EU-Verbraucheragenda: Bessere Produktinformationen und mehr Nachhaltigkeit
Europäische Verbraucherinnen und Verbraucher sollen aufgeklärtere Kaufentscheidungen treffen können: Hierfür hat die Europäische Kommission in dieser Woche ihre neue Verbraucheragenda vorgestellt. Sie umfasst fünf Bereiche: Grüner Wandel, Digitaler Wandel, Durchsetzung der Verbraucherrechte, Besondere Bedürfnisse bestimmter Verbrauchergruppen und Internationale Zusammenarbeit.
Kurzlebige Produkte
Im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit soll beispielsweise dem Problem entgegengewirkt werden, dass viele Produkte nicht lange halten und unter umweltschädlichen Bedingungen produziert werden. 85 Prozent der Verbraucher würden sich mehr Informationen über die Haltbarkeit eines Produkts vor dem Kauf wünschen. Studien hätten gezeigt, dass sich Produkte mit solchen Angaben fast dreimal besser verkaufen. Auch seien die Konsumenten dazu bereit, für langlebigere Waren mehr zu zahlen.
Generell zeigten die europäischen Verbraucher ein wachsendes Interesse daran, persönlich zum Erreichen von Klimaneutralität, zum Erhalten der natürlichen Ressourcen und der biologischen Vielfalt sowie zur Verringerung der Wasser-, Luft- und Bodenverschmutzung beizutragen. Nach Willen der EU-Kommission soll es den Verbrauchern künftig besser möglich sein, unabhängig von der finanziellen Situation eine “aktive Rolle bei dem grünen Übergang zu spielen”. Der Zugang zu nachhaltigen Produkten solle nicht von der Höhe des Einkommens oder dem Wohnort abhängen.
Ein neuer Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft soll Maßnahmen gegen frühe Obsoleszenz beinhalten und gleichzeitig Haltbarkeit, Recyclingfähigkeit, Reparaturfähigkeit und “Zugänglichkeit” fördern. Nachhaltige Produkte sollen zur Norm werden. Als Beispiele nennt die Agenda einheitliche Ladegeräte für Mobilgeräte und wiederverwertbare Verpackungen.
Außerdem sollen Konsumenten mehr Informationen über die Nachhaltigkeit eines Produkts erhalten, beispielsweise wie gut es aufzurüsten ist und ob Ersatzteile verfügbar sind.
Als Problem spricht die Kommission auch das weit verbreitete Greenwashing an – also das gezielte Vortäuschen von Nachhaltigkeit bei Firmen oder Waren. Unternehmen sollen ihre Umweltaussagen künftig mit zuverlässigen Umweltinformationen belegen.
Schutz vor Manipulation
Die EU-Kommission sieht Konsumenten durch den Trend zum Online-Einkauf einem radikalen Wandel unterworfen: Online-Shops erheben und analysieren ihre Daten und Verhaltensweisen – mithilfe der Erkenntnisse wird mitunter versucht, die Verbraucher zu Kaufentscheidungen zu treiben, die möglicherweise ihren Interessen widersprechen. Aktuelle Verbraucherschutzregelungen helfen kaum gegen solche Methoden, die auch “Dark Patterns” genannt werden. Hier sollen neue Gesetze geschaffen werden.
“Geschäftspraktiken, die das Recht der Verbraucher missachten, eine fundierte Entscheidung zu treffen, ihre Verhaltensverzerrungen missbrauchen oder ihre Entscheidungsprozesse verzerren, müssen angegangen werden”, schreiben die Autoren. Weitere Problemfelder seien Profilbildung, versteckte Werbung, Betrug, falsche oder irreführenden Informationen und manipulierte Kundenbewertungen.
Hierfür soll ein Digital Services Act (DSA) auf den Weg gebracht werden, ein Entwurf wird Anfang Dezember erwartet. Er soll neue Verantwortlichkeiten für Online-Plattformen definieren, die Verbraucher besser vor illegalen Produkten, Inhalten und Aktivitäten schützen soll.
Auch künstliche Intelligenz (KI) wird von der Kommission als potentielle Bedrohung für die Verbraucher gesehen. Konkret wird die Agenda hier allerdings nicht. Brüssel arbeitet noch an Vorschlägen, wie die Interessen der Konsumenten beim Thema KI “gebührend berücksichtigt” werden. Sollte KI Schäden verursachen, sollten die Opfer den gleichen rechtlichen Schutz genießen, wie Geschädigte anderer Produkte oder Dienstleistungen.
Corona und die Verbraucherrechte
Im Fokus stehen auch die derzeitigen Auswirkungen der Pandemie auf die Verbraucher. Laut Agenda hat der “Online-Konsumentenbetrug […] während der Krise erheblich zugenommen”. Dabei seien auch “irreführenden Marketingtechniken” ein Problem. So wurden beispielsweise potenziell gefährliche Produkte verkauft mit der Behauptung, sie würden gegen Infektionen schützen. Um die Betrugsfälle zu reduzieren, sollen die zuständigen Behörden enger mit Verkaufsplattformen, Unternehmensverbänden, Werbetreibenden und Verbraucherorganisationen zusammenarbeiten.
Konsumenten hätten aufgrund der Pandemie außerdem Probleme, bei Reise- und Beförderungsunternehmen ihre rechtlich zugesicherten Rückerstattungen einzufordern – teilweise, weil die Anbieter gar nicht mehr zahlungsfähig sind. Zwar hätten die EU-Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergriffen, um diese Verbraucherrechte zu schützen, doch müsse nun geprüft werden, ob der bestehende Rechtsrahmen für Pauschalreisen noch ausreicht.
Ferner hätten sich die Konsumgewohnheiten während der Pandemie geändert. Neben dem Anstieg der Online-Verkäufe fällt ein Anstieg der Abfälle von Einwegverpackungen und persönlichen Schutzausrüstungen aus Kunststoff auf.
Kommentare
Tabea Rößner, Sprecherin der Grünen für das Thema Verbraucherpolitik, sieht die EU-Agenda als “wichtiges Signal” für die Erholung von der Coronakrise sowie für den digitalen und nachhaltigen Wandel der Wirtschaft. Eine längere Lebensdauer von Produkten und ein Recht auf Reparatur hält die Politikerin für “notwendige Veränderungen”. “Nun kommt es darauf an, deren Rahmen [der Verbraucheragenda] in den nächsten Jahren mit den entsprechenden konkreten Vorschlägen zu füllen und umzusetzen”, mahnt Rößner. Jetzt sei die Bundesregierung an der Reihe, die Agenda erfolgreich voranzutreiben – sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene.
Der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab sieht die Agenda gegenüber dem Handelsblatt als Chance für mehr europäische Einheitlichkeit: “Situationen – wie zu Beginn der Corona-Krise-, wo Käufer von Flugtickets in Frankreich, Griechenland oder den Niederlanden ein Gutschein angeboten wurde, während in Deutschland oder Spanien Ticketpreise zurückerstattet wurden, darf es nicht mehr geben.”
Hugh Kirk vom Elektronikindustrieverband Digitaleurope begrüßt die in der Agenda festgehaltenen Absichten grundsätzlich. Aus Sicht des Verbandes beinhalte die Agenda aber die generelle Annahme, dass Personalisierungen von Angeboten schädlich für die Verbraucher sind. “Diese Annahme ist falsch”, sagt Kirk, “Die meisten Verbraucher entscheiden sich für die Nutzung von Diensten in dem Wissen, dass sie personalisiert sind.” Er weist allerdings selbst auf eine Studie der Europäischen Kommission hin, aus der hervorgeht, dass nur 67 Prozent der Verbraucher über Personalisierungspraktiken Bescheid wissen.
Auch im Bereich der Produktsicherheit sieht Digitaleurope Nachholbedarf. Der Verband ist der Meinung, dass die Direktive zur Produktsicherheit in Europa bereits einen sicheren Rahmen bietet. Doch würde es an Ressourcen mangeln und “die unkoordinierte Überwachung zu ‘gezielten’ Untersuchungen von Produkten führen, die relativ einfach zu bewerten sind, aber nicht unbedingt das größte Verbraucherrisiko darstellen”. Kirk urteilt: “Die Verbesserungen, die in die jüngste Marktüberwachungsverordnung aufgenommen wurden, sind noch nicht anwendbar.” (hcz)