Datenschutzbeauftragte sieht Gefahr in gezielter Wahlwerbung
Die Berliner Landesdatenschutzbeauftragte Meike Kamp hat die politischen Parteien davor gewarnt, beim Wahlkampf für die bevorstehenden Europawahlen gezielt Werbung an bestimmte Personengruppen auszuspielen. Die Parteien sollten aber nicht nur auf das sogenannte Microtargeting bei digitaler Wahlwerbung verzichten, sondern auch für Angriffe auf ihre IT-Systeme sowie Desinformation gewappnet sein, heißt es in einem offiziellen Schreiben von Kamp an alle im Bundestag vertretenen Parteien mit Sitz in Berlin.
Kamp wies in ihrem Schreiben darauf hin, dass neben den Online-Plattformen, auf denen die Werbung geschaltet wird, auch die Parteien eine rechtliche Verantwortung für die Datenverarbeitungen tragen. Die Parteien nutzten die von den Werbenetzwerken über potenzielle Wählerinnen und Wähler gesammelten personenbezogenen Daten, indem sie daraus erstellte Interessenkategorien für die gezielte Ausspielung ihrer Wahlwerbung auswählten.
“Es besteht die Gefahr, dass das zielgenaue Ausspielen von politischer Werbung auf der Grundlage von umfassenden Nutzungsprofilen den öffentlichen Diskurs verzerrt, polarisierende Inhalte verstärkt und Debatten fragmentiert”, erklärte Kamp. Wahlwerbung dieser Art widerspreche den zentralen Aufgaben der Parteien, öffentlichen Diskurs anzuregen, vielfältige Meinungen zu bündeln, zu Kompromissen zu führen, zu koordinieren und zu organisieren.
Intransparenz für Empfänger
“Unabhängig von der Art der Daten birgt aber auch die Verarbeitung in Form der Selektion von Personen auf der Grundlage von umfangreichen Nutzungsprofilen Risiken”, schrieb Kamp. Für die betroffenen Personen seien die genauen Vorgänge der Datenverarbeitung häufig nicht transparent. So sei es für Social-Media-Nutzende schwer zu erkennen, was die Werbenden veranlasst hat, speziell sie mit dem spezifisch zugeschnittenen Inhalt anzusprechen.
Die Möglichkeit der Einordnung bestehe in den intransparenten und hochkomplexen Systemen der Werbenetzwerke beziehungsweise Plattformwerbung in der Regel nicht mehr, sei aber gerade bei politischen Botschaften eigentlich unerlässlich", so Kamp.
Es sei zu befürchten, dass Menschen nur noch mit Wahlwerbung konfrontiert würden, die dem entspreche, was sie individuell hören möchten, sodass zentrale Funktionen der Parteien wie die politische Willensbildung und die Anregung zum öffentlichen Diskurs auf der Strecke bleiben. Debatten würden dann nur noch in kleinen Gruppen geführt und polarisierend in eine Richtung geführt. Den Nutzern falle es dann immer schwerer, aus der eigenen Meinungsblase herauszutreten, “um gegebenenfalls auch mal nicht zu ihnen ‘passende’ Inhalte wahrzunehmen”. Sie würden nur noch mit dem konfrontiert, “was sie vermeintlich hören möchten”.
NGO beschwert sich
Die Datenschutzvereinigung Noyb hatte im März 2023 bereits Beschwerden bei den zuständigen Datenschutzbeauftragten eingereicht, weil einzelne Parteien zuletzt bei der Bundestagswahl 2021 das umstrittene Microtargeting auf Facebook verwendet hatten. Das US-Netzwerk habe dabei im Hintergrund die politischen Ansichten der Nutzerinnen und Nutzer ausgewertet.
Datenauswertungen hätten ergeben, dass Facebook-User gezielt mit politischer Werbung adressiert wurden. Dies sei per se zwar nicht verboten. Allerdings seien politische Meinungen nach Artikel 9 der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) besonders geschützt und dürften nicht Grundlage einer gezielten Werbeansprache sein, erklärte Noyb.
“Eine der größten Gefahren von politischem Microtargeting besteht darin, dass die Meinungsbildung von Wähler:innen beeinflusst werden kann. Politische Parteien können spezifischen Wähler:innengruppen unzählige geheime Versprechungen machen, die für alle anderen gar nicht wahrnehmbar sind”, warnte Noyb im März 2023. Es könnten im Einzelnen Erwartungen geweckt werden, die schlussendlich gar nicht erfüllt werden können. “Die Folge ist eine Polarisierung der Gesellschaft und einzelne Parteien können sich durch widersprüchliche Versprechen Vorteile im Wahlkampf erschaffen”, so Noyb weiter.
Weitere Gefahren
Die Datenschutzbeauftragte warnt in ihrem Schreiben an die Parteien auch vor den Gefahren von Desinformationskampagnen und Cyberangriffen. Desinformation könne verschiedene Formen annehmen, von gefälschten Nachrichtenartikeln und manipulierten Bildaufnahmen bis hin zu gezielten Social-Media-Kampagnen.
“Angriffe auf die IT-Infrastruktur einer Partei können in diesem Zusammenhang darauf abzielen, vertrauliche Informationen zu stehlen, um sie zur Verbreitung oder zur Legitimierung von Fehlinformationen zu nutzen.” (dpa / hcz)