Künast-Urteil: Facebook muss auch Varianten von Falschzitat löschen
Facebook muss auch Varianten eines Falschzitats suchen und entfernen, das der Bundestagsabgeordneten Renate Künast zugeschrieben wird – ohne dass die einzelnen Fälle erneut gemeldet werden. Das hat das Landgericht Frankfurt am Main am Freitag entschieden und damit einer Klage der Grünen-Politikerin gegen den Facebook-Konzern Meta stattgegeben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Organisation HateAid, die die Klage unterstützt hatte, sprach von einem “Präzedenzfall”.
In dem Verfahren ging es um eine Wort-Bild-Kombinationen – ein sogenanntes Meme – mit einem Falschzitat, das Künast zugeschrieben wird und das sich bereits seit dem Jahr 2015 im Internet verbreitet. Der Beitrag wird auch in Varianten veröffentlicht, etwa mit geändertem Layout oder geändertem Text.
Künast hatte im vergangenen Jahr mit Unterstützung der Betroffenenberatung HateAid gegen Meta geklagt um zu erreichen, dass Facebook gleiche oder sinngleiche Beiträge sucht, prüft und löscht. Das Gericht urteilte nun, die Plattform müsse aktiv gegen solche Beiträge vorgehen.
Auch “kerngleiche” Inhalte müssen entfernt werden
Zwar müsse eine Plattform nicht ohne Hinweis alle Beiträge auf eine eventuelle Rechtsverletzung prüfen. Doch das Gericht erklärte: “Nachdem Renate Künast aber konkret darauf hingewiesen hatte, dass die ihr zugeschriebene Äußerung ein falsches Zitat ist, muss sie diesen Hinweis nicht für jeden weiteren Rechtsverstoß unter Angabe der URL wiederholen.” Für Facebook sei “unschwer erkennbar, dass es sich bei Varianten mit kerngleichem Inhalt um Falschzitate handelt”.
In einer Variante des Zitates werden der Grünen-Politikerin die Worte in den Mund gelegt: “Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal Türkisch lernen.” Dabei handelt es sich um ein frei erfundenes Falschzitat – das haben auch Faktenprüfer belegt. Tatsächlich hatte Künast in einer ARD-Sendung im Jahr 2010 den ehemaligen SPD-Politiker Thilo Sarrazin aufgefordert, sich den türkischen Namen einer anderen Teilnehmerin der Talkrunde zu merken, den dieser wiederholt falsch ausgesprochen hatte.
Nach Angaben von HateAid verbreitet sich das Falschzitat immer noch “massenhaft”, obwohl es mehrfach gemeldet und teilweise sogar von der Plattform selbst als falsch gekennzeichnet wurde. In den meisten Fällen sei die Verbreitung eine Straftat.
Facebook muss Schmerzensgeld zahlen
Das Gericht entschied nun, Facebook müsse alle zum Zeitpunkt des Urteils auf der Plattform vorhandenen identischen oder leicht abgewandelten, aber im Kern gleichen Beiträge selbst finden und löschen. Nach Angaben von HateAid droht Meta bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder Ordnungshaft.
Das Gericht stellte fest, Meta habe nicht darlegen können, dass es technisch und wirtschaftlich nicht zumutbar sei, identische und ähnliche Beiträge zu erkennen. Es könne auch verlangt werden, dafür Moderatoren einzusetzen, um sicherzustellen, dass Menschen die Entscheidung über die Löschung von Inhalten treffen.
Weil Künasts Persönlichkeitsrechte verletzt wurden, muss Meta ihr außerdem ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro zahlen. Das Unternehmen sei mitverantwortlich für die Verbreitung der Memes. Renate Künast sei aufgrund der Falschzitate Anfeindungen ausgesetzt gewesen.
Nach Angaben von HateAid soll das Geld verwendet werden, um Betroffene von digitaler Gewalt zu unterstützen.
Renate Künast kommentierte das Urteil: “Falschzitate und Hate Speech werden im Netz auch vom organisierten Rechtsextremismus orchestriert eingesetzt, um Politik und Medien herabzuwürdigen. Diese gezielte Desinformation soll das wichtigste Kapital der Betroffenen, nämlich die Glaubwürdigkeit, systematisch infrage stellen. Ich freue mich sehr über das heutige Urteil des Landgerichts Frankfurt, denn es ist ein Meilenstein für unsere Demokratie, den Kampf gegen Rechtsextremismus und für alle Nutzer*Innen im Netz! Diese Grundsatzentscheidung mit der Pflicht alle vorhandenen Falschzitate zu löschen, nimmt die Plattformen endlich in die Pflicht.” Das Urteil werde Wirkung über Deutschland hinaus haben.
Josephine Ballon, Head of Legal bei HateAid, nannte das Urteil “eine Sensation”. Sie erklärte: “Das Gericht hat klargestellt, dass soziale Medien Verantwortung für den Schutz der Nutzenden tragen. Vor allem können sie nun nicht länger behaupten, dass die Last für das Auffinden rechtswidriger Inhalte allein bei den Betroffenen liege. Insbesondere wenn wie hier ein Falschzitat mit dem klaren Ziel der politischen Desinformation massenhaft verbreitet wird, müssen auch die Plattformen selbst aktiv werden, um individuelle und gesamtgesellschaftliche Schäden abzuwenden. Zusammen mit Renate Künast konnten wir die Rechte der Betroffenen dahingehend stärken.”
HateAid sieht Präzedenzfall
HateAid bezeichnete das Urteil als “wegweisend für zahlreiche weitere Fälle”. Denn bei Klageeinreichung hatte die Organisation erklärt, bisher müssten Betroffene von Hass im Netz jedes einzelne Posting selbst suchen, finden und der Plattform melden. Dies sei aber kaum möglich, beispielsweise weil Beiträge auch in geschlossenen Gruppen auf Facebook geteilt werden können. Für einige Betroffene werde die Suche und das Melden solcher Beiträge daher zur “Lebensaufgabe”.
Mit ihrer Klage wollten Künast und HateAid daher ein Grundsatzurteil für Betroffene erwirken. Die Entscheidung des Gerichts sei nun ein “Präzedenzfall mit Strahlkraft”, der künftige Urteile “maßgeblich beeinflussen” werde.
Die Klage hatte sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Oktober 2019 gestützt, das die ehemalige österreichische Grünen-Politikerin Eva Glawischnig-Piesczek angestrengt hatte. Damals hatte das oberste EU-Gericht entschieden, dass nationale Gerichte Online-Dienste verpflichten können, wort- und sinngleiche Kopien rechtswidriger Beiträge aufzuspüren und zu löschen.
Eine Meta-Sprecherin erklärte, in dem Fall seien bereits weitere Maßnahmen ergriffen worden, um “identische Inhalte zu identifizieren und zu entfernen”. Der Konzern warte nun die Urteilsbegründung ab und werde weitere mögliche rechtliche Schritte prüfen. Das Urteil kann mit einer Berufung beim Oberlandesgericht Frankfurt angefochten werden. (dpa / js)