Kritik an türkischem Social-Media-Gesetz

Proteste auf dem Taksim-Platz
Oppositionelle Proteste wie im Jahr 2013 auf dem Taksim-Platz werden zukünftig in der Türkei kaum noch über die sozialen Netzwerke zu organisieren sein. (Quelle: VikiPicture – CC BY-SA 3.0)

Mit neuen Regeln für Twitter, Facebook und andere soziale Medien hat die türkische Regierung scharfe Kritik auf sich gezogen. Eine nun in Kraft getretene Gesetzespassage mache Social-Media-Anbieter zum “langen Arm der türkischen Justiz”, sagte der Bürgerrechtsaktivist Yaman Akdeniz der Deutschen Presse-Agentur. Er empfehle keinem Anbieter, Geschäfte in einem “derart feindlichen Umfeld wie der Türkei” zu machen. Emma Sinclair-Webb von Human Rights Watch sagte, das Gesetz sei der Versuch, eine deutlich stärkere Zensur durchzusetzen, als man sie bisher gesehen habe. Die türkische Regierung behauptet, man folge mit dem Gesetz lediglich dem Beispiel europäischer Länder wie Deutschland.

Das türkische Parlament hatte im Juli ein Gesetz verabschiedet, das soziale Medien einer schärferen Kontrolle unterzieht. Es verpflichtet Plattformen unter anderem dazu, innerhalb von 48 Stunden auf Anfragen zur Löschung oder Sperrung bestimmter Inhalte zu reagieren.

Unterdrückung regierungskritischer Meinungen

Seit Donnerstag gilt nun die Regelung, dass Anbieter mit täglich mehr als einer Million türkischen Nutzern Niederlassungen in der Türkei mit einem türkischen Staatsbürger als Vertreter eröffnen müssen. Möglich ist auch die Vertretung durch eine juristische Person. Wird kein Vertreter angemeldet, drohen Strafen. Ziel der Neuerung ist es, die 37 Millionen Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer und 16 Millionen Menschen auf Twitter, die es in der Türkei gibt, unter Kontrolle zu bringen.

Türkische Medien stehen bereits größtenteils unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung, auch die Kontrolle über Inhalte im Internet wurde immer wieder verstärkt. Ankara geht regelmäßig wegen regierungskritischer Inhalte im Internet gegen Nutzer vor. Weil viele internationale Plattformen bisher keinen Sitz im Land hatten, konnten Pflichten wie das Speichern von Nutzerdaten bisher einfach umgangen werden.

Twitter, Instagram und Facebook wollten zunächst nicht kommentieren, ob und wie sie auf die rechtlichen Neuerungen reagieren werden.

Regierung fürchtet “Beleidigungen”

Das nun in Kraft getretene Gesetz ist eine reformierte Form des “Gesetz gegen Internetverbrechen”, das bereits seit 2007 gilt. Es wurde laut der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) bereits in der ursprünglichen Version dazu ausgenutzt, um unabhängige Online-Medien zum Schweigen zu bringen. Bereits im September 2019 hatte es eine Gesetzesreform gegeben, die digitale Medien unter die Kontrolle des Hohen Rundfunkrates (RTÜK) und dessen Zensurmaßnahmen stellte.

Mit der Reform können Inhalte nun nicht nur gesperrt, sondern auch gelöscht werden. Für beides braucht es aber das Urteil eines Richters oder eines Gerichts. Die Möglichkeit des Löschens sei die drakonischste Maßnahme, sagte Akdeniz. Kritische Berichterstattung im Netz sei sehr lebendig in der Türkei, Menschen würden über Social Media an wichtige Informationen kommen, sagte Sinclair-Webb. “Alle machen alles auf Social Media.”

Zuletzt war der türkische Präsident vor allem auf Social-Media-Plattformen harsch für sein Coronavirus-Management kritisiert worden. “Präsident Erdogan ist politisch geschwächt, deshalb will er internationale Plattformen national kontrollieren, um seine Kritiker im Internet zum Schweigen zu bringen”, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Es sei eindeutig, dass eine Kontrolle der Social-Media-Plattformen darauf abzielt, die wachsenden politischen Unruhen einzudämmen.

Von Seiten der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP hieß es, mit dem Gesetz wolle man angeblich gegen Beleidigungen und Belästigungen im Netz vorgehen. Abgeordnete behaupten, das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) habe als Vorbild gedient.

Türkei beruft sich auf Deutschland

Das deutsche NetzDG verpflichtet Internet-Plattformen zu einem härteren Vorgehen gegen Hass, Hetze und Terror-Propaganda. Klar strafbare Inhalte müssen binnen 24 Stunden gelöscht werden, auf Nutzerbeschwerden soll nach spätestens 48 Stunden reagiert werden. Zudem müssen die Unternehmen alle sechs Monate einen Bericht über ihren Umgang mit Beschwerden veröffentlichen.

Kritiker hatten in der Vergangenheit stets davor gewarnt, dass autoritäre Regierungen sich auf das umstrittene deutsche NetzDG berufen könnten. Zu Recht: Inzwischen verweisen neben der Türkei auch die autoritären Regierungen von Singapur und Russland auf das deutsche NetzDG bei der Einschränkung der Internetfreiheit.

Doch der direkte Vergleich hinkt: Die Situation in Deutschland sei eine völlig andere, betonte Human Rights Watch. Im Gegensatz zur Türkei gebe es etwa eine unabhängige Justiz und Gewaltenteilung. Auch das Auswärtige Amt stellt der Türkei bei der Wahrung demokratischer Grundrechte ein vernichtendes Zeugnis aus. Die Justiz sei “in weiten Teilen dysfunktional” und teils politisch beeinflusst, heißt es in einem “Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage”.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Anfang Juli für eine stärkere Kontrolle sozialer Medien plädiert. “Diese Kanäle, in denen es von Lügen, Beleidigungen, Angriffen auf das Persönlichkeitsrecht und Rufmorden wimmelt, müssen reguliert werden”, sagte Erdogan. In Wahrheit stellt das Gesetz aber ein weiteres Mittel zur politischen Repression dar. (dpa / hcz)