Erste Statistik zum Einsatz von Staatstrojanern veröffentlicht
Update: Die vom Bundesamt für Justiz veröffentlichten Zahlen haben sich nach Recherchen des WDR und NDR als falsch erwiesen. Die an der Statistik beteiligten Behörden hatten teils falsche Angaben gemacht. So gibt dieser Artikel den Sachverhalt größtenteils nicht mehr korrekt wieder. Aus Dokumentationsgründen bleibt er aber online. Weitere Informationen zu dem Vorfall finden Sie hier.
Das Bundesamt für Justiz (BfJ) hat erstmals statistische Zahlen zum Einsatz der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass die Strafverfolgungsbehörden im Jahr 2019 insgesamt 380-mal den sogenannten Staatstrojaner eingesetzt haben. 368-mal geschah dies im Rahmen der Quellen-TKÜ, 12-mal kam es mithilfe des Staatstrojaners zu Online-Durchsuchungen.
Insgesamt ordneten Richter 578 mal eine Quellen-TKÜ nach Paragraf 100a Strafprozessordnung (StPO) an, doch in rund 32 Prozent der Fälle scheiterte die Infiltration oder wurde aus anderen Gründen nicht durchgeführt.
Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern am aktivsten
Der Bericht schlüsselt die Einsätze nach Bundesländern auf: Niedersachsen ordnete die Quellen-TKÜ mit 129 Fällen am häufigsten an; durchgeführt wurden davon 89. Noch öfter angewandt wurde die Quellen-TKÜ mit 95 Fällen in Mecklenburg-Vorpommern – trotz der vergleichsweise geringen Bevölkerungszahl. Anordnungen gab es dort 118.
Es folgen Bremen mit 94 Anordnungen und elf Durchführungen, Sachsen mit 89 Genehmigungen und 76 Umsetzungen sowie Hessen mit 64 angeordneten und 52 umgesetzten Quellen-TKÜ.
In Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen wurde der Einsatz von Staatstrojanern in keinem Fall angeordnet, in Rheinland-Pfalz wurden die einzigen drei Anordnungen nicht umgesetzt.
Mehr Telekommunikationsüberwachungen
Richter ordneten bundesweit in 5252 Verfahren Überwachungen der Telekommunikation nach Paragraf 100a StPO an – einschließlich Quellen-TKÜ. Das ist eine Steigerung von 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
In den einzelnen Verfahren wurden häufig mehrere Überwachungsanordnungen erlassen, sodass insgesamt 18.225 Überwachungen der Telekommunikation angeordnet wurden. 2.717 waren Verlängerungsanordnungen. Rund 40 Prozent beziehungsweise 8624 Überwachungsmaßnahmen fanden aufgrund von Drogendelikten statt, 3372 wegen Betrug und Computerbetrug und 1833 wegen Bandendiebstahl. Wegen Delikten im Zusammenhang mit Kinderpornographie wurden hingegen nur selten Überwachungen angeordnet: Im gesamten Berichtsjahr ergingen nur 21 entsprechende Beschlüsse.
Quellen-TKÜ
Die Ermittler dürfen die Quellen-TKÜ seit 2017 für die Aufklärung schwerer Straftaten einsetzen. Bei welchen Straftatbeständen dies erlaubt ist, ist im Gesetz festgelegt; die Palette reicht von Computerbetrug über Mord bis hin zu Hochverrat. In welchen Fällen die Richter die Quellen-TKÜ aber tatsächlich anordneten, ist in der Statistik nicht aufgeschlüsselt.
Bei der Quellen-TKÜ können die Ermittler verschlüsselte Kommunikation beispielsweise von Messengern oder Internettelefonie mitschneiden. Die Daten werden direkt auf dem Endgerät des Nutzers abgegriffen, also bevor sie ver- oder nachdem sie entschlüsselt wurden.
Das macht einen Eingriff in die Software des Geräts nötig, also einen Hack. Dazu schleusen die Ermittler den sogenannten Staatstrojaner auf das Gerät. Im Normalfall bekommt der Betroffene nichts von der Manipulation mit. Die Software des Staatstrojaners heißt offiziell Remote Forensic Software (RFS, Fernforensische Software).
Online-Durchsuchungen
Das erste Mal hat das BfJ auch Zahlen zu heimlichen Online-Durchsuchungen im Jahr 2019 nach Paragraf 100b StPO veröffentlicht. Laut Bericht ordneten Richter in 20 Fällen solche Überwachungen an. Zwölf Durchsuchungen wurden tatsächlich durchgeführt.
Sechs der ausgeführten IT-Durchsuchungen entfielen auf Bayern; zwei auf Nordrhein-Westfalen, jeweils eine Online-Durchsuchung wurde in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen durchgeführt. 13 der Anordnungen erfolgten aufgrund von räuberischer und besonders schwerer Erpressung, 12 wegen Drogendelikten und 2 wegen der Bildung krimineller und terroristischer Vereinigungen.
Standortdatenerfassung
In einer dritten Statistik legte das BfJ offen, wie oft Ermittler Verbindungs- und Standortdaten im Jahr 2019 nach Paragraf 100g StPO abgefragt haben. In 19.562 Verfahren wurden solche Daten erhoben, richterlich angeordnet wurde die Maßnahe in 27.231 Fällen. (hcz)