BGH: Encrochat-Daten dürfen als Beweismittel verwendet werden

Encrochat
Kritiker warfen den Behörden Massenüberwachung vor, da nicht alle Encrochat-Nutzer kriminell waren. (Quelle: encrophone.com – Screenshot Posteo)

Europäischen Ermittlern gelang 2020 ein großer Schlag gegen die organisierte Kriminalität, indem sie Chats zwischen Kriminellen entschlüsselten und die dahinter liegenden IT-Systeme infiltrierten. Nun steht fest: Diese Daten dürfen auch in deutschen Strafprozessen als Beweise genutzt werden.

Voraussetzung ist, dass sie der Aufklärung schwerer Straftaten dienen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) entschied. Das Gericht teilte am Freitag in Karlsruhe mit, dass dann “unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt” ein Verwertungsverbot für die Encrochat-Daten bestehe.

Die besonders verschlüsselte Software des Anbieters Encrochat wurde nach Angaben der Behörden vor allem von Kriminellen eingesetzt. Zu nutzen war das Programm nur in Kombination mit speziell präparierten Smartphones, die die Firma vertrieb. Mit den Kryptohandys konnte man weder telefonieren noch ins Internet, sondern nur geschützte Chat- und Sprachnachrichten versenden. Deren Verschlüsselung galt als schwer zu knacken.

Der Polizei in den Niederlanden und Frankreich gelang es trotzdem, mehr als 20 Millionen geheime Nachrichten abzuschöpfen und teilweise zu entschlüsseln. Im Juli 2020 informierte die europäische Justizbehörde Eurojust über die Aktion mit Hunderten Festnahmen.

Über 2000 Ermittlungsverfahren

Wie viele Menschen genau den verschlüsselten Dienst nutzten, ist nicht vollends bekannt: Je nach Quelle ist von 32.000, 60.000 oder 70.000 Nutzerinnen und Nutzern die Rede. Nach Schätzungen der Gerichte und Polizei sollen 70 bis 90 Prozent davon kriminell gewesen sein. Da sich aber nicht alle Nutzer strafbar gemacht haben, sprachen Kritiker von einer sogenannten Schleppnetzfahndung – also einem massenhaften Abhören ohne konkreten Tatverdacht.

Die Daten ermöglichten auch in Deutschland Ermittlungserfolge, vor allem im Bereich der organisierten Drogenkriminalität. Im Juli 2021 zogen das Bundeskriminalamt (BKA) und die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt vorläufig Bilanz. Demnach wurden bundesweit mehr als 2250 Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Es seien fast 3,2 Tonnen Cannabis, etwa 320 Kilogramm synthetische Drogen, mehr als 125.500 Ecstasy-Tabletten, fast 400 Kilogramm Kokain und 10 Kilogramm Heroin sichergestellt worden, hieß es damals. BKA-Präsident Holger Münch sprach im November von mehr als 900 vollstreckten Haftbefehlen.

BGH: Keine Massenüberwachung

Die obersten Strafrichterinnen und -richter der Leipziger Außenstelle des BGH äußerten sich nun zu einem Fall aus Hamburg: Das dortige Landgericht hatte einen Mann wegen Drogenhandels zu fünf Jahren Haft verurteilt. Er wurde auch durch Encrochat-Nachrichten überführt, die von den französischen Behörden übermittelt worden waren. Der Mann hatte geltend gemacht, dass die deutsche Justiz diese Daten nicht hätte verwenden dürfen. Seine Revision blieb ohne Erfolg.

Auch hatte ein Zusammenschluss europäischer Anwälte in einem offenen Brief Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung geäußert. Die Anwälte warfen dem BKA vor, an der rechtswidrigen Datenerhebung beteiligt gewesen zu sein und anschließend die Umstände verschwiegen zu haben.

Wie die BGH-Richter nun mitteilten, kommt es aber nicht darauf an, ob eine Polizeiaktion wie die in Frankreich auch in Deutschland hätte angeordnet werden können. Die in der Strafprozessordnung enthaltene Rechtsgrundlage für die Verwertung von Beweisen gelte auch für im Wege der Rechtshilfe erlangte Daten. Eine ausdrückliche Regelung, dass solche Beweise nur eingeschränkt verwendet werden dürfen, enthalte das deutsche Recht nicht. Die französischen Strafverfolger hatten mit richterlicher Genehmigung auf einen Server in der Stadt Roubaix zugegriffen. Als klar wurde, auf was man da gestoßen war, ließ sich die Staatsanwaltschaft für sämtliche über den Server laufende und auf den Handys gespeicherten Daten eine Abfangeinrichtung genehmigen.

Die Verwertung der erlangten Daten könne zwar einen Eingriff in das von Artikel 10 des Grundgesetzes geschützte Fernmeldegeheimnis enthalten, daher müsse der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders beachtet werden. Laut BGH wurde damit aber nicht gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte oder grundlegende Rechtsstaatsanforderungen verstoßen. Es habe sich nicht um eine anlasslose Massenüberwachung auch unbescholtener Handynutzer gehandelt. Vielmehr sei von vornherein klar gewesen, dass via Encrochat fast nur Kriminelle kommunizieren.

Die Richter halten es auch für unbedenklich, dass die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt den umfassenden Datentransfer in einem Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt beantragt hatte. Die Verdachtslage habe letztlich jeden Nutzer konkret betroffen. (dpa / hcz)