Klimaschutzbericht: Bewusst in die Katastrophe

Kohlekraftwerk Weisweiler
Schon jetzt ist absehbar, dass Deutschland die Klimaziele für 2030 reißen wird, wenn nur die im Klimaschutzprogramm 2030 festgehaltenen Maßnahmen ergriffen werden. (Quelle: Grunpfnul / Sascha Faber – CC BY-SA 4.0)

Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die deutsche Klimabilanz könnten nach Einschätzung der Bundesregierung das selbstgesetzte Klimaschutzziel für das Jahr 2020 doch noch in Reichweite bringen – obwohl dieses eigentlich schon unerreichbar schien.

Wie stark der Treibhausgasausstoß zurückgegangen ist, “lässt sich noch nicht genau vorhersagen”, heißt es im Klimaschutzbericht für 2019, den das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen hat. Wenn die Emissionen 2020 “voraussichtlich deutlich niedriger ausfallen”, könne das Ziel, 40 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 auszustoßen, erreicht werden – so die optimistische Prognose.

Ziele werden beliebig angepasst

In den jährlichen Klimaschutzberichten ging es bisher darum zu prüfen, ob Deutschland es schafft, wie geplant von 1990 bis 2020 den Treibhausgas-Ausstoß um 40 Prozent zu reduzieren. Danach sah es lange Zeit nicht aus. Im Klimaschutzbericht 2018 hieß es noch, dass Deutschland seine Klimaziele für das Jahr 2020 deutlich verfehlen werde. Daraufhin hatte die Bundesregierung diese als nicht mehr erreichbar abgeschrieben. Im neuen Klimaschutzgesetz erlaubte man sich daher für 2020 deutlich mehr klimaschädliche Treibhausgase. Dass die ursprünglich angestrebten Ziele nun vielleicht wegen Corona doch noch erreicht werden, ist nüchtern betrachtet kein Erfolg der Klimapolitik der Bundesregierung , sondern reines Glück.

Glück gehabt

Daher forderten auch viele Umweltverbände die Bundesregierung am Mittwoch auf, ihr Klimaschutzprogramm 2030 nachzubessern. Die Dachverbände Naturschutzring und Klima-Allianz warnten davor, “die Hände in den Schoß zu legen”, weil Deutschland sein Klimaziel für 2020 entgegen den Erwartungen doch noch erreichen könnte. Das sei die Folge des geringeren Energieverbrauchs im Zuge des milden Winters und des Einbruchs der Wirtschaft infolge der Corona-Pandemie, mahnten sie.

“Eine Wirtschaftskrise macht keinen Strukturwandel”, sagte der Präsident des Naturschutzrings, Kai Niebert. “Wir wissen bereits heute, dass das Klimaschutzprogramm 2030 weder für die derzeitigen Klimaschutzziele noch für ein höheres EU-Klimaziel ausreicht.”

“Die Bundesregierung muss offen eingestehen, dass sie ihr Klimaschutzziel 2020 aus eigener Kraft nicht erreicht”, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock der Deutschen Presse-Agentur. “Einzig und allein durch die Corona-Krise könnte sie dieses eventuell noch erreichen – und darüber kann sich nun wirklich niemand freuen.” Das sei die Quittung “für das jahrelange Nichtstun” der großen Koalition.

“Wir erleben mit der Trockenheit und Hitze erneut, dass die Klimakrise nicht Halt macht, bloß weil die Corona-Krise da ist”, mahnte Baerbock. Es brauche nun eine Offensive der erneuerbaren Energien. Verbindliche Flächenziele für den Ökostrom-Ausbau oder Solaranlagen als Standard für jedes neue Dach seien Maßnahmen, die sofort angegangen werden könnten.

Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser kommentierte in einer Pressemitteilung: “Wenn das Klimaziel 2020 nun doch noch in Reichweite kommt, dann nicht wegen sondern trotz der Klimapolitik der Großen Koalition. Doch niemand darf milde Winter oder eine Wirtschaftskrise mit Klimapolitik verwechseln. Nirgends werden die fehlenden Klima-Ambitionen von Angela Merkels Regierung so offensichtlich wie in den weiter steigenden CO2-Emissionen im Verkehr.”

Zurückhaltende Ambitionen

Nimmt man die vorläufigen Zahlen im Bericht als Grundlage, wurden in Deutschland 2019 insgesamt 805 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen. Das sind fast 54 Millionen Tonnen bzw. 6,3 Prozent weniger als im Vorjahr – und 35,7 Prozent weniger als 1990. Um das ursprüngliche 2020-Ziel zu erreichen, müsste der Gesamtausstoß in diesem Jahr auf etwa 750 Millionen Tonnen sinken. Zum Vergleich: Im neuen Klimaschutzgesetz sind 813 Millionen Tonnen als Ziel für 2020 festgelegt.

Bis 2030 müssten die Emissionen gar um 55 Prozent sinken. Gutachten im Auftrag der Bundesregierung hatten aber ergeben, dass die im Klimaschutzprogramm 2030 festgelegten Maßnahmen nicht ausreichen dürften, um die 55 Prozent Minderung zu schaffen. Sie halten lediglich eine Reduktion um 46% für möglich – fast 10 Prozentpunkte vom Ziel entfernt.

Vom kommenden Jahr an sollen die jährlichen Berichte aufzeigen, wie das Klimaschutzprogramm 2030 wirkt.
Der Treibhausgas-Rückgang im Jahr 2019 wurde größtenteils durch Einsparungen im Bereich Energie, zum Beispiel durch das Abschalten von Kohlekraftwerken, erzielt. Es hatte allerdings enormen gesellschaftlichen Druck erfordert, um diese Änderungen anzustoßen.

Stagnierende Werte sind kein Erfolg

Die Bundesregierung spricht in ihrem Bericht außerdem von Senkungen im Industriesektor. Tatsächlich stagnieren die Emissionswerte hier aber seit vielen Jahren. Mal sinken sie minimal, dann steigen sie wieder etwas an. Fakt ist: Im Jahr 2019 lagen die Emissionswerte der Industrie laut Bericht bei 188 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Das entspricht exakt dem Wert aus dem Jahr 2010. Die deutsche Industrie trägt also seit vielen Jahren nichts zur Senkung der Werte bei.

Auch wenn man sich die Emissionsdaten im Bereich Gebäude ansieht, wird deutlich, dass wenig passiert. Hier schwanken die Werte ebenfalls seit Jahren auf einem fast gleichbleibenden Niveau. Im Jahr 2014 wurden beispielsweise insgesamt 119 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente emittiert, 2018 lagen die Emissionen bei 117 Millionen Tonnen. 2019 stiegen sie auf 122 Millionen Tonnen an.

Weiter in die Katastrophe

Während hierzulande über das Erreichen einzelner Ziele diskutiert wird, schlittert die Welt weiterhin ungebremst in Richtung Klima-Krise: Die globalen Treibhausgasemissionen stiegen seit 1960 in jedem einzelnen Jahr immer weiter an. Trotz Kyoto-Protokoll und Pariser Klimaabkommen. Wissenschaftler gehen allgemein von einer Temperaturerhöhung von mindestens drei Grad Celsius bis zum Ende dieses Jahrhunderts im Vergleich zur vorindustriellen Zeit aus. Laut Klimaschutz-Index des NewClimate Institutes sieht es bislang auch nicht so aus, als ändere sich rechtzeitig etwas an der Situation.

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen stellte zuletzt in seinem "Global Emissions Gap Report 2019” fest, dass weltweit jährlich mehr als 7 Prozent der Treibhausgasemissionen eingespart werden müssen, um den Temperaturanstieg unter zwei Grad Celsius bis zum Jahr 2100 zu halten. Das hieße, ab dem Jahr 2030 müssten global jährlich 15 Gigatonnen CO2 eingespart werden. Das entspricht den jährlichen Emissionen aller 28 EU-Staaten, Indiens, Russlands und Japans zusammen. (hcz)