Atomausstieg: Entschädigungen müssen neu geregelt werden
Die Bundesregierung muss den finanziellen Ausgleich für Betreiber von Atomkraftwerken (AKW) wegen des Atomausstiegs neu regeln. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem nun veröffentlichten Urteil zugunsten des Klägers Vattenfall entschieden. Das Gericht beanstandete, dass die 2018 verabschiedete Änderung des Atomgesetzes unzureichend sei. “Der Gesetzgeber ist daher weiterhin zur alsbaldigen Neuregelung verpflichtet”, heißt es in dem Urteil.
Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima hatte die Bundesregierung 2011 zuvor beschlossene längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke zurückgezogen. Die verbleibenden AKWs müssen bis Ende 2022 zu festen Terminen abgeschaltet werden.
Bereits im Dezember 2016 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil Vorgaben für die Entschädigungen gemacht. Diese seien aber weiterhin nicht erfüllt, urteilten die Richter nun. Eigentlich hätte die Bundesregierung nach den Vorgaben des Gerichts bis zum 30. Juni 2018 neue Regeln schaffen müssen.
Die Regierung hatte zwar im Juni 2018 eine Gesetzesnovelle vorgelegt. Doch die entsprechenden Gesetzesänderungen waren mangelhaft und sind daher nie in Kraft getreten. Die erforderliche Genehmigung der EU-Kommission für die Gesetzesnovelle wurde nie erteilt.
Ausgleichszahlungen für Stromkontingente
Die Bundesregierung hatte den Kraftwerken 2002 noch Stromkontingente zugewiesen, die aufgrund des vorgezogenen Atomausstiegs aber nicht mehr produziert werden können. Das Gericht hatte die festen Abschalttermine 2016 daher als Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum gewertet und den Betreibern Anspruch auf Ausgleichszahlungen zugesprochen.
Vattenfall begrüßte das Urteil. Das schwedische Unternehmen ist Miteigentümer der beiden Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel. Beide AKWs wurden bereits 2011 endgültig stillgelegt. Im Jahr 2023 soll Vattenfall Entschädigungen in Millionenhöhe erhalten.
Kritik an Vattenfall und Bundesregierung
Sylvia Kotting-Uhl (Grüne), Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, sagte zu dem Urteil: “Das Bundesverfassungsgericht legt die Unfähigkeit der Bundesregierung schonungslos offen. Nach der schwarz-gelben Regierung 2011 scheitert auch die heutige Große Koalition daran, den Atomausstieg auf rechtssichere Füße zu stellen. Am Ende werden wieder die Steuerzahler für die Fehlschläge der Bundesregierung gerade stehen müssen. Die Koalition muss nun gründlich und wie vom Gericht gefordert schnellstmöglich nachbessern.”
Doch die Grünen-Politikerin kritisierte auch Vattenfall: “Fast zehn Jahre nach dem Atomausstieg noch für seine längst abgeschalteten Atommeiler Geld zu erstreiten, wirkt im Falle Vattenfalls moralisch fragwürdig. Die im Raum stehenden Millionen-Entschädigungen sind unverschämt für zwei AKWs, die bereits vor der Stilllegung 2011 wegen massiver Sicherheitsmängel jahrelang nicht in Betrieb waren.”
Der Greenpeace-Experte für Atomenergie, Heinz Smital, sagte: “Peinlich ist das Urteil für die Bundesregierung allemal – insgesamt ist es jedoch keine große Sache.” Denn der Atomausstieg bleibt von dem Urteil unberührt.
Gleichzeitig ist eine Klage von Vattenfall vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten anhängig. Vor dem Schiedsgericht fordert Vattenfall von Deutschland 5 Milliarden Euro Schadensersatz für die Stilllegung der beiden Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel. Greenpeace-Experte Smital sagte dazu: “Es darf nicht sein, dass Vattenfall für ein und dieselbe Sache doppelt und überhöht entschädigt wird und sich den Atomausstieg auf Kosten der Bevölkerung vergolden lässt.” Würde das Schiedsgericht Vattenfall höhere Ansprüche zusprechen, so untergrabe dies die Autorität des Bundesverfassungsgerichts. (js)