Amnesty-Jahresbericht: Menschenrechte weltweit immer mehr unter Druck
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind weltweit so bedroht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Zu diesem Schluss kommt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Jahresbericht, der die Menschenrechtslage in 155 Staaten dokumentiert.
Amnesty kritisiert, die Universalität der Menschenrechte werde durch Kriege und Konflikte, aber auch durch wachsende soziale Ungleichheit und die Klimakrise infrage gestellt.
“Wir verurteilen, dass weltweit nationalistische, rassistische und frauenfeindliche Kräfte an Zuspruch gewinnen, denn sie greifen die Idee gleicher Würde und gleicher Rechte aller Menschen in Wort und Tat an. Im Umgang mit bewaffneten Konflikten dominieren Doppelstandards”, sagte die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, anlässlich der Veröffentlichung des Berichts.
Leidende Zivilbevölkerung
Wie die Menschenrechtsorganisation berichtet, verstoßen Regierungen, Sicherheitskräfte und bewaffnete Gruppen in vielen Teilen der Welt gegen das Völkerrecht – was verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung habe. Amnesty kritisiert etwa Angriffe der russischen Armee auf dicht besiedelte zivile Gebiete sowie auf Infrastruktur zur Energiegewinnung und Getreideexporte in der Ukraine. Die Organisation habe in dem Krieg zudem Folter und Misshandlungen von Kriegsgefangenen dokumentiert.
Auch den Konfliktparteien im Sudan wirft die NGO vor, gezielte Angriffe verübt zu haben, bei denen Zivilpersonen verletzt und getötet wurden. Der Krieg habe die weltweit größte Vertreibungskrise ausgelöst: Mehr als acht Millionen Menschen wurden laut Amnesty zur Flucht gezwungen. Das Land stehe zudem kurz vor einer Hungersnot.
Angriffe auf Zivilisten beklagt Amnesty auch in Myanmar und im Gazastreifen.
Rückschritte bei Frauenrechten
Im vergangenen Jahr hat es laut Bericht in vielen Staaten Rückschläge bei der Achtung von Frauenrechten gegeben: Das UN-Organ “UN Women” habe etwa gemahnt, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zunehme.
Amnesty kritisiert, einige Regierungen hätten die Diskriminierung von Frauen und Mädchen weiter verschärft. So auch in Afghanistan, wo Frauen nun jegliche Bildung über die Grundschule hinaus verboten sei. Sie dürfen auch nicht mehr für Einrichtungen der Vereinten Nationen, in NGOs oder im öffentlichen Dienst arbeiten.
Im Iran setzen die Behörden den Kopftuchzwang unerbittlich durch. In beiden Ländern drohen Frauen “brutale staatliche Vergeltungsmaßnahmen”, wenn sie ihre Rechte wahrnehmen.
In Bezug auf sexuelle und reproduktive Rechte habe es im Jahr 2023 teils Fortschritte gegeben: In Mexiko beispielsweise erklärte Oberste Gerichtshof die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen für verfassungswidrig. Frankreich und Spanien haben den Zugang zu Abtreibungen erleichtert.
In den USA hingegen haben 15 Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche komplett verboten oder lassen sie nur noch in wenigen Ausnahmefällen zu.
Todesstrafe wegen Homosexualität
Zahlreiche Regierungen haben außerdem die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) eingeschränkt. Uganda beispielsweise hat den neuen Straftatbestand der “schweren Homosexualität” eingeführt – auf den die Todesstrafe steht. In Indien urteilte der Oberste Gerichtshof gegen die rechtliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe.
Weltweit galten im vergangenen Jahr in 62 Ländern Gesetze, die gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unter Strafe stellten.
Amnesty widmet sich im aktuellen Bericht auch den Auswirkungen von neuen und bestehenden Technologien auf die Menschenrechte. Die Organisation warnt beispielsweise, künstliche Intelligenz (KI) könne bestehende Ungleichheiten verstärken. Auch Hass im Internet könne so noch großflächiger verbreitet werden. Angesichts von zahlreichen Wahlen im Jahr 2024 sei auch die Verbreitung politischer Fehl- und Falschinformationen besorgniserregend – die NGO erwartet eine Zunahme solcher Fälle.
In Serbien wurde ein halbautomatisches System für die Vergabe von Sozialleistungen eingeführt. Dadurch hätten möglicherweise Tausende Menschen den Zugang zu lebenswichtiger Sozialhilfe verloren – besonders Roma und Menschen mit Behinderung seien betroffen gewesen.
Überwachungstechnologien
Staaten wie Argentinien, Brasilien, Indien und Großbritannien setzten zunehmend auf Gesichtserkennung, um öffentliche Proteste und Sportveranstaltungen zu überwachen.
Lena Rohrbach von Amnesty Deutschland sagte: “Diese Technologien leisten Diskriminierung, Rassismus und der unverhältnismäßigen und damit rechtswidrigen Überwachung Vorschub. Gleichzeitig bleibt Spionagesoftware weltweit weitgehend unreguliert, obwohl es seit Langem Beweise für die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen gibt.”
Auch 2023 haben Sicherheitsforscher die Überwachung von Medienschaffenden und zivilgesellschaftlich engagierten Personen mittels Spähsoftware aufgedeckt – etwa in Armenien, Indien, Serbien und der Dominikanischen Republik.
Hochinvasive Spionagesoftware und Gesichtserkennungstechnologie müssten unverzüglich verboten werden, fordert die Organisation. Der Einsatz von KI müsse reguliert werden.
Auch in Deutschland sieht Amnesty negative Entwicklungen der Menschrenrechtslage. So hätten Übergriffe und politisch motivierte Straftaten zugenommen – darunter insbesondere Gewaltdelikte, Beleidigungen und Angriffe auf Schutzsuchende und Flüchtlingsunterkünfte. Auch Fälle von Präventivgewahrsam gegen Klimaaktivisten kritisierte die Organisation.
Amnesty International fordert angesichts der weltweiten Rückschritte beim Menschenrechtsschutz den Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft. So müssten beispielsweise Zivilisten in Konflikten besser geschützt werden. Auch Gewalt gegen Frauen und marginalisierte Gruppen müsse bekämpft werden. Es gelte, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu stärken. (js)