EuGH verbietet Vorratsdatenspeicherung erneut
Eine flächendeckende und pauschale Speicherung von Internet- und Telefon-Verbindungsdaten ist laut dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiterhin nicht zulässig. Damit bekräftigt das Gericht seine bisherige Haltung und bestätigt frühere Urteile.
Ausnahmen seien aber möglich, wenn es um die Bekämpfung schwerer Kriminalität oder den konkreten Fall einer Bedrohung der nationalen Sicherheit gehe, teilte der EuGH in einem am Dienstag veröffentlichten Urteil mit. Sei ein Mitgliedsstaat “mit einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit konfrontiert, die sich als echt und konkret oder vorhersehbar erweist”, dürfe eine Regierung für eine begrenzte Zeit eine Vorratsdatenspeicherung vorschreiben. Allerdings muss im Anschluss ein Gericht oder eine unabhängige Behörde die Maßnahme daraufhin prüfen, ob sie überhaupt einen Schutz gegen die jeweilige Bedrohung bietet.
Die Luxemburger Richter stärkten mit ihrem Urteil erneut die Bürgerrechte. Eine direkte Wirkung auf die deutschen Regelungen zur umstrittenen Vorratsdatenspeicherung hat die Entscheidung noch nicht. Hier läuft ein separates Verfahren, in dem das Urteil erst in einigen Monaten erwartet wird. Die aktuelle Entscheidung dürfte aber einen Hinweis darauf geben, wie der deutsche Fall beurteilt wird.
Im aktuellen Fall wollten der belgische Verfassungsgerichtshof, der französische Staatsrat und das britische Gericht für Ermittlungsbefugnisse wissen, ob die europäische Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation zum Beispiel auf Maßnahmen zur Terrorabwehr angewandt werden kann.
In den Ländern hatten Bürgerrechtsorganisationen wie die französische NGO “La Quadratur du Net” oder die britische Organisation “Privacy International” gegen die jeweiligen Vorschriften geklagt. Die nationalen Gerichte verwiesen die Klagen an das europäische Gericht. Der Generalanwalt des EuGH, Manuel Campos Sánchez-Bordona, hatte im Januar bereits betont, dass aus seiner Sicht bei der Vorratsdatenspeicherung rechtsstaatliche Prinzipien gelten müssten.
Anlasslose Überwachung
Seit Jahren gibt es in mehreren EU-Ländern Streit um das Thema zwischen Sicherheitsbehörden und -politikern auf der einen sowie Bürgerrechtlern und Verbraucherschützern auf der anderen Seite. Die Befürworter argumentieren, zum Schutz der nationalen Sicherheit und im Kampf gegen schwere Verbrechen müssten Ermittler die Möglichkeit haben, auf gespeicherte Telekommunikationsdaten zuzugreifen.
Dagegen fürchten die Kritiker starke Eingriffe in die Grundrechte, wenn die Unternehmen massenhaft Verbindungsdaten ihrer Kunden sichern müssen – ohne dass es bereits einen konkreten Tatverdacht gibt. So würden mit der Vorratsdatenspeicherung Verbindungsdaten Millionen Unschuldiger gespeichert. Dies birgt ein großes Missbrauchspotenzial seitens der Behörden. Zudem setzten Schwerkriminelle und Terroristen ohnehin Dienste oder Verschlüsselungstechniken ein, die nicht mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung erfasst werden.
In Dänemark kam es durch die Vorratsdatenspeicherung als Beweismittel zu einer der größten Justizpannen des Landes. Falsch ausgewertete Verbindungs- und Bewegungsdaten waren über mehrere Jahre hinweg in Tausenden Gerichtsprozessen als Beweismittel angeführt worden. Nun muss die Justiz viele Fälle neu aufrollen und prüfen, ob falsche Urteile gesprochen wurden.
Vorratsdatenspeicherung scheitert immer wieder
Das höchste europäische Gericht bezog sich mit seiner Entscheidung zwar im Kern auf Fälle aus Frankreich, Belgien und Großbritannien. Doch die aktuelle Entscheidung des EuGH könnte wegen ihrer grundsätzlichen Art auch die Diskussion in Deutschland über das Reizthema beeinflussen.
In Deutschland liegt die Vorratsdatenspeicherung nach einem früheren EuGH-Urteil auf Eis: Im Juni 2017 hatte die deutsche Bundesnetzagentur den Speicherzwang für Internet-Provider und Telefonanbieter vorläufig ausgesetzt – nur wenige Tage vor dem Inkrafttreten der geplanten Vorschriften. Anlass war damals ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Nordrhein-Westfalen, wonach eine verdachtsunabhängige Speicherung von Standort- und Verkehrsdaten nicht mit europäischem Recht vereinbar ist. Der EuGH hatte bereits 2016 entschieden, dass eine “unterschiedslose” Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten mit EU-Recht nicht vereinbar sei.
Trotz aller juristischer Widersprüche lassen sich deutsche Politiker von SPD, CSU und CDU aber nicht von der Vorratsdatenspeicherung abbringen. Bundesinnenminister Horst Seehofer erneuerte unlängst seine Forderungen nach einer anlasslosen Überwachung. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) schloss sich der Forderung an.
Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) brachte die Vorratsdatenspeicherung als mögliches Mittel gegen Kindesmissbrauchs in einer Rede im Bundestag ins Spiel. Laut Bundesjustizministerium stelle die Äußerung Lambrechts aber keinen inhaltlichen Kurswechsel dar. Man wolle zuerst das noch ausstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten. Warum Lambrecht die Maßnahme dann erwähnte, bleibt unklar. (dpa / hcz)