Bundesrat beschließt Personenkennziffer
Kritiker ziehen Parallelen zur DDR und der Zeit der Nationalsozialisten – und die Verfassungskonformität ist hoch umstritten: Dennoch hat der Bundesrat dem sogenannten Registermodernisierungsgesetz am vergangenen Freitag grünes Licht gegeben.
Damit steht den Plänen der Bundesregierung, die Steueridentifikationsnummer zu einer umfassenden Personenkennzahl (alias “Bürger-ID”) umzuwandeln, nichts mehr im Weg. Diese Nummer wird einmalig für jede dauerhaft in Deutschland lebende Person vergeben. Das neue Gesetz erlaubt es Behörden, Basisdaten einer Person bei anderen Behörden abzufragen. Insgesamt soll das bei 50 Stellen möglich sein; wie dem Melderegister, dem Führerscheinregister, der Rentenversicherung und den Krankenkassen.
Voraussichtlich illegal
Obwohl das vom Bundesinnenministerium eingebrachte Gesetz nun verabschiedet wurde, bleibt seine Verfassungskonformität weiterhin hoch umstritten: Kritiker verweisen unter anderem auf das sogenannte Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983. Damals hatte das Gericht ein einheitliches Personenkennzeichen verboten. Die Befürchtung war es, “den einzelnen Bürger in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren”.
Auch im sogenannten Mikro-Zensus-Beschluss von 1969 untersagte das Bundesverfassungsgericht eine “umfassende Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit”. Und das Finanzgericht Köln sprach im Jahr 2010 zur Einführung der Steuer-ID von einem strikten Verbot eines einheitlichen, für alle Register und Daten geltenden Personenkennzeichens. Die ursprüngliche Steuer-ID fiel nicht unter dieses Verbot, weil sie nur bereichsspezifisch genutzt wird.
Im September 2020 hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der deutschen Datenschutzbehörden, der Gesetzentwurf stehe im Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Regelungen, da sich so Daten zusammenführen ließen. Die Datenschutzkonferenz warnte damals davor, dass sich die Steuer-Identifikationsnummer so von ihrer Zweckbestimmung für steuerliche Angelegenheiten löse, “obwohl sie nur deswegen bislang als verfassungskonform angesehen werden kann”.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber lehnte die Pläne ebenfalls ab. Im vergangenen Sommer erklärte er: “Durch die Verwendung einer einheitlichen Identifikationsnummer besteht ein erhebliches Risiko der missbräuchlichen Zusammenführung der Daten aus unterschiedlichen Registern. Damit werden viele Sicherheitsmaßnahmen entwertet. Ich hoffe, dass uns nicht wieder erst das Bundesverfassungsgericht vor einem zu neugierigen Staat schützen muss.”
Auch die Experten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages warnten im Vorfeld vor “erheblichen Schwierigkeiten”. Sie urteilten in einem Gutachten, dass sowohl die Einführung einer Identifikationsnummer als auch die Verarbeitung von personenbezogenen Daten Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen. Auch sie sehen die Gefahr, dass mithilfe der Personenkennziffer in Zukunft Persönlichkeitsprofile angefertigt werden.
Datenschutzbeauftragte einig
Zwei Tage vor der Abstimmung im Bundesrat hatte sich der sächsische Datenschutzbeauftragte, Andreas Schurig, noch einmal zu Wort gemeldet. In einer Pressemitteilung mahnte er: “Durch die Schaffung eines einheitlichen und verwaltungsübergreifenden Personenkennzeichens besteht die Gefahr, dass umfangreiche Persönlichkeitsprofile erstellt werden – ein großer Schritt zum gläsernen Bürger.” Er erinnerte daran, dass die DDR Anfang der 70er Jahre eine umfassende Personenkennzahl eingeführt hatte und diese zur Kontrolle der Bevölkerung genutzt wurde.
Die Landesbeauftragte für den Datenschutz Schleswig-Holstein, Marit Hansen, schloss sich in einer Mitteilung der Kritik ihres sächsischen Kollegen an. Hansen verwies auf ungefährlichere Alternativen: “Es gibt Lösungen, die ohne eine übergreifende Personennummer wie die Steuer-ID auskommen und deutlich datenschutzfreundlicher sind – beispielsweise werden in Österreich sektorspezifische Personenkennziffern eingesetzt. Nach meinem Eindruck hat die Bundesregierung datenschutzfreundlichere Alternativen nie ernsthaft erwogen, sondern von vornherein pauschal abgelehnt.”
Ebenfalls historische Parallelen sah der Verein Digitalcourage und wies im Herbst 2020 darauf hin, dass ähnliche Systeme wie die Bürgernummer sowohl in der DDR (“Personenkennzahl”) als auch während der NS-Diktatur (“Reichspersonalnummer”) existierten. Dort seien sie “zur Erfassung, zur Repression bis hin zur Vernichtung genutzt” worden. Die Mitglieder von Digitalcourage verleiteten ihren Sorgen Ausdruck, indem sie der deutschen Innenministerkonferenz vergangenes Jahr den Negativpreis “Big Brother Award” verliehen.
Netzpolitik.org sieht in der Umwidmung der Steuer-ID ein Beispiel dafür, “wie einmal eingeführte Systeme später zu einer Ausweitung der Überwachung genutzt werden”. Die Nachrichtenseite verweist auf die Debatte zur Einführung der Steuer-ID in den Jahren 2007 und 2008. Damals hatten die heutigen Regierungsparteien CDU und SPD behauptet, dass es sich bei der Steuer-ID nicht um eine Personenkennzahl handele. Das Gegenteil wurde nun von denselben Parteien beschlossen. (hcz)