Wikipedia-Artikel aus deutschen Behörden-Netzen manipuliert
Aus den Netzwerken des Bundes und anderer Behörden sind nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) im großen Maßstab Änderungen an Wikipedia-Inhalten vorgenommen worden. Die IP-Adressen, von denen aus auch immer wieder Manipulationsversuche auf Artikel ausgeführt wurden, sind dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zugeordnet.
Allerdings nutzt nicht nur das BSI selbst diesen Adressraum, sondern auch Behörden, die den Netzen des Bundes (NdB) angeschlossen sind. Die Urheberinnen oder Urheber der Änderungen könnten daher nicht ermittelt werden, erklärte das BSI. Auch könne nicht beantwortet werden, welche Behörde welche Adressen nutzt. Stattdessen verwies das BSI auf die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS); diese sei für den Betrieb des NdB verantwortlich. Doch auch die Beamten dort konnten laut FAZ keinen Beitrag zur Aufklärung leisten.
Von 19 IP-Adressen des Behörden-Adressraums seien in den vergangenen Jahren mehr als 17.000 Bearbeitungen in der deutschen Wikipedia vorgenommen worden – zuletzt etwa an den Artikeln “Bombenlegeraffäre” und “Gasreserve”. “Manche Bearbeitungen sehen aus wie solche von Mitarbeitern, die beim Lesen etwas korrigieren, manche wie die von Wikipedianern, die auch am Arbeitsplatz ihrem Hobby nachgehen”, schreibt die Zeitung. Weitere Änderungen wirkten hingegen, als stammten sie aus der Feder von PR-Profis mit Wikipedia-Erfahrung.
Angriff auf Grünen-Politiker
Im Januar sei beispielsweise aus dem Behördennetz heraus versucht worden, den Eintrag von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) mit dem strafrechtlichen Vorwurf auszubauen, er habe sich am Corona-Bonus seiner Partei bereichert. Von derselben IP-Adresse sei auch versucht worden, ähnliche Informationen in den Einträgen der Grünen-Ko-Chefin Ricarda Lang und bei deren Bundestagskollegin Jamila Schäfer unterzubringen.
Diese Änderungen wurden allerdings von der Wikipedia-Community wieder rückgängig gemacht. Denn die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Politiker wurden Ende März eingestellt, da sich der Anfangsverdacht wegen Untreue nicht bewahrheitet hatte.
Die Autorin oder der Autor hinter der IP-Adresse hätte auch nach den Korrekturen durch die Community weiter versucht, die Behauptungen in den Artikeln unterzubringen. Schlussendlich sperrte ein Administrator daraufhin die Einträge für die Bearbeitung durch unangemeldete Nutzerinnen und Nutzer.
Hetze gegen Migranten und Presse
Im Artikel “Illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt” habe ein Anwender im Juni 2021 nachts aus dem Behörden-Netzwerk heraus versucht, Einwanderer zu kriminalisieren. Aus dem Satz “Der Zusammenhang von illegaler Migration und Kriminalität besteht weniger darin, dass einzelne Einwanderer kriminelle Delikte begehen” strich die Person das Wort “weniger” und drehte somit die Aussage ins Gegenteil. Die Änderung wurde durch einen Gegenleser der Community bemerkt und rückgängig gemacht.
Im Wikipedia-Artikel “Journalist” habe wiederum ein Nutzer mit BSI-IP die Berufsgruppe als “Enddarmbewohner der Mächtigen” verunglimpft. Außerdem fügte er ein, dass Journalisten “auch Lohnschreiber oder Presse-Hure genannt” würden. Auch diese Änderung wurde rückgängig gemacht.
Quellen gelöscht
Zudem wurden im Eintrag über das staatliche Bundesinstitut für Risikobewertung Verlinkungen zu kritischen Berichten der Süddeutschen Zeitung und Spiegel Online gelöscht. Auch der Artikel über den entlassenen Generalbundesanwalt Harald Range wurde aus Behördennetzen heraus geändert. Er war 2015 vorzeitig vom damaligen Bundesjustizminister Heiko Maas in den Ruhestand versetzt worden, nachdem der Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Journalisten initiiert hatte.
Über eine BSI-Adresse schrieb jemand im Januar auf der Diskussionsseite zum Eintrag “Servus TV”: “Wenn jeder Hauch von abweichender Meinung in die rechte Ecke gestellt wird, bleibt mir nur übrig ‘Corona-Leugner’ (JA, eindeutig ein Kampfbegriff der ‘Geradeausdenker’) zu feiern.”
In den Artikeln zur Vorratsdatenspeicherung und der einheitlichen Behördenrufnummer 115 wurden befürwortende Änderungen von Behörden-IPs aus vorgenommen. Bei der Vorratsdatenspeicherung wurde 2012 darauf hingewiesen, dass sich Mitglieder des Deutschen Juristentags für die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hätten und die Behördenrufnummer wurde 2011 als “kostengünstig” beschrieben.
Weitere Beispiele für Eingriffe aus dem Behördennetzwerk heraus hat der Journalist Marvin Oppong auf seinem Twitter-Account gesammelt.
Verstöße strafbar
Mit den aus Behördennetzen vorgenommen Manipulationen und den dort verzeichneten Verstößen gegen das Urheberrecht oder Persönlichkeitsrechte haben sich die Autoren unter Umständen strafbar gemacht und verstoßen in den meisten Fällen zudem gegen das Dienstrecht.
Doch auch die harmloseren Änderungen dürften nach Ansicht der FAZ gegen Beamtenrecht verstoßen: Denn grundsätzlich dürfe sich nur die Behördenleitung öffentlich äußern. Alle anderen Mitarbeiter bräuchten eine entsprechende Erlaubnis. Deswegen sei es “verwunderlich”, dass keine effektiven Vorkehrungen bestehen, um die Einflussnahmen aus dem Behördennetzwerk heraus zu unterbinden. (dpa / hcz)