Wissenschaftler sehen Belastungsgrenzen des Planeten überschritten
Wird die Erde weiter so stark durch den Menschen ausgebeutet und verändert wie bisher, entstehen unkontrollierbare Risiken, die die Stabilität des Ökosystems gefährden. Das ist das Ergebnis einer Studie von 29 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Belastungsgrenzen der Erde in neun Teilbereichen untersucht haben. Der im Fachblatt Science Advances erschienenen Studie zufolge sind bereits sechs von neun Belastungsgrenzen überschritten, zum Teil deutlich. Dazu zählen unter anderem die Erderwärmung, die Zerstörung von Lebensräumen und die Belastung der Umwelt mit neuartigen Stoffen wie etwa Pestiziden, Mikroplastik und Atommüll.
“Die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht”, fasste Ko-Autor Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die Ergebnisse in einer Mitteilung am Mittwoch zusammen. “Wir wissen nicht, wie lange wir entscheidende Grenzen derart überschreiten können, bevor die Auswirkungen zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden führen.”
Die Überschreitung einer planetaren Grenze markiere eine kritische Schwelle für erheblich steigende Risiken, erläuterte Erstautorin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen. Sie verglich das Studien-Konzept mit den Gesundheitswerten eines Menschen: “Ein Blutdruck von über 120/80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko.”
Die Forscher wollen mit ihren Untersuchungen einen sicheren Handlungsraum für die Menschheit abstecken. Werden Grenzen überschritten, gefährdet dies die Stabilität des Ökosystems und damit die Widerstandsfähigkeit des Planeten. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Kipppunkte überschritten werden. Drastische Veränderungen müssen aber nicht sofort sichtbar werden.
Die neun Teilbereiche sind: die Nutzung von Süßwasser, die Funktion des Biosphäre, das Klima, die Aerosolbelastung der Atmosphäre, der Ozonabbau in der Stratosphäre, biogeochemische Kreisläufe (etwa Phosphor und Stickstoff), Landnutzungsänderung wie Abholzungen, die Unversehrtheit der Biosphäre und das Einbringen neuartiger Stoffe, etwa Chemikalien wie Mikroplastik, Pestizide oder Atommüll.
Im Rahmen der Studie hat das internationale Forschungsteam um Rockström und Richardson den Zustand aller neun Systeme analysiert.
Die Sorgenkinder
Deutlich überschritten sei der sichere Bereich bei der globalen Erwärmung sowie bei der Unversehrtheit der Biosphäre, schreibt das Team im Fachjournal “Science Advances” und verweist etwa auf das Artensterben und die Zerstörung von Lebensräumen. “Neben dem Klimawandel ist die Funktionsfähigkeit der Biosphäre die zweite Säule der Stabilität unseres Planeten”, sagte Ko-Autor Wolfgang Lucht vom PIK. “Und wie beim Klima destabilisieren wir derzeit auch diese Säule, indem wir zu viel Biomasse entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden und so weiter.”
Überschritten sei die Grenze auch im Bereich des Einbringens neuartiger Stoffe in die Umwelt – also dem Eintrag vom Menschen erzeugter chemischer Verbindungen wie Mikroplastik, Pestiziden oder Atommüll. Nicht ganz so kritisch sei die Situation beim Verbrauch von Süßwasser, doch auch hier sei die planetare Grenzen überschritten, heißt es weiter.
Ozonschicht hat sich regeneriert
Derzeit noch im sicheren Bereich liegt demnach die weltweite Partikelverschmutzung der Atmosphäre, auch wenn in einigen Regionen wie etwa in China und Südasien diese Grenze regelmäßig überschritten werde. Die Ozeanversauerung liegt nach der Definition der Forscher gerade noch im grünen Bereich, entwickelt sich aber zunehmend zum Schlechteren. Der Grenzwert für den Ozonabbau in der oberen Atmosphäre wurde zwar regional – beispielsweise in der Antarktis – überschritten, aber nicht global.
Gerade aus dieser Entwicklung zieht das Team eine Hoffnung auf Besserung auch für andere Probleme: In den 1990er Jahren habe der Abbau der Ozonschicht noch die planetare Grenze überschritten. “Aber dank globaler Initiativen, die durch das Montrealer Protokoll erreicht wurden, wird dieser Grenzwert aktuell nicht mehr überschritten”, betont Richardson.
Richtungswechsel möglich
Für die Neubewertung der planetaren Grenzen nutzte das Forschungsteam zum einen aktuelle Studien, zum anderen simulierte es die Entwicklung der Erde mit Modellen des Erdsystems und auch der Biosphäre für mehrere hundert Jahre in die Zukunft. Als Vergleichsbasis diente ihnen die Phase zwischen der letzten Eiszeit und dem Beginn der Industriellen Revolution.
Wenn eine Belastungsgrenze überschritten sei, gebe es aber noch Möglichkeiten, die Lage zu bessern, betont das Team und verweist am Beispiel der Erderwärmung etwa auf Aufforstung. Sollte die Menschheit es schaffen, den CO2-Gehalt der Atmosphäre auf 450 Teilchen pro Million (parts per million, ppm) zu begrenzen – derzeit liegt er bei 417 – und zudem den Bestand des borealen und des tropischen Waldes nicht unter 60 Prozent der ursprünglichen Bewaldung sinken zu lassen, könnte die Erderwärmung deutlich gebremst werden: “Dann deutet die Simulation auf einen durchschnittlichen Temperaturanstieg über dem Land von 1,4 Grad bis zum Jahr 2100 hin”, heißt es.
Allerdings halten etliche Klimaforscher das Erreichen des Zieles, die Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Phase auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, für nicht mehr realistisch. (dpa / hcz)