Britische Regierung wegen gelöschter WhatsApp-Nachrichten vor Gericht

Boris Johnson
Was Premierminister Boris Johnson vor April 2021 auf seinem Smartphone geschrieben hat, wird mangels gespeicherter Nachrichten nie bekannt werden. (Quelle: IMAGO / Eibner Europa)

Zwei Nichtregierungsorganisationen haben in Großbritannien Klage gegen Premierminister Boris Johnson und weitere Regierungsmitglieder eingereicht – unter anderem, weil diese wichtige politische Absprachen über den Messenger-Dienst WhatsApp geführt haben sollen. Dabei hätten sie Mitteilungen im Nachhinein gelöscht oder die automatische Löschfunktion genutzt, sodass nun keine Nachweise mehr für die Konversationen existieren.

Auch hätten sich die Beklagten mithilfe privater Telefone und E-Mail-Konten über offizielle Themen ausgetauscht. Öffentliche Aufzeichnungen seien nicht angefertigt worden. Aus Sicht der Kläger war dieses Verhalten rechtswidrig und undemokratisch.

Wie der Guardian zum Prozessauftakt berichtet, sollen sich einige der Nachrichten mit Angelegenheiten von hoher öffentlicher Bedeutung befasst haben – wie etwa der Pandemiepolitik und der Vergabe von Regierungsaufträgen. Der Zeitung zufolge dürfte dies mindestens gegen interne Regeln der Regierung verstoßen, laut denen “keine nicht-triviale Kommunikation” über private Kanäle laufen darf.

Beschuldigt werden neben hochrangigen Angestellten der Staatskanzlei die ehemaligen Minister für Gesundheit und Bildung. Und auch Premierminister Boris Johnson wird beschuldigt.

Regierungszeit wird “schwarzes Loch”

Zu den Vorwürfen laufen seit Dienstag zwei getrennte Verhandlungen, für die jeweils drei Verhandlungstage angesetzt wurden: Die Transparenzaktivisten von The Citizens (TC) und die gemeinnützige Organisation Foxglove klagen zusammen gegen die Verwendung von selbstlöschenden Nachrichten. Den zweiten Fall bringt die gemeinnützige Organisation Good Law Project gegen die Nutzung von privaten Kommunikationsgeräten vor.

TC bemängelt, dass die Löschung der Nachrichten nicht der mit der “parlamentarischen Demokratie” vereinbar sei. Dadurch sei keine “Prüfung durch Untersuchungen oder Gerichtsverfahren” möglich und es fehle “öffentliche Aufzeichnung für zukünftige Gesellschaften”.

“Unsere Beweise zeigen, dass verschwindende Mitteilungen immer wieder verwendet wurden. Diese Zeit, Boris Johnsons Regierung, wird für zukünftige Historiker ein schwarzes Loch sein”, kritisierte die Exekutivdirektorin von TC, Clara Maguire gegenüber dem Guardian.

Die Regierung hat laut Foxglove bereits zugegeben, dass keine Nachrichten von Boris Johnsons Mobiltelefon von vor April 2021 mehr verfügbar sind. Der wiederholte Verlust von kritischem Material stelle eine ernste Gefahr für die Demokratie dar.

Good Law Project schrieb: “Wenn Politiker glauben, sie könnten sich der Kontrolle durch die Gerichte entziehen oder Anfragen zur Informationsfreiheit umgehen, indem sie private E-Mails und WhatsApp nutzen, stellt sich die Frage: Was haben sie zu verbergen?”

Hochrangige Beschuldigte

Die Kläger haben dem Gericht Zeugenaussagen als Beweise vorgelegt. Sie sollen bestätigen, dass Mitglieder der Regierung private Geräte und automatisch verschwindende Nachrichten genutzt haben.

Unter den beschuldigten Personen soll sich Dominic Cummings, der ehemalige Chefberater des aktuellen Premierministers befinden, sowie die Hälfte der ständigen Sekretäre im Kabinettsbüro, alle Sonderberater und die meisten Minister des Kabinettsbüros, einschließlich des ehemaligen Gesundheitsministers Matt Hancock und des Bildungsministers Nadhim Zahawi.

Die Zeugenberichte sollen auch nachweisen, dass sich Premierminister Boris Johnson Zusammenfassungen offizieller Dokumente per WhatsApp an sein privates Telefon schicken lassen wollte. Dabei sei die Nutzung des Messengers für “nicht triviale Kommunikation” verboten.

Die Klagenden hatten zunächst das Kabinett zur Nutzung von WhatsApp für Regierungsgeschäfte befragt. Dieses hätte sich aber geweigert, die Fragen der Aktivisten zu beantworten. So gingen sie mit dem Anliegen letztlich vor Gericht.

Die Anwälte der Beklagten argumentieren laut Guardian, Minister und Beamte dürften frei entscheiden, wie sie kommunizieren, solange sie dies für “angemessen” halten. Die Verwendung privater Geräte sei an modernen Arbeitsplätzen üblich.

“Die Regierung hat zwar eine Richtlinie über die Nutzung privater E-Mails, aber wir halten sie nicht für zweckmäßig – nicht zuletzt, weil sie nicht festlegt, wann und warum es für Politiker überhaupt akzeptabel ist, ihre eigenen Konten zu nutzen”, schreibt Good Law Project.

“Spitze des Eisberges”

Die Aktivisten streben auch ein Ende der Regierungspraxis an, Nachrichten auf persönlichen Geräten zu löschen oder selbstlöschende Nachrichten zu nutzen. Dies verstoße laut der Kläger gegen das Gesetz über öffentliche Aufzeichnungen.

Die Kläger vermuten, dass die bekanntgewordenen Fälle der automatisch gelöschten Nachrichten nur die “Spitze eines viel größeren Eisbergs seien” – also noch eine deutlich größere Zahl nicht bekannter Fälle existieren könnte.

Die Gerichtsentscheidungen werden nicht zeitnah erwartet. (hcz)