Bundesverfassungsgericht: Klimaschutzgesetz verletzt Grundrechte künftiger Generationen
Klimaschützer haben einen historischen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht erzielt: Die Politik muss beim Klimaschutz nachbessern, um die Grund- und Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil entschieden. Demnach greift das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung aus dem Jahr 2019 zu kurz. Das Gericht erklärte, die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden würden in ihren Freiheitsrechten verletzt. Bis Ende kommenden Jahres muss der Gesetzgeber nun nachbessern und die CO2-Reduktionsziele für die Zeit ab 2031 näher regeln. Damit waren die Verfassungsbeschwerden mehrerer Klimaschützer teilweise erfolgreich – Umweltverbände bezeichnen das Urteil als bahnbrechend.
Das Gericht hat über insgesamt vier Verfassungsbeschwerden gegen das Bundes-Klimaschutzgesetz entschieden. Eingereicht hatten sie Jugendliche und Erwachsene aus Deutschland sowie aus Bangladesch und Nepal. Unterstützt wurden sie dabei vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem Solarenergie-Förderverein Deutschland, von der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Greenpeace, Germanwatch und Protect the Planet. Die Klägerinnen und Kläger hatten argumentiert, dass die Maßnahmen der Bundesregierung nicht ausreichen, um ihre Grundrechte wirksam vor den Folgen der Klimakrise zu schützen und die Verpflichtungen aus dem Pariser Klima-Abkommen zu erfüllen.
Gesetz verletzt Freiheitsrechte
Weil das Bundes-Klimaschutzgesetz lediglich Maßnahmen zur Verringerung von Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 vorsieht, würden “hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030” verschoben, erklärten die Richter nun. Wenn das CO2-Budget schon bis zum Jahr 2030 umfangreich verbraucht werde, verschärfe dies das Risiko “schwerwiegender Freiheitseinbußen”. Denn dann werde die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen knapper, mit denen die Umstellung auf eine klimaneutrale Lebensweise freiheitsschonend vollzogen werden könne.
Um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur wie geplant auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssten dann immer dringendere und kurzfristigere Minderungen erreicht werden. “Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind”, heißt es in der Erklärung des obersten deutschen Gerichts. Der Gesetzgeber hätte Vorkehrungen für einen “freiheitsschonenden Übergang in die Klimaneutralität” treffen müssen. Bislang fehlten diese aber.
Das Gericht beruft sich auf Artikel 20a des Grundgesetzes. Darin heißt es: “Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung […].” Die Richter erklärten, es dürfe nicht einer Generation zugestanden werden, “unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde”. Die nach 2030 verfassungsrechtlich gebotene Treibhausgasminderungslast werde erheblich sein. Künftig könnten selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, erläuterten die Richter. Zwar müssten die Grundrechte abgewogen werden. Aber: “Dabei nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu.” Gerade deshalb drohe dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen.
Sorgsamkeit für natürliche Lebensgrundlagen
Die Richter mahnten, mit den natürlichen Lebensgrundlagen sorgsam umzugehen. Sie müssten der Nachwelt in einem Zustand hinterlassen werden, dass “nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten”.
Nicht feststellen konnten die Richter hingegen, dass der Gesetzgeber mit den bisherigen Bestimmungen gegen seine grundrechtlichen Schutzpflichten verstoßen hat.
“Schallende Ohrfeige”
Kläger und Umweltverbände begrüßten das Urteil ausdrücklich. Luisa Neubauer von Fridays For Future, die auch eine Beschwerdeführerin ist, sagte: “Klimaschutz ist nicht nice-to-have – gerechter Klimaschutz ist Grundrecht, das ist jetzt offiziell. Ein Riesenerfolg – für alle und besonders für uns junge Menschen, die seit über zwei Jahren für ihre Zukunft klimastreiken. Wir werden nun weiter kämpfen, für eine generationengerechte 1,5-Grad-Politik.”
Rechtsanwalt Felix Ekardt nannte das Urteil “bahnbrechend”. Das Bundesverfassungsgericht habe der deutschen Politik “eine schallende Ohrfeige verpasst” und klar gemacht, dass das Paris-Ziel verfassungsrechtlich verbindlich ist. Nun müsse über weitere Schritte beraten werden. Ekardt sagte, es sei “weiterhin eine Option, parallel zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen”.
Rechtsanwältin Roda Verheyen sagte: “Die Zeit für politische Klimaziele ist vorbei. Klimaziele gehören nicht in den reinen Ermessensspielraum des Gesetzgebers, sie haben sich an der Wissenschaft zu orientieren und an den Grundrechten.” Das sei ein großer Gewinn. De facto dürften heutige Generationen “keinen zu großen Schluck aus der Pulle nehmen, auf Kosten der weiteren Generationen”. Verheyen fügte hinzu: “Klimaleugner haben ab heute keine Chance mehr.” Nun müsse der Gesetzgeber einen schlüssigen Reduktionspfad hin zur Treibhausneutralität vorgeben.
Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser begrüßte das Urteil ebenfalls: “Dieses sensationelle Urteil verpflichtet die Bundesregierung, mehr zu tun für den Schutz des Klimas. Maßnahmen dürfen nicht länger aufgeschoben werden, denn das gefährdet die Freiheitsrechte künftiger Generationen. Mit diesem Urteil ist klar, dass der Kohleausstieg in Deutschland deutlich vorgezogen werden muss, dass klimaschädliche Verbrennungsmotoren viel schneller von der Straße müssen und wir eine Landwirtschaft brauchen, die Klima und Natur nicht weiter schädigt sondern künftig schützt.” Es sei ein “historischer Tag” und ein “Feiertag für all die vor allem jungen Menschen, die unermüdlich für besseren Klimaschutz auf die Straße gegangen sind”.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch forderte die Bundesregierung auf, das Urteil sofort umzusetzen. Er sagte: “Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Korrektur des Gesetzes erfordert zusätzliche, drastische strukturelle Veränderungen um nach 2030 das erforderliche minimierte Niveau an Klimagasemissionen zu erreichen.”
Reaktionen aus der Politik
Auch aus der Politik gab es schnell Reaktionen: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bezeichnete das Urteil auf Twitter als “epochal für Klimaschutz und Rechte der jungen Menschen”. Vizekanzler Olaf Scholz und Umweltministerin Svenja Schulze (beide SPD) kündigten an, noch im Sommer Eckpunkte für ein weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz vorzulegen. Scholz betonte, das Urteil sei eine weitreichende Entscheidung für die Zukunft auch des Landes und des Planeten.
Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Grünen, nannte das Urteil den Beleg dafür, dass “die Bundesregierung zu schlechte Klimapolitik macht”. Es sei verantwortungslos, dass die Regierung Bürgerinnen und Bürger “nicht genug vor den Gefahren der Klimakrise schützt”.
Bundestag und Bundesrat hatten Ende 2019 dem Klimapaket der Bundesregierung zugestimmt, nachdem Bund und Länder noch Kompromisse ausgehandelt hatten. Wesentlicher Punkt ist das nun nachzubessernde Klimaschutzgesetz. Es legt für einzelne Bereiche wie Verkehr, Landwirtschaft oder Gebäude fest, wie viel Treibhausgase diese ausstoßen dürfen, um das Einhalten der nationalen und europäischen Klimaschutzvorgaben zu gewährleisten.
Nach dem Pariser Klimaabkommen soll der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden, um Folgen des Klimawandels so gering wie möglich zu halten. (dpa / js)