EU will mit Digital-Gesetz Tech-Konzerne regulieren

DMA
Das eigentlich erwartete Verbot personalisierter Werbung für Erwachsene oder Kinder findet sich nicht im Gesetzestext. (Quelle: IMAGO / ZUMA Press)

Tech-Giganten wie Facebook und Google müssen in der Europäischen Union künftig deutlich strengere Regeln einhalten. Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments einigten sich am späten Donnerstagabend in Brüssel auf ein Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA), das die Marktmacht der Internetriesen einhegen und für faireren Wettbewerb sorgen soll. Verbraucher sollen dadurch mehr Wahlfreiheit bei Online-Angeboten bekommen.

Verbraucherschützer zeigten sich am Freitag zufrieden mit den neuen Regeln und sahen den Schutz der Nutzerinnen und Nutzer und kleinerer Unternehmen gestärkt. “Alles in allem stärkt der DMA Wettbewerber, führt zu mehr Innovationen, niedrigeren Preisen und erhöht die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher”, sagte Jutta Gurkmann vom Verbraucherzentrale Bundesverband. “Das war überfällig und wird sich im Alltag der Menschen positiv auswirken.”

Martin Schirdewan (Linke) sprach dagegen von einer ambitionslosen Einigung. “Den DMA auf die großen Tech-Konzerne wie Google, Amazon und Co. plus wenige Ausnahmen zu beschränken, ist ein großer Fehler.”

Gesetz für die digitale Welt

Die Gesetze und Regeln in Europa sind den Realitäten der digitalen Welt nicht mehr gewachsen – so der Eindruck, unter dem die EU-Kommission im Dezember 2020 ein großes Digital-Paket vorgeschlagen hatte. Dazu gehört neben dem Gesetz über digitale Märkte auch das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA). Dieses geht gesellschaftliche Fragen wie den Umgang mit illegalen Inhalten im Netz an und wird noch verhandelt. Der DMA soll die Marktmacht von Digital-Riesen wie Google, Facebook und Amazon beschränken.

Denn Tech-Riesen wie Meta (Facebook) oder Alphabet (Google) sind oft in der Position, ihre Macht auszuweiten und die Konkurrenz auszubremsen. Das Wettbewerbsrecht aus der analogen Welt mit seinen jahrelangen Verfahren kann oftmals nicht helfen bei sich schnell verändernden digitalen Sachverhalten. Der DMA zielt nun auf bestimmte Unternehmen, die besonders populäre Dienste und Plattformen kontrollieren und dadurch eine besondere Marktmacht ausüben. Diese “Gatekeeper” müssen künftig bestimmte Verbote und Vorgaben beachten.

Android und iOS müssen sich öffnen

Eigene Produkte und Angebote dürfen nun nicht mehr bevorzugt gegenüber denen der Konkurrenz behandelt werden. Nutzer sollen beispielsweise vorinstallierte Apps auf Geräten wie Smartphones löschen können. Ausnahmen gelten, wenn die mitgelieferten Programme gebraucht werden, damit das Gerät funktioniert.

Zudem dürfen die großen Unternehmen die Daten aus verschiedenen Quellen künftig nur noch mit ausdrücklicher Nutzereinwilligung zusammenführen und müssen die App-Installation aus alternativen – teils günstigeren – App-Stores erlauben.

Messenger wie WhatsApp werden dazu verpflichtet, sich für die Kommunikation mit kleineren Diensten zu öffnen. Das heißt jedoch nicht automatisch, dass Signal- oder Threema-Nutzer Nachrichten oder Fotos an Freunde bei WhatsApp schicken können. Denn den kleineren Firmen bleibt die Entscheidung, ob sie sich öffnen wollen, selbst überlassen. Wahrscheinlicher ist, dass neue Anbieter auf den Markt kommen, die ihren Dienst mit WhatsApp verknüpfen. Für Gruppenchats wird die Funktion nicht sofort zur Verfügung stehen.

Ein pauschales Verbot personalisierter Werbung oder ein komplettes Verbot personalisierter Werbung für Kinder und Jugendliche ist hingegen nicht im DMA beschlossen worden.

Hauptsächlich große US-Firmen betroffen

Andreas Schwab (CDU), der den DMA für das Parlament verhandelt hat, geht zunächst von 10 bis 15 Tech-Unternehmen aus, die unter den DMA fallen – darunter die US-Riesen Alphabet, Apple, Facebook und Amazon. Der Kompromiss der Unterhändler von EU-Staaten und Europaparlament sieht vor, dass Digitalunternehmen betroffen sind, die entweder einen Jahresumsatz von mindestens 7,5 Milliarden Euro oder eine Marktkapitalisierung von mindestens 75 Milliarden Euro haben. Zudem müssten sie mindestens einen sogenannten zentralen Plattformdienst mit mindestens 45 Millionen aktiven Nutzern und 10.000 aktiven gewerblichen Nutzern monatlich betreiben.

Zu zentralen Plattformdiensten sollen etwa gehören: Suchmaschinen wie Google, Vermittlungsdienste wie Amazon Marketplace, Soziale Medien wie Facebook, Video-Plattformen wie YouTube, Messengerdienste wie WhatsApp oder der Facebook-Messenger, Betriebssysteme wie Apple iOS oder Google Android und Cloud-Dienste wie Amazon AWS.

Bei den Verhandlungen am Donnerstag einigten sich das Parlament und die EU-Staaten zudem darauf, dass auch Web-Browser und Sprachassistenten wie Amazons Alexa dazu gehören. Die DMA-Regeln beziehen sich auf den jeweiligen Plattformdienst – nicht auf das ganze Unternehmen.

Die vorgesehenen Strafen sind so angesetzt, dass sie selbst für die riesigen Tech-Konzerne eine ernstzunehmende Abschreckung darstellen dürften: Bei Verstößen drohen zunächst Sanktionen von bis zu 10 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes. Bei wiederholten Verstößen können es bis zu 20 Prozent sein. In Ausnahmefällen, bei “systematischer Verletzung”, könnte die EU-Kommission unter anderem Fusionen für einen bestimmten Zeitraum verbieten oder strukturelle Maßnahmen wie eine Zerschlagung anwenden.

Wie es jetzt weiter geht

Schon im Oktober könnte der DMA in Kraft treten, sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager am Freitag. Dann gilt allerdings noch eine mehrmonatige Übergangsfrist.

Lobbyarbeit der Tech-Konzerne

Einer Erhebung von Lobby Control und Corporate Europe Observatory aus dem Jahr 2021 zufolge gibt die Digital-Wirtschaft jährlich gut 97 Millionen Euro für Lobbyarbeit in EU-Institutionen aus. Die Digital-Wirtschaft stehe damit noch vor Pharma-, Chemie- oder der Finanzwirtschaft an der Spitze. Das höchste Budget habe Google (5,75 Millionen Euro), gefolgt von Facebook (5,5), Microsoft (5,25) und Apple (3,5).

Die Tech-Firmen hatten im Vorhinein mit massiver Lobbyarbeit versucht, den DMA in ihrem Interesse zu verwässern. So soll es zu DMA und DSA mehr als 270 Treffen mit der EU-Kommission gegeben haben. 75 Prozent davon waren mit Lobbyisten der Industrie.

Apple reagierte auf den Deal nun besorgt darüber, dass einige DMA-Vorschriften unnötige Datenschutz- und Sicherheitslücken für die Nutzer schaffen würden. “Andere Regelungen des DMA werden es uns unmöglich machen, Gebühren für geistiges Eigentum zu erheben, in das wir sehr viel investieren.”

Die “Coalition for App fairness”, in der sich Konkurrenten vor allem von Apple und Google wie Spotify und Epic Games zusammengeschlossen haben, begrüßte die Einigung hingegen als “bedeutenden Schritt im Kampf für ein freies und faires Mobile-App-Ökosystem”. Ein starker DMA werde den Wettbewerb stimulieren und die Innovation fördern, sagte Geschäftsführer Rick VanMeter.

Der Medienverband der freien Presse (MVFP) begrüßt vor allem, “dass mächtige Suchmaschinen und soziale Netzwerke verpflichtet werden, faire, angemessene und nicht-diskriminierende Zugangsbedingungen für gewerbliche Nutzer” anzuwenden. (dpa / hcz)