Corona-Krise: Autokraten profitieren von Überwachung
Während in vielen Ländern auf der Welt derzeit besondere Regeln gelten, um die Corona-Pandemie einzudämmen, nutzen Autokraten die Krise für ihre Zwecke. Russlands Kremlchef Wladimir Putin setzte innerhalb weniger Tage Gesetze für eine härtere politische Gangart in Kraft. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban erließ ein Notstandsgesetz. Besonders die autoritären Anführer verstehen es in Krisenzeiten, ihre Macht weiter ausbauen – zulasten der Freiheit der Bürger, wie Menschenrechtler und Oppositionelle beklagen.
Mehr digitale Überwachung
Kaum ein Instrument gewinnt in dieser Zeit des Kampfes gegen die Corona-Epidemie so rasch an Gewicht wie digitale Technologien. “Die Welle der Überwachung, die wir sehen, ist wirklich so nie da gewesen. Sie übertrifft sogar die Reaktionen der Regierungen weltweit auf 9/11”, sagte der Experte Edin Omanovic von der Menschenrechtsorganisation Privacy International der Deutschen Presse-Agentur.
Schon nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA verschärften viele Staaten Gesetze für den Kampf gegen islamistische Terroristen. Omanovic sieht nun wie damals die Gefahr, dass die vielerorts erlassenen Gesetze und der Einsatz neuer Technologien die Freiheiten dauerhaft bedrohen.
Beispielsweise nutzt die Stadt Moskau seit einigen Tagen unter anderem Überwachungskameras und Standortdaten von Mobiltelefon, um Menschen in Corona-Quarantäne auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Die ersten Strafen ergingen bereits. Als “Tyrannei” bezeichnete der prominente Oppositionelle Dmitri Gudkow die neuen russischen Gesetze. “Das Coronavirus beschleunigt den Prozess für den Übergang zur Diktatur”, sagte er. Quarantäne sei wichtig, aber hier werde Machtmissbrauch betrieben.
Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warnt, dass schon mehr als 20 Länder über Telekommunikationsdaten Aufenthaltsorte bestimmen. Dabei wirft HRW besonders China und Russland vor, die digitale Technik zur Überwachung im Kampf gegen die Krankheit Covid-19 ungerechtfertigt stark einzusetzen. Mehr als 100 Organisationen zeigten sich in einer Stellungnahme besorgt, dass die Privatsphäre und persönliche Freiheiten in vielen Staaten bedroht seien – nicht nur in autokratisch geführten, sondern auch in demokratischen Gesellschaften.
Notstandsgesetz und Ausnahmezustand
In Russland unterzeichnete Putin auch ein Gesetz, das der Regierung Sondervollmachten für einen Ausnahmezustand gibt. Sollte sich die Epidemie ausweiten, ist es demnach nur eine Frage der Zeit, bis die Daumenschrauben für die Russen noch fester angezogen werden.
In Ungarn kann der rechtsnationale Regierungschef per Notstandsgesetz schon jetzt am Parlament vorbei und zeitlich unbefristet auf dem Verordnungsweg regieren. Neue Strafbestimmungen drohen Journalisten mit Gefängnis, wenn sie durchaus wahre Tatsachen so wiedergeben, dass sie größere Menschengruppen “beunruhigen”.
Schon bisher hat Orban mit der verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit im Parlament den Großteil der Medien gleichgeschaltet, die Unabhängigkeit der Justiz beschädigt und die Wissenschafts- und Lehrfreiheit eingeschränkt. Weitere Repressionen gelten als möglich. “Das neue Gesetz und die damit einhergehende unbefristete Ermächtigung sind gefährliche Waffen”, kritisierte das ungarische Helsinki-Komitee in einer Stellungnahme.
Auch in Afrika wurden Notstandsgesetze mit weitreichenden Beschneidungen individueller Freiheitsrechte in fast allen Ländern des Kontinents erlassen. Erste Hinweise auf exzessiv ausgeübte Macht gibt es bereits. Gut dokumentierte Übergriffe von Polizisten oder Soldaten haben etwa in Kenia, Uganda, Südafrika oder dem Kongo Menschenrechtsgruppen auf den Plan gerufen. John Steenhuisen von Südafrikas Oppositionspartei Democratic Alliance forderte das Parlament zum Schutz der Bürger auf. Die brutalen Übergriffe nannte er “inakzeptabel und besorgniserregend”.
Verschärfte Strafen
Verbreitet sind auch schärfere Strafen. Im schlimmsten Fall drohen in Russland bei Verstößen gegen die Corona-Quarantäne jetzt hohe Geld- oder sogar Haftstrafen. Und auch von den Behörden als “Fake News” eingestufte Informationen im Internet ziehen nun härtere Sanktionen nach sich.
Vor allem aber der Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte, sorgte mit drastischen Worten international für Aufsehen, als er in einer Fernsehansprache über die verhängten Ausgangsbeschränkungen sprach: “Meine Anweisungen an die Polizei und das Militär, wenn jemand Ärger macht und ihre Leben in Gefahr sind: Erschießt sie”, sagte der Staatschef.
Epidemie als Chefsache
Für die Staatschefs geht es in Krisenzeiten vor allem um das politische Überleben. In China schien es nach dem Ausbruch des Virus so, als könnte die Krise für Staatschef Xi Jinping gefährlich werden. Es kam zum Aufschrei im Land, als klar wurde, dass Ärzte in der Millionenmetropole Wuhan schon im Dezember vor dem Virus gewarnt hatten, aber zum Schweigen gezwungen wurden. Doch Xi, der mächtigste Führer seit Staatsgründer Mao Tsetung, konnte das Blatt wenden.
Den Kampf gegen die Epidemie machte Xi zur Chefsache, präsentierte schnelle Erfolge. Rigoros wurden lokale Politiker in der besonders betroffenen Provinz Hubei entlassen und zu Sündenböcken gemacht. Seit Wochen verkünden die Behörden nun, dass es kaum noch lokale Infektionen gebe. Während Teile der Welt im Chaos versinken, kehrt China langsam zur Normalität zurück. Die Staatspropaganda präsentiert Xi als Staatschef, der den Krieg gegen das Coronavirus gewonnen hat. (dpa)