Großbritannien: Asylsuchende müssen für Altersfeststellung Zugangsdaten herausgeben

Facebook-Login auf einem Smartphone
In der Vergangenheit hatten Behörden Geflüchtete gezwungen, die PIN-Nummern für ihre Mobiltelefone preiszugeben. Ein Gericht hatte dies im Frühjahr für rechtswidrig befunden. (Quelle: IMAGO / ZUMA Press)

Potenziell minderjährige Asylsuchende in Großbritannien müssen bei Zweifeln an ihrem angegebenen Alter ihre Zugangsdaten zu sozialen Medien herausgeben. Das berichtet die britische Zeitung The Independent. Experten halten das Vorgehen für rechtswidrig.

Gerichte würden seit Mai pauschal in solchen Fällen die Überprüfung von Social-Media-Konten anordnen.

Die Betroffenen müssen den örtlichen Behörden dann ihre Benutzernamen und ihre Passwörter aushändigen. Die Überprüfung finde anschließend im Beisein der Geflüchteten statt. Die Beamten sollen in den Konten und der elektronischen Kommunikation nach Hinweisen auf das Alter der Personen suchen – und somit die Feststellung ihres Alters erleichtern.

Unklar bleibt, wie viele Personen betroffen sind: Offizielle Zahlen, wie viele Altersfeststellungen es jährlich gibt, existieren laut dem Independent nicht. Das Justizministerium wollte das Vorgehen gegenüber der Zeitung nicht kommentieren.

Unbegleitete, minderjährige Geflüchtete stehen unter besonderem Schutz. Ihre Abschiebung aus Großbritannien kann nur in Ausnahmefällen angeordnet werden, etwa wenn sie straffällig werden.

“Verletzung der Privatsphäre”

Enver Solomon, Geschäftsführer des britischen Refugee Councils, kritisierte das Vorgehen gegenüber dem Independent als “klare Verletzung der Privatsphäre”. Zudem werde das Vertrauen der schutzsuchenden Menschen in die für ihren Schutz zuständigen Behörden untergraben.

Gegenüber dem Independent wies Solomon zudem darauf hin, dass die Bestimmung des Alters einer Person ein schwieriger Prozess sei. “Es ist weithin anerkannt, dass es nicht möglich ist, das Alter mit einer einzigen Methode zu bestimmen, und dass es auch nicht schnell geht.” Um die richtige Entscheidung zu treffen brauche es Zeit und Fachwissen. Der sicherste Weg zur Altersbestimmung seien Gespräche von Sozialarbeitern mit den jungen Menschen. Sie müssten alle verfügbaren Informationen zusammentragen, um eine Bewertung zu ermöglichen.

Nour Haidar, Rechtsanwältin bei der Menschenrechtsorganisation Privacy International, bezeichnete das Vorgehen als “höchst beunruhigend”. Es handle sich um einen “schwerwiegenden Eingriff” in die Privatsphäre. “Jemandem zu sagen: Wir haben das Recht, ihre persönliche Kommunikation zu öffnen, um ihr Alter herauszufinden, ist völlig unverhältnismäßig.”

Wenn Geflüchtete zur Herausgabe ihrer Zugangsdaten gezwungen werden, habe dies schwerwiegende Auswirkungen auf ihre Möglichkeit, “ihre persönlichen und sensiblen Informationen zu schützen” und eine faire Anhörung in Bezug auf die Altersfeststellung zu erhalten.

Auch der Anwalt Edward Taylor, der eine Person vertritt, die zur Herausgabe ihrer Zugangsdaten gezwungen wurde, kritisierte den “rechtswidrigen, unverhältnismäßigen” Eingriff. Den Behörden werde ermöglicht, pauschal nach belastendem Material zu suchen. Taylor forderte, Anweisungen zur Untersuchung von Social-Media-Konten müssten immer im Einzelfall auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden.

Rechtswidrige Handyauswertung

Die britische Regierung steht schon länger in der Kritik wegen ihres Umgangs mit minderjährigen Asylsuchenden: Im Januar hatte der Independent berichtet, dass Hunderte unbegleitete Asylsuchende in Unterkünften für Erwachsene untergebracht wurden, obwohl sie angegeben hatten, Kinder oder Jugendliche zu sein. Das Refugee Council hatte von einer “alarmierenden” Anzahl an Personen gesprochen, die von den Behörden als Erwachsene eingestuft wurden – sich später aber tatsächlich als Minderjährige herausstellten.

Im Juni hatten Flüchtlingsorganisationen der Regierung zudem vorgeworfen, Kindern unter 18 Jahren ein “Standardalter” von 23 zuzuschreiben – und sie abschieben zu wollen. Sie sprachen von einem “besorgniserregenden Muster”.

Zwischen April und November 2020 hatten Immigrationsbeamte in Dover Telefone von Asylsuchenden eingezogen und die Schutzsuchenden gezwungen, ihre PIN-Nummern preiszugeben. Ihnen wurde mit Strafverfolgung gedroht, sollten sie die PIN nicht herausgeben. Das Innenministerium hatte argumentiert, Beamte könnten so Hinweise auf kriminelle Schleuser finden. Dafür hatten die Beamten persönliche Informationen wie E-Mails und Fotos von den Telefonen kopiert.

Der High Court of Justice hatte im März entschieden, das Innenministerium hätte die pauschale Beschlagnahmung und Datenauswertung von Smartphones von Asylsuchenden nicht anordnen dürfen. Sie sahen in dem Vorgehen einen Verstoß gegen das in der Europäische Menschenrechtskonvention festgeschriebene Recht auf Achtung des Privatlebens. (js)