Estland: Europäischer Gerichtshof verbietet Vorratsdatenspeicherung erneut

Europarecht
Ein Diebstahl ist nach Ansicht des EuGH kein Grund, anlasslos gespeicherte Daten heranzuziehen. (Quelle: IMAGO / Alexander Limbach)

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat erneut einem nationalen Gesetz zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung eine Absage erteilt. Nationale Regelungen seien unzulässig, wenn sie die den Zugang zu auf Vorrat gespeicherten Daten nicht “auf Verfahren zur Bekämpfung schwerer Kriminalität oder zur Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit” beschränkten. Erst im vergangenen Herbst hatte sich das Gericht mehrfach gegen das pauschale und flächendeckende Verpflichten von Anbietern zur Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen – und den entsprechenden Regelungen in Frankreich, Belgien und Großbritannien eine Absage erteilt.

Diebstahl reicht nicht

Im nun entschiedenen Fall ging es um die Vorratsdatenspeicherung in Estland. Dort wurde eine Person wegen Diebstahls, Verwendung einer gestohlenen Bankkarte und Gewalt gegenüber Beteiligten zu zwei Jahren Haft verurteilt. Im Prozess wurden auch personenbezogene Daten der beschuldigten Person herangezogen. Die Ermittler hatten diese mit Genehmigung der Staatsanwaltschaft bei einem Kommunikationsdienstleister erhalten. Dies sei nach Europarecht nicht zulässig gewesen.

Das Gericht stellte klar, Zugang zu den sensiblen Verkehrs- oder Standortdaten dürfe nur “zur Bekämpfung schwerer Kriminalität oder zur Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit gewährt werden”. Nationale Gesetze zum Zugriff auf anlasslos gespeicherte Daten müssten laut EuGH zudem vorschreiben, dass ein Gericht oder eine unabhängige Stelle den Zugriff auf die Daten erlauben muss. Die Entscheidung einer ermittelnden Staatsanwaltschaft reiche nicht aus.

Bundesregierung gibt VDS nicht auf

In Deutschland liegt die Vorratsdatenspeicherung bereits aufgrund eines früheren EuGH-Urteils auf Eis: Das Gericht hatte 2016 entschieden, dass eine “unterschiedslose” Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Im Juni 2017 hatte die Bundesnetzagentur den Speicherzwang für Internet-Provider und Telefonanbieter vorläufig ausgesetzt – nur wenige Tage vor dem Inkrafttreten der geplanten Vorschriften.

Die Regierungsparteien lassen sich dennoch nicht von der Vorratsdatenspeicherung abbringen. Deutschland arbeitet auch auf EU-Ebene weiterhin auf eine Wiedereinführung der anlasslosen Datenspeicherung hin – und nutzte seine Ratspräsidentschaft bis Dezember 2020 unter anderem dazu, dieses Unterfangen weiterzuverfolgen.

Ein Urteil zu den deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung steht vor dem EuGH noch aus. Im November 2020 hatte ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags allerdings prognostiziert, dass auch das deutsche Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof “kaum Bestand haben dürfte”. Das Prüfverfahren läuft noch.

Die Vorratsdatenspeicherung steht immer wieder in der Kritik, weil sie einen tiefen Eingriff in die Rechte der Bürger darstellt und weil eine große Gefahr zum Missbrauch besteht. In Dänemark führte die Verwendung solcher Daten vor Gericht 2019 sogar zum größten Justizskandal der Geschichte des Landes: Dort stellten sich verwendete Telekommunikationsdaten im Nachhinein als falsch heraus. Es handelte sich um Verbindungs- und Standortdaten. Die Rohdaten wurden über Jahre hinweg falsch konvertiert. Die Justiz muss nun viele Fälle neu aufrollen und prüfen, ob falsche Urteile gesprochen wurden. (hcz)