Milliarden Nutzerdaten täglich für Anzeigen geteilt

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Zwar sind die Ausmaße der RTB-Industrie bereits in Europa immens, doch werden in den USA noch weit mehr Daten erfasst.(Quelle: IMAGO/Silas Stein)

Ein neuer Bericht der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Irish Council for Civil Liberties (ICCL) beleuchtet, in welchem Ausmaß Werbefirmen Nutzerdaten für sogenanntes Real Time Bidding (RTB) sammeln und weiterleiten. Dabei erfassen die Firmen bei jedem Webseiten-Besuch so viele Informationen wie möglich über die Nutzerinnen und Nutzer. Es werden Datenpakete mit sensiblen Daten wie beispielsweise Alter und Standort geschnürt – und im Hintergrund in Sekundenbruchteilen an viele Werbefirmen weitergeleitet.

ICCL spricht in dem Zusammenhang von dem “größten Datenleck aller Zeiten”, das sich täglich wiederhole. Die Organisation konnte interne Dokumente der Werbewirtschaft einsehen.

In den USA und Europa erfassen RTB-Systeme laut der Organisation mindestens 178 Billionen-mal pro Jahr, was sich Personen im Internet und in Apps ansehen oder wo sie sich gerade befinden. So würden ihre Vorlieben aufgedeckt und unter Umständen, in welchen Lebenssituationen sie sich befinden.

Die Daten einer einzelnen Person in den USA würden im Durchschnitt 747-mal täglich von der RTB-Branche erfasst und mit anderen Unternehmen geteilt; in Europa geschehe dies 376-mal pro Tag, im Schnitt rund halb so oft. Jeden Tag würden in Europa 197 Milliarden mal Daten abgegriffen und weitergeleitet.

Unbemerkt vom Nutzer

Das Verfahren dient Anzeigenverkäufen – und ist Grundpfeiler einer Industrie, die jährlich mehr als 117 Milliarden US-Dollar umsetzt. Bei den Auktionen werden in Echtzeit Anzeigenplätze auf Webseiten oder in Apps versteigert; die Preise orientieren sich an den Nutzerprofilen, und welche Details mit den Bietenden geteilt werden.

Die Nutzer sind sich dem im Hintergrund laufenden Handel mit ihren persönlichen Daten meist nicht bewusst.

Werbefirmen geben laut Bericht jedes Jahr mehr als 100 Milliarden US-Dollar für RBT in Europa und den USA aus. In Europa fällt das Ausmaß des Datensammelns laut ICCL aber deutlich kleiner aus als in den USA.

Zu den größten RTB-Betreibern gehören Google und Microsoft. Google sei hier führend. Microsoft habe seine RTB-Aktivitäten mit dem Kauf der Firma Xandr 2021 massiv ausgebaut. Da die Dokumente keine Informationen über die Aktivitäten von Facebook und Amazon preisgeben, sind deren Geschäfte nicht in den Zahlen enthalten.

Real-Time Bidding erklärt

RTB kommt bei Werbeanzeigenplätze auf Internetseiten zum Einsatz: Steuert eine Nutzerin oder ein Nutzer eine Webseite an, werden die dortigen Anzeigenplätze an den Meistbietenden versteigert. Im Hintergrund werden innerhalb von Millisekunden Gebote dafür gesammelt.

Den Bietenden werden dabei alle bekannten Informationen über die Seitenbesucher zur Verfügung gestellt: Falls bekannt Standort, Alter, persönliche Vorlieben oder gar religiöse Orientierung. Auf Basis dieser Daten passen die Bietenden ihre Angebotshöhe automatisiert an – in Echtzeit. Der Anzeigenplatz geht dann an den Höchstbietenden, der dort seine Inhalte platzieren kann.

Weitergabe der Daten

In Europa teile allein Google Nutzerinformationen mit 1058 Firmen, in den USA mit 4698 Unternehmen. Microsofts Tochterfirma Xandr soll seine Datensätze an 1647 andere Firmen übertragen.

Die Informationen gingen an Firmen überall auf der Welt, unter anderem in Russland und China. Wofür Googles Partner die Daten verwenden, sei unbekannt.

Dass diese massenhafte Überwachung gefährlich ist, zeigen laut ICCL verschiedene Fälle aus der Vergangenheit: "Datenmakler nutzten sie [RTB-Daten], um Profile von Black-Lives-Matter-Demonstranten zu erstellen. Das US-Ministerium für Heimatschutz und andere Behörden nutzten sie für die Telefonüberwachung ohne Haftbefehl. Sie waren in das Outing eines schwulen katholischen Priesters durch seine Nutzung von Grindr verwickelt."

Im Juni 2021 hatte die Veröffentlichung sensibler persönlicher Handydaten aus der Dating-App Grindr den Rücktritt des Generalsekretärs der US-Bischofskonferenz Jeffrey Burrill bewirkt. Da sich die App hauptsächlich an homosexuelle Menschen richtet, war mit der Veröffentlichung zugleich das Outing des hochrangigen Kirchenvertreters erzwungen worden. Die Informationen stammten von einem Datenhändler. (hcz)