Greenpeace: Autohersteller rechnen CO2-Ausstoß schön
Für das Jahr 2020 verkündeten die Autohersteller Daimler und BMW das Erreichen ihrer CO2-Flottenziele nach EU-Verordnung – diese geben vor, wie viel CO2 verkaufte Neuwagen im Schnitt pro Kilometer ausstoßen dürfen. Volkswagen verfehlte seinen Zielwert, verkündete aber optimistisch, es hätten nur 0,8 Gramm beim Durchschnittswert gefehlt. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace widerspricht nun der Darstellung der deutschen Konzerne und zeigt in einer Studie auf, wie die Werte schöngerechnet werden.
Die EU hatte im Jahr 2008 für jeden Hersteller individuelle CO2-Mengen festgelegt – bei der Berechnung wird beispielsweise das Gewicht der Flottenmodelle berücksichtigt. Hersteller- und modellübergreifend liegt der vorgeschriebene Durchschnittswert seit 2020 bei 95 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer. Laut der Greenpeace-Studie “Das Märchen vom Klimafortschritt” entpuppt sich dieser aber als “reiner Papier-Wert”. Schlupflöcher in der Gesetzgebung und die Regeln für die Prüfstandsmessung würden es den Konzernen ermöglichen, zu hohe Einsparungen anzugeben.
Mit den realen CO2-Emissionen von Neuwagen hätten die verkündeten Werte nichts zu tun. Der CO2-Ausstoß aktueller Neuwagen sei eigentlich nicht nennenswert unter das Niveau von Wagen aus den 2000er-Jahren gesunken – nur um durchschnittlich 1 Prozent pro Jahr. Tatsächlich sei er bei Modellen von Daimler in den vergangenen 14 Jahren nur um 9 Prozent gesunken, bei Volkswagen um 15 Prozent und bei BMW um 18 Prozent.
Allein die von VW 2020 EU-weit verkauften Neuwagen stoßen laut Greenpeace 45 Millionen Tonnen CO2 mehr aus, als angegeben. Multipliziert man diesen Wert mit den vom Umweltbundesamt kalkulierten Folgekosten einer Tonne CO2 von 180 Euro, verursachen alleine VW-Neuwagen Schäden von insgesamt 8,1 Milliarden Euro.
“Rechentricks zählen in der deutschen Autobranche beim Klimaschutz bislang mehr als Ingenieurskunst. VW, Daimler und BMW simulieren Klimaschutz auf dem Papier, während ihre Autos heute fast so schmutzig sind wie vor 14 Jahren”, sagt Greenpeace Verkehrsexperte Benjamin Stephan. “Die Autoindustrie braucht dringend eine Antwort auf die Klimakrise, statt zu vertuschen, dass sie weiter ein großer Teil des Problems ist.”
Supercredits
Ein Beispiel für die “Rechentricks” seien die sogenannten Supercredits: Besonders effiziente Fahrzeuge mit einem Ausstoß von weniger als 50 Gramm pro Kilometer wie Elektroautos und Plug-in-Hybride dürfen die Hersteller mehrfach in ihre Statistik einrechnen. Das drückt den Gesamtausstoß der Flotten – und gleicht besonders schmutzige Modelle aus. Für das Jahr 2020 zählen die Fahrzeuge doppelt, 2021 mit einem Faktor von 1,67 und 2022 mit 1,33.
Organisationen wie WWF, Greenpeace und Bund Naturschutz bezeichneten diesen Trick bereits 2013, als die Regelung beschlossen wurde in einem offenen Brief an die Kanzlerin als Geschenk an die Autoindustrie: “Diese sogenannten Supercredits erzeugen lediglich auf dem Papier eine sauberere Flotte, real wird der CO2-Ausstoß jedoch nicht reduziert.”
Mithilfe der Supercredits können laut Greenpeace alle drei deutschen Hersteller jeweils 7,5 Gramm CO2 von ihrem Flottenausstoß in den Jahre 2020 bis 2022 abziehen.
Phase-in
Ein weiterer Rechentrick sei das sogenannte Phase-in, für das sich die Bundesregierung laut Greenpeace in der EU eingesetzt hatte. Es erlaube den Herstellern, für das Jahr 2020 die am stärksten emittierenden fünf Prozent der eigenen Flotte bei der Berechnung des Durchschnittswertes außen vor zu lassen. Aus der Rechnung fallen also zahlreiche Sportwagen, schwere SUV und Oberklasse-Limousinen. Für 2021 ist diese Sonderregel nicht mehr vorgesehen.
Das drückte den errechneten CO2-Ausstoß für das Jahr 2020 bei Volkswagen um 4 Gramm, bei BMW um 5 Gramm und bei Daimler um 6 Gramm. So konnte beispielsweise die Sportmarke BMW M laut Greenpeace 2020 einen Absatzrekord feiern, ohne dass die ineffizienten Fahrzeuge die CO2-Bilanz des Konzerns belastet hätten.
Gewichtsfaktor
Der sogenannte Gewichtsfaktor sorge zudem dafür, dass sich der individuelle Grenzwert der Hersteller durch schwerere Autos erhöht. Laut Greenpeace war dieser Regelung “massives Lobbying” vorausgegangen, insbesondere der deutschen Premium-Hersteller. Sie hätten zum Zeitpunkt des Beschlusses im Jahr 2007 ihre “auf große und schwere Fahrzeuge ausgerichtete Modellpolitik” bedroht gesehen. Anreize für leichte und verbrauchsarme Fahrzeuge würden so verhindert und Hersteller schwerer SUV und großer Limousinen indirekt begünstigt, fasst die Studie zusammen.
Aus diesem Grund liegen die festgeschriebenen Grenzwerte der deutschen Autobauer über dem europäischen Branchenziel von 95 Gramm CO2 pro Kilometer. Volkswagen musste 2020 einen Wert von 97 Gramm erreichen, BMW 102 Gramm und Daimler 106 Gramm im Durchschnitt.
Pooling
Beim sogenannten Pooling dürfen sich mehrere Autohersteller zusammentun, um ein gemeinsames CO2-Kontingent zu bilden. Hersteller, die den Grenzwert überschreiten, können sich mit besonders sauberen Herstellern zu einem Pool vereinen. Rechnerisch erreichen die schmutzigeren Hersteller so wieder ihre Vorgaben. Der schmutzigere Hersteller überweist üblicherweise Ausgleichszahlungen im Bereich von mehreren hundert Millionen US-Dollar an seinen Pooling-Partner. Öffentliche Strafzahlungen werden so umgangen. Statt in die öffentliche Hand zu fließen, verbleibt das Geld bei den Konzernen.
Aktuelles Beispiel für einen solchen Deal ist der Zusammenschluss von Fiat Crysler und dem Elektroautobauer Tesla. Fiat umging auf diese Weise hohe Strafzahlungen, ohne an der eigenen Modellpalette etwas ändern zu müssen oder Innovationen hervorzubringen. Einen weiteren Pool bildeten Ford und Volvo, ebenso wie Mazda und Toyota.
Die deutschen Autohersteller profitieren bislang nicht ganz so stark von dieser Maßnahme: Nur Volkswagen ging mit dem chinesischen Hersteller SAIC Motors ein Geschäft ein, und sparte laut Greenpeace so rechnerisch 0,5 Gramm CO2 pro Kilometer – was rund 140 Millionen Euro abgewendeter Strafzahlungen entspricht. 2021 traten außerdem die Elektroautohersteller Aiways, LEVC und Next.e.Go dem Pakt bei. Über die Höhe der Ausgleichszahlungen zwischen den Herstellern macht keine der Firmen Angaben.
Norwegen-Effekt
Obwohl Norwegen und Island keine Mitglieder der EU sind, werden die dort verkauften Autos in die CO2-Statistik der europäischen Hersteller eingerechnet. Davon profitieren auch die deutschen Konzerne: Volkswagen konnte laut Greenpeace allein aus diesem Grund bereits 1 Gramm CO2 von seiner Flottenbilanz abziehen, Daimler und BMW jeweils 0,5 Gramm.
Denn obwohl die beiden Länder nur etwa 1 Prozent des europäischen Automarkts ausmachen, nehmen die dort verkauften Wagen rechnerisch größeren Einfluss auf den CO2-Flottenausstoß. Die Zulassungszahlen von Elektroautos sind dort extrem hoch: In Norwegen waren zuletzt 54 Prozent der Neuzulassungen reine Elektroautos und 20 Prozent Plug-in-Hybride; in Island hatten 25 Prozent der Neuwagen einen reinen Elektroantrieb, Plug-in-Hybride machten 20 Prozent der Neuzulassungen aus.
Prüfstand gegen Realität
Die größte Diskrepanz zwischen dem errechneten CO2-Ausstoß der Hersteller und den realen Werten entsteht laut Greenpeace allerdings durch fragwürdige Prüfregeln. Volkswagen gewinne dadurch 43 Gramm, Daimler 61 Gramm und BMW 56 Gramm.
Die Hersteller hätten ab den 2000er Jahren angefangen, Neuwagen hauptsächlich für gute Werte im Prüflabor vorzubereiten – und nicht die Effizienz bei der Fahrt auf der Straße zu optimieren. Eine der Methoden sei das sogenannte Downsizing, bei dem die Entwickler den Hubraum verkleinern und parallel den Druck erhöhen. Im Test erzielt ein Wagen dadurch bessere Werte. Aber in der Realität erhöhe sich der Schadstoffausstoß.
Diese Kluft zwischen Realität und Prüfstand wächst laut dem International Council on Clean Transportation (ICCT) stetig: Demnach betrug die Abweichung bei 2001 gebauten Neuwagen durchschnittlich 8 Prozent. 2017 waren die realen Werte bereits im Schnitt 39 Prozent höher als im Katalog angegeben: Bei VW betrug die Differenz 35 Prozent, bei BMW 43 Prozent und bei Daimler sogar 46 Prozent. Der aktuelle Prüfzyklus NEFZ sei laut Studie “realitätsfern”.
Die Initiative Transport & Environment berichtete bereits 2013 über weitere Tricks der Hersteller, die größtenteils auf Regulierungslücken fußen: Fugen in der Außenhülle würden während des Tests abgeklebt, um den Luftwiderstand zu verringern. Auch würden spezielle Leichtlaufräder genutzt und deren Spur- und Sturzeinstellung verändert. Auch der Reifendruck werde unrealistisch erhöht, um den Rollwiderstand zu reduzieren.
Echte Fortschritte bei der Verbrennertechnik und geringerem Spritbedarf nutzen die Hersteller laut Studie, um das Gewicht und die Leistung der Autos zu erhöhen. Somit verpufften die eigentlichen Vorteile – Verbrauch und Schadstoffausstoß blieben letztendlich gleich. Das durchschnittliche Gewicht der verkauften Neuwagen stieg im Zeitraum von 2001 bis 2019 um 12 Prozent. Die durchschnittliche Motorleistung stieg im selben Zeitraum um 37 Prozent.
Besonders signifikant sei die Kluft zwischen realen Werten und Prüfwerten bei den Plug-in-Hybriden: Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung und die gemeinnützige Forschungsorganisation International Council on Clean Transportation stellten 2020 fest, dass der reale Kraftstoffverbrauch und damit die CO2-Emissionen bei diesem Fahrzeugtyp zwei bis viermal höher sind als im Testzyklus.
Lösungen
Um den geschönten Werten beim CO2-Ausstoß der Flotten ein Ende zu bereiten, schlägt Greenpeace bis spätestens 2028 ein Zulassungsverbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotor vor. Auch Hybride sollte das betreffen, weil es sich bei ihnen ebenfalls um Verbrennungsmotoren handelt und bei ihren Werten besonders stark getrickst werden kann. Frühere nationale Ausstiegsdaten sollten dabei erlaubt bleiben und Deutschland bereits ab 2025 keine neue Verbrenner mehr zulassen.
Die Grenzwerte sollten laut Umweltorganisation angehoben werden und Schlupflöcher wie Gewichtsfaktor und Supercredits gleichzeitig geschlossen werden. (hcz)