Österreich: Staatstrojaner und Kennzeichenerkennung sind verfassungswidrig
Der “Bundestrojaner” sowie die Kfz-Kennzeichenerfassung sind verfassungswidrig, hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in Österreich entschieden. Der VfGH hatte mehrere Teile des im Jahr 2018 von FPÖ und ÖVP verabschiedeten “Sicherheitspakets” überprüft.
Nach Auffassung des Gerichts ist eine vertrauliche Nutzung von Computern “wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Achtung des Privatlebens” nach der Europäischen Menschenrechtskonvention. Computer heimlich zu überwachen, stelle daher einen schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre dar: Durch eine solche Überwachung würden Daten anfallen, die Rückschlüsse auf “Vorlieben, Neigungen, Orientierung und Gesinnung sowie Lebensführung des Nutzers” erlauben. Die Richter kritisierten außerdem, dass eine solche verdeckte Überwachung auch unbeteiligte Personen betrifft.
Keine heimlichen Hausdurchsuchungen
Teil der geplanten Gesetzesänderung war, dass Behörden in Wohnungen eindringen dürfen, um den Staatstrojaner zu installieren. Hausdurchsuchungen sollten möglich sein, ohne dass betroffene Personen davon erfahren. Beides verstoße gegen das von der Verfassung gewährleistete Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung, urteilten die Richter.
Bei der als Bundes- oder Staatstrojaner bezeichneten Spionagesoftware handelt es sich um ein heimlich installiertes Programm, das es Sicherheitsbehörden unter anderem ermöglicht, Computer zu durchsuchen und verschlüsselte Nachrichten mitzulesen. In Deutschland wurde 2017 eine Rechtsgrundlage für den Einsatz solcher Überwachungssoftware verabschiedet.
Das Überwachen verschlüsselter Nachrichten verstößt laut dem VfGH schon deshalb gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, da der Anwendungsbereich so umfassend formuliert war, dass er Straftaten eingeschlossen hätte, “bei denen das Interesse an der Strafverfolgung nicht jenes an der Privatsphäre der Betroffenen überwiegt.”
Automatische Kennzeichenerfassung ist “unverhältnismäßig”
Die österreichischen Richter haben auch das Vorhaben gekippt, Daten zur Identifizierung von Fahrzeugen und Fahrern mithilfe einer automatisierten Kennzeichenerfasssung zu sammeln. Bis zu vierzehn Tage sollten Marke, Typ, Farbe und Kennzeichen eines Fahrzeuges gespeichert werden. Diese Maßnahme bezeichneten die Richter als “unverhältnismäßig” und sehen einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens laut der Europäischen Menschenrechtskonvention, aber auch gegen im österreichischen Datenschutzgesetz festgelegte Geheimhaltungsinteressen.
Behörden dürfen zudem Daten der sogenannten “Section-Control-Anlagen” nicht über die Geschwindigkeitsahndung und die Fahndung nach gestohlenen Fahrzeugen hinaus verarbeiten. Die Richter des VfGH führen auch in diesem Zusammenhang die Geheimhaltungsinteressen sowie das Recht auf Privatleben an. Die geplante Änderungen hätte auch Bürger betroffen, die keinen Anlass gegeben hätten, dass ihre Daten an Sicherheitsbehörden übermittelt werden, so die Richter. Weiterhin sei nicht gewährleistet, dass diese Daten nur verarbeitet werden, wenn eine entsprechend schwere Straftat vorliege.
In Deutschland gibt es ebenfalls eine laufende Diskussion über automatische Kennzeichenerfassung. Zuletzt hatte die Berliner Polizei angekündigt, mit der Technik Dieselfahrverbote durchsetzen zu wollen.
Briefgeheimnis von Gesetzesänderungen betroffen
Die nun für verfassungswidrig erklärten Gesetzesänderungen waren im Jahr 2018 von der letzten österreichischen Regierung aus ÖVP und FPÖ verabschiedet worden. Sie sollten im April 2020 in Kraft treten. Daraufhin hatten oppositionelle Abgeordnete Verfassungsbeschwerde eingelegt. “Diese Entscheidung des VfGH ist eine klare Absage an die umfassenden Überwachungsfantasien […] der gesamten ÖVP/FPÖ-Regierung. In erster Linie ist die Entscheidung aber ein fulminanter Sieg für die Freiheit, die Bürgerrechte der Bürgerinnen und Bürger in Österreich und für die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land”, kommentierte der Neos-Abgeordnete Niki Scherak die Entscheidung.
Das Sicherheitspaket ist mit diesen Entscheidungen jedoch nicht komplett vom Tisch: Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum, wie auf Flughäfen und Bahnhöfen, wird ausgeweitet. Mit “Quick-Freeze” ist eine anlassbezogene Datenspeicherung für zwölf Monate geplant.
Beim Kauf von Prepaid-SIM-Karten ist bereits seit Jahresbeginn ein Identitätsnachweis notwendig – und auch die Lokalisierung von Mobiltelefonen soll erleichtert werden. Außerdem sieht das Sicherheitspaket ein gelockertes Briefgeheimnis vor. Briefe dürfen demnach beschlagnahmt werden, wenn dies zur Aufklärung einer vorsätzlichen Straftat beiträgt, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsentzug bestraft wird. (js)