Autoritäre Staaten zensieren LGBTIQ-Internetseiten

Regenbogenfahne
In einigen Regionen kann bereits die Nutzung bestimmter Smartphone-Apps zu Strafverfolgung führen. (Quelle: Pixabay)

Staatliche Online-Zensur nimmt weltweit zu – und hat dabei auch LGBTIQ-Inhalte im Visier. Das geht aus einem Bericht des Citizen Lab der Universität Toronto hervor. Die Forschenden haben Blockaden in sechs Staaten untersucht: Indonesien, Iran, Malaysia, Russland, Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Die Staaten seien für schlechte Rahmenbedingungen beim Schutz von Menschenrechten bekannt. Indonesien, der Iran und Russland haben allerdings den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert, der die Meinungsfreiheit garantiert.

Wofür steht LGBTIQ?

Die aus dem Englischen stammende Abkürzung steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intersexuell und queer. Sie bezeichnet Geschlechter, Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen, die von weiblichen, männlichen und heterosexuellen Normen abweichen.

Erfasst wurden Sperren zwischen Juni 2016 und Juli 2020. In diesem Zeitraum blockierte der Iran mit 75 Internetadressen die meisten LGBTIQ-Webseiten. An zweiter Stelle stehen die Vereinigten Arabischen Emirate mit 51 Internetadressen, gefolgt von Indonesien (38), Russland (32), Saudi-Arabien (26) und Malaysia (6). Indonesien und Malaysia blockierten dabei nur internationale Angebote, während lokale Internetseiten weiter zugänglich waren. Alle anderen Länder sperrten sowohl internationale als auch inländische Webseiten.

Hilfsangebote und Organisationen blockiert

Die bekannte Dating-Plattform Grindr war in allen untersuchten Ländern – mit Ausnahme von Malaysia – blockiert. Die Kontaktplattform PlanetRomeo wurde in Indonesien, Malaysia und im Iran zensiert. Russland und der Iran blockierten außerdem das Trevor Project, das in den USA eine Krisen-Hotline für jugendliche LGBTIQ-Personen anbietet.

Außerdem wurden häufig kulturelle Webseiten gesperrt, die etwa Informationen zu Pride-Paraden enthalten: In Indonesien, Malaysia, dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten hatte diese Kategorie den größten Anteil. Auch die Internetauftritte von Menschenrechtsorganisationen wurden in allen Ländern blockiert; in Russland, dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten betraf dies beispielsweise die US-amerikanische Human Rights Campaign. Mit Ausnahme von Saudi-Arabien sperrten alle Länder auch die Seite der “International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association”.

Im Unterschied zu den anderen untersuchten Ländern, sind homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen in Indonesien und Russland nicht strafbar. Doch alle sechs Staaten beschneiden laut Bericht mit Gesetzen LGBTIQ-Rechte: So würden Inhalte in Indonesien häufig als Pornografie eingestuft und daher zensiert. In Russland verbietet ein Gesetz “Propaganda für nichttraditionelle sexuelle Beziehungen unter Minderjährigen”. Damit werden auch Beratungs- und Hilfsangebote untersagt, die sich an Minderjährige richten.

Auch eine gesellschaftliche Stigmatisierung gebe es häufig: Die indonesische Psychiatervereinigung klassifiziere Homo-, Bi- und Transsexualität als “psychische Störung, die sich behandeln lässt”. In den Vereinigten Arabischen Emiraten gelte die LGBTIQ-Bewegung als unmoralisch und sogar Teile der Bevölkerung würden die Zensur entsprechender Inhalte durch die Regierung fordern.

Kein Zugang zu Informationen

Durch die Zensur werde es Menschen verwehrt, über Online-Plattformen an wichtige Informationen zu gelangen, sich mit anderen Menschen auszutauschen und sich zu organisieren. Besonders für marginalisierte Gruppen sei die Möglichkeit, online sicher zu kommunizieren ein “Rettungsanker”, so das Citizen Lab.

Letztlich führe die staatliche Zensur auch zu Selbstzensur: So berichtete eine Aktivistin des südostasiatischen Menschenrechtsnetzwerks Asean Sogie Caucus, ihre Gruppe zensiere sich selbst, damit zumindest einige Informationen online bleiben. Dazu zähle der Verzicht auf Begriffe wie “schwul” oder “lesbisch”. Auch verwende sie keine Bilder, denn bereits Fotos von küssenden gleichgeschlechtlichen Paaren könnten als Pornografie eingestuft werden – und damit zur Sperrung einer Internetseite führen.

Citizen Lab berichtet, Betroffene müssten sich ständig informieren, wie sie sich sicher im Internet bewegen und kommunizieren können. Zwar sei es häufig möglich, gesperrte Webseiten über sogenannte VPN-Verbindungen aufzurufen. Doch im Iran ansässige Anbieter würden teilweise vom Staat überwacht. Trotz entsprechender Warnungen würden viele Nutzerinnen und Nutzer auf diese lokalen Angebote zurückgreifen. Auch in Russland berichten Aktivistinnen und Aktivisten, es sei wichtig zu wissen, wie man im Internet anonym bleibe. Besonders in abgelegenen Gegenden komme es wiederholt zu Angriffen auf LGBTIQ-Personen.

Apps können zu Verhaftung führen

Und es gebe weitere Gefahren: Im Iran und in Saudi-Arabien würden Strafverfolgungsbehörden versuchen, Menschen Fallen zu stellen, indem sie gefälschte Profile in Dating-Apps nutzen. LGBTIQ-Personen drohen in der Folge Verhaftung oder Gewalt. Im Iran habe selbst das bloße Vorhandensein von LGBTIQ-Apps auf dem Smartphone bereits zu Verhaftungen geführt.

Auch in der russischen Teilrepublik Tschetschenien wurden im Jahr 2019 Dutzende homosexuelle Menschen verhaftet. Das soziale Netzwerk Hornet hatte tschetschenische Nutzerinnen und Nutzer daraufhin davor gewarnt, die App zu verwenden: sie sei genutzt worden, um nach homo- und bisexuellen Männern zu suchen.

Durchgeführt hat das Citizen Lab die Untersuchung gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation OutRight Action und dem Projekt Open Observatory of Network Interference, das Online-Zensur weltweit untersucht. Die Organisationen weisen darauf hin, dass der Bericht nicht das gesamte Ausmaß der Zensur abbildet. Auch bedeute die Sperre einer Datingseite nicht immer, dass die dazugehörige App ebenfalls nicht funktioniert.

Dokumentation von Zensur

OutRight Action empfiehlt Mitgliedern von LGBTIQ-Communities, sich über Möglichkeiten zur digitalen Sicherheit zu informieren.

Die Vereinten Nationen und internationale Nichtregierungsorganisationen sollten zudem öffentlich dokumentieren, wo es zu Zensur kommt und Menschenrechtsverletzungen erfassen. Lokale Rechtegruppen sollten unterstützt werden. Gemeinsam mit Aktivisten sollten zudem Wege gefunden werden, um die Auswirkungen von Zensur zu minimieren – etwa durch Kampagnen in den sozialen Medien.

Der Bericht weist auch darauf hin, dass Zensur ohne eine Kooperation privater Firmen schwieriger umzusetzen sei. Anbieter von Filtertechnik müssten daher prüfen, welche Auswirkungen ihre Technik auf die Arbeit von Menschenrechtlern hat. Regierungen sollten das Recht auf ein offenes und unzensiertes Internet verteidigen. (js)