Expertenrat warnt vor Verfehlung der Klimaziele

Klimarat
Mit dem Gutachten widersprechen die Wissenschaftler optimistischen Aussagen der Regierung. (Quelle: IMAGO / Metodi Popow)

Der Expertenrat für Klimafragen (ERK) der Bundesregierung sieht Deutschland nicht auf Kurs beim Klimaschutz. Man gehe von einer Verfehlung des Treibhausgas-Minderungsziels für das Jahr 2030 aus, erklärte der Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, Hans-Martin Henning, in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung. In einem von der Regierung beauftragten Sondergutachten hat der Expertenrat die Projektionen, also Vorausberechnungen, des Umweltbundesamts (UBA) überprüft. Anlass war die Novelle des Klimaschutzgesetzes, das aktuell beim Bundespräsidenten liegt.

Damit widerspricht der Rat auch den Aussagen des Wirtschafts- und Klimaschutzministers Robert Habeck (Grüne), der Mitte März erklärt hatte, dass die Bundesrepublik auf dem Kurs sei, die Klimaziele für das Jahr 2030 zu erreichen. Das Im Klimaschutzgesetz ist festlegtbesagt, dass Deutschland bis zum Jahr 2030 seinen Ausstoß an Treibhausgasen um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren soll. Bis 2040 sollen es mindestens 88 Prozent sein und 2045 soll Deutschland klimaneutral sein – also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als auch wieder gebunden werden können.

“In Summe können wir die von den Projektionsdaten 2024 ausgewiesene kumulierte Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehen im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus”, erklärte Henning. Ein Sprecher Habecks erklärte dazu, man habe immer auch auf Unsicherheiten hingewiesen und zudem sei es ja “unter bestimmten Bedingungen” auch möglich, das Klimaziel zu erreichen.

Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, nannte die Ergebnisse des Sondergutachtens am Montag eine Blamage. “Das Vorgehen der Bundesregierung ist dreist: Zuerst wird das Klimaschutzgesetz entkernt, dann werden die CO2-Prognosen schöngerechnet.” Das Gutachten verdeutliche die Dringlichkeit, beim Klimaschutz nachzusteuern.

“Die Bundesregierung hat das Klimaschutzgesetz novelliert, aber damit nichts an den offensichtlichen Problemen insbesondere im Verkehrssektor geändert”, kritisierte Lutz Weischer, Büroleiter bei der Umweltorganisation Germanwatch am Montag. Das Sondergutachten lege viele Schwachstellen der deutschen Klimapolitik offen.

Zweifel geweckt

Zwar würde laut den im März veröffentlichten Projektionen des Umweltbundesamtes (UBA) Deutschland sehr knapp innerhalb des gesetzlich erlaubten Budgets an Treibhausgasemissionen für den Zeitraum 2021 bis 2030 bleiben. Der Expertenrat hat die Projektionsdaten des UBA sowohl in Summe als auch in einzelnen Sektoren im Hinblick auf methodisches Vorgehen, Aktualität und Plausibilität geprüft und kommt zu einem anderen Schluss. Dafür gibt es laut Gutachten zwei Gründe:

Die Projektion zukünftiger Emissionen sei naturgemäß mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, die Experten. Den Projektionsdaten fehlten allerdings Angaben zur Wahrscheinlichkeit, dass sich der Treibhausgasausstoß tatsächlich so entwickelt wie angenommen. Anhand eigener Berechnungen geht der Expertenrat davon aus, dass nicht von einer Erreichung des 2030-Ziels ausgegangen werden sollte – auch wenn zu erwarten sei, dass die Emissionen erheblich sinken. Die vorausberechneten Emissionen in den Bereichen Energie, Gebäude und Verkehr sowie mit Einschränkungen auch in der Industrie wurden nach Einschätzung der Fachleute unterschätzt.

Das wiederum führt der Expertenrat auf den zweiten Grund zurück: Wichtige Entwicklungen, die in die Berechnungen des Umweltbundesamts nicht eingeflossen sind. Der Optimismus der Regierung beruhte auf teils überholten Annahmen, wie Kritiker schon im März anmerkten. Denn in die Berechnungen waren nur Daten bis zum Oktober 2023 eingeflossen. Doch erst danach wurde – unter dem Sparzwang des Karlsruher Haushaltsurteils – der wichtige Energiewendetopf Klima- und Transformationsfonds zusammengestrichen.

Der Expertenrat verweist auf diese Kürzungen, aber auch auf veränderte Markterwartungen für Gas und Zertifikatspreise im europäischen Emissionshandel. Im Emissionshandel können Unternehmen mit Rechten zum Ausstoß von Treibhausgasen (Zertifikaten) handeln.

Auch Germanwatch betrachtet die unsichere Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen als besonders problematisch. “Wenn die Regierung es nicht schafft, die Finanzierung dieser Programme sicherzustellen, wird Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen”, sagte Weischer. “Deshalb müssen Kürzungen beim Klimaschutz bei den Haushaltsverhandlungen tabu sein.” Es führe kein Weg an einer Reform der Schuldenbremse vorbei.

Sorgenkinder Verkehr und Gebäude

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mahnen die Bundesregierung zum Handeln – auch wenn das jüngst von Bundestag und Bundesrat verabschiedete neue Klimaschutzgesetz erst dann eine politische Nachsteuerung vorsieht, wenn die Daten in zwei Jahren nacheinander eine Verfehlung der Klimaziele erwarten lassen. Die stellvertretende Vorsitzende des Rates, Brigitte Knopf, empfahl: “Der Fokus sollte hier auf den beiden für die europäische Lastenteilung relevanten Sektoren Gebäude und Verkehr liegen, die zudem die größten Zielüberschreitungen aufweisen.”

Auch die DUH sieht in diesen Bereichen am deutlichsten Handlungsbedarf. “Die Zahlen zeigen eindringlich, dass sofort umgelenkt werden muss und vor allem die bereits gebauten Gebäude in den Fokus rücken müssen”, mahnte Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH. Aktuell investiere die Bundesregierung eine Milliarde Euro in den Neubau, während aber kaum saniert werde, weil es kaum finanzielle Unterstützung dafür gebe.

Klimaneutralität nicht mal 2050

Hinzu kommt laut Expertenrat: Nach den Projektionsdaten sei auch für den Zeitraum 2031 bis 2040 mit Zielverfehlungen der dann noch ehrgeizigeren Klimaziele zu rechnen. Auch das Ziel der Treibhausgasneutralität werde weder bis zum Jahr 2045 noch bis 2050 erreicht. “Insgesamt fehlt für die Zeit nach 2030 eine langfristige Strategie, wie das Ziel der Treibhausgasneutralität erreicht werden kann”, führte Knopf weiter aus.

Der Expertenrat ist ein fünfköpfiges Wissenschaftler-Gremium. Die Mitglieder werden für eine Dauer von fünf Jahren von der Bundesregierung berufen und arbeiten unabhängig. Zu seinen Aufgaben laut Bundesklimaschutzgesetz gehört die jährliche Prüfung der vorläufigen Daten des Umweltbundesamts zum Treibhausgasausstoß des Vorjahres. Alle zwei Jahre legen die Expertinnen und Experten auch ein Gutachten vor, in dem es unter anderem um die Wirksamkeit der Klimaschutzmaßnahmen zur Erreichung der deutschen Klimaziele geht. (dpa / hcz)