NEC-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten außerdem dazu, ihre Luftreinhalteprogramme alle vier Jahre zu aktualisieren, jährlich Emissionsberichte zu veröffentlichen und alle zwei Jahre Emissionsinventare zu erstellen. Das deutsche Luftreinhalteprogramm wurde 2024 aktualisiert.

Veraltete Annahmen

In seinem Urteil stellte das Gericht fest, dass das Luftreinhalteprogramm auf veralteten Daten beruht. Unterschiedliche Berichte und Entwicklungen seien nicht berücksichtigt und das Programm nicht entsprechend angepasst worden.

So seien zwar die Erkenntnisse des Klimaschutz-Projektionsberichts 2021 eingeflossen, aber nicht die des Klimaschutz-Projektionsberichts 2023. Im Programm ist auch festgehalten, dass 65 Prozent der neu eingebauten Heizungen auf erneuerbaren Energien basieren sollen. Bei dieser Maßnahme sei aber nicht die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes berücksichtigt worden. Sie erlaubt unter anderem den Betrieb von Holzpelletheizungen, was zu einer stärkeren Luftverschmutzung durch Feinstaub führt als von der Regierung einberechnet. “Im Zusammenhang damit stehende Änderungen bei der Bundesförderung für effiziente Gebäude blieben gleichfalls unberücksichtigt”, monierte das Gericht.

Prognosefehler gebe es auch bei dem – ursprünglich geplanten – Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030. Die Maßnahme basiere noch auf der Annahme, dass bis Ende 2029 alle Kohlekraftwerke vom Netz gingen und die Schadstoffbelastung entsprechend zurückgehen werde. Deutschland will nun bis spätestens 2038 – möglichst aber schon 2035 – aus der Kohleverstromung aussteigen.

Im Verkehrsbereich sei die im Mai 2024 in Kraft getretene Abgasnorm Euro-7 nicht berücksichtigt worden. Die Planung der Bundesregierung ginge ursprünglich von strengeren Grenzwerten für PKW aus, als sie in der Abgasnorm schlussendlich festgelegt wurden. “[…] die Abgasnorm Euro 7 sieht entgegen der Planung keine Verschärfungen für Pkw vor, was zu erheblich mehr Schadstoffen, insbesondere des Dieselabgasgifts Stickstoffdioxid führt”, kommentierte die DUH diesen Punkt.

“Zudem wurde die dem Maßnahmenpaket zur Förderung der Elektromobilität zu Grunde gelegte staatliche Förderung für den Kauf von Elektro-PKW zwischenzeitlich gestoppt”, erklärte das OVG. Die Kaufprämie für Elektrofahrzeuge war zum Jahresende 2023 gestrichen worden.

Todesfälle durch schlechte Luftqualität

Schadstoffe in der Luft stellen eine große Gefahr für die Gesundheit dar und können zu frühzeitigen Todesfällen und Erkrankungen wie Asthma oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Nach aktuellen Schätzungen der Europäischen Umweltagentur (EUA) sind im Jahr 2020 mindestens 238.000 Menschen vorzeitig gestorben, weil sie einer hohen Konzentration von Feinstaubpartikeln ausgesetzt waren. Die Belastung durch Stickstoffdioxid führte demnach zu 49.000 und erhöhte Ozonwerte zu 24.000 vorzeitigen Todesfällen.

In Deutschland sterben laut DUH jährlich rund 28.000 Menschen vorzeitig aufgrund von Stickstoffdioxid und 68.000 Menschen aufgrund von Feinstaubpartikeln. Feinstaub entsteht etwa durch Emissionen aus Kraftfahrzeugen und Kohlekraftwerken.

“Es ist an der Zeit, dass die Regierung endlich ausreichende Schritte unternimmt, um die Gesundheit von Einwohnerinnen und Einwohnern zu schützen und das öffentliche Gesundheitssystem vor diesen völlig vermeidbaren Kosten zu bewahren”, mahnte Emma Bud, Anwältin der Umweltrechtsorganisation ClientEarth, die die Klage unterstützt hatte.

Die Klage der DUH war nur in Teilen erfolgreich: Die Organisation hatte auch versucht, einen festen, “linearen Reduktionspfad” für die jährliche Reduzierung von Schadstoffen zwischen 2025 und 2029 festschreiben zu lassen – bis 2030 Reduktionsverpflichtungen in Kraft treten. Das Gericht stimmte dem aber nicht zu.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung ließ das Gericht eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu. Das Bundesumweltministerium kündigte an, das Urteil zu prüfen, sobald es schriftlich vorliegt. (Mit Material der dpa / hcz)