Großbritannien: Standortüberwachung von Migranten verstößt gegen Datenschutz
Das britische Innenministerium hat im Rahmen eines Pilotprojektes den genauen Standort von Geflüchteten überwacht, die unerlaubt nach Großbritannien eingereist waren. Das war rechtswidrig, wie die zuständige Datenschutzbehörde ICO am Freitag mitteilte.
Laut der Entscheidung hat das Innenministerium es versäumt, die Risiken für die Privatsphäre der Betroffenen ausreichend zu bewerten. Zwischen August 2022 und Dezember 2023 seien im Rahmen eines Pilotprogramms bis zu 600 Geflüchtete zum Tragen von Fußfesseln mit GPS-Modul verpflichtet worden. Die Betroffenen waren nach ihrer Ankunft in Großbritannien zunächst in Asylgewahrsam genommen und dann auf Kaution freigelassen worden.
Im Rahmen des Pilotprogramms wollte das Innenministerium testen, ob diese Art der Überwachung ein wirksames Mittel ist, um den Kontakt zu Asylbewerbern aufrechtzuerhalten und das Risiko des Untertauchens zu verringern. Außerdem sollte überprüft werden, ob die Überwachung eine wirksame Alternative zur Inhaftierung sein kann.
Die Datenschutzaufsicht kritisiert, das Innenministerium habe vorab nicht bewertet, welche Auswirkung die Überwachung auf Menschen hat, die sich bereits in einer prekären Lage befinden – beispielsweise aufgrund ihres Einwanderungsstatus, der Umstände ihrer Flucht oder der Tatsache, dass Englisch nicht ihre Muttersprache ist.
Betroffenen seien auch keine klaren und leicht zugänglichen Informationen darüber gegeben worden, welche personenbezogenen Daten von ihnen gesammelt und wie diese verwendet werden.
Ausgeweitete Überwachung
Weil die Standortüberwachung von Personen ein großer Eingriff in deren Privatsphäre ist, müssten die Behörden eine starke Begründung für solche Maßnahmen vorweisen. Das Innenministerium habe allerdings nicht hinreichend erklären können, warum die Fußfesseln notwendig oder verhältnismäßig waren. Das Ministerium habe auch nicht nachweisen können, eine weniger in die Privatsphäre eingreifende Alternative in Betracht gezogen zu haben.
Die Entscheidung geht zurück auf eine Beschwerde der britischen Bürgerrechtsorganisation Privacy International aus dem Jahr 2022. Darin waren auch Betroffene zu Wort gekommen, die von den Auswirkungen auf ihr Privatleben sowie auf ihre körperliche und mentale Gesundheit berichtet hatten.
Nach Angaben der Organisation setzt das Innenministerium GPS-Fußfesseln in verschiedenen Bereichen ein, um Migranten zu überwachen. So gebe es beispielsweise eine Rechtsgrundlage, um alle ausreisepflichtigen Personen auf diese Art zu überwachen. Im Juni 2022 sei die Überwachung für insgesamt 18 Monate im Rahmen des nun beanstandeten Pilotprogramms ausgeweitet worden: Demnach konnten auch sämtliche Personen überwacht werden, die “über ungewöhnliche und gefährliche Routen” in das Vereinigte Königreich eingereist waren. Laut Privacy International wurden so beispielsweise Menschen überwacht, die in kleinen Booten den Ärmelkanal überquert hatten.
Überwachung rund um die Uhr
Der britische Datenschutzbeauftragte John Edwards kommentierte: “Rund um die Uhr Einblicke in die Bewegungen einer Person zu haben, ist ein starker Eingriff in die Privatsphäre, da wahrscheinlich viele Informationen über sie preisgegeben werden. Das schließt die Möglichkeit ein, Rückschlüsse auf sensible Informationen zu ziehen, wie ihre Religion, Sexualität oder den Gesundheitszustand. Wenn unklar ist, wie diese Informationen verwendet werden, kann dies auch die Bewegungsfreiheit und die Teilnahme an alltäglichen Aktivitäten einschränken.”
Edwards warnte auch: “Wenn solche Informationen falsch gehandhabt oder fehlinterpretiert werden, könnte dies möglicherweise schädliche Folgen für die Menschen und ihre Zukunft haben. Das Innenministerium hat diese Risiken nicht ausreichend bewertet, was bedeutet, dass das Pilotprojekt nicht rechtskonform war.”
Die Behörde kritisierte auch, es habe keine ausreichenden Leitlinien und Verfahren gegeben, um die Wahrung der Privatsphäre der Geflüchteten sicherzustellen.
Zwar lief das Pilotprogramm im Dezember 2023 aus, doch die bereits gesammelten Daten können von Behörden weiterhin genutzt werden, bis sie gelöscht oder anonymisiert wurden. Die Datenschutzbehörde hat das Ministerium daher angewiesen, Richtlinien zum Zugriff auf die Daten sowie die Datenschutzbestimmungen zu aktualisieren.
Die Behörde sprach außerdem eine formelle Warnung an das Ministerium aus – sodass das Innenministerium im Wiederholungsfall mit nicht näher beschriebenen “Durchsetzungsmaßnahmen” rechnen muss.
Auswirkungen müssen früh geprüft werden
Die Entscheidung sei auch eine Warnung an alle, die den Standort von Personen elektronisch überwachen wollen, sagte Edwards. Behörden müssten in der Lage sein, die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit solcher Maßnehmen nachzuweisen. Dabei müsste auch berücksichtigt werden, welche Schäden die Maßnahmen für Betroffene nach sich ziehen können – und zwar “von Anfang an, nicht erst im Nachhinein”.
Privacy International sprach von einer bedeutenden Entscheidung. Sie erinnere daran, dass Migranten dieselben Datenschutzrechte haben, die auch von den Einwanderungsbehörden beachtet werden müssten. Gleichzeitig erklärte die Organisation, es sei nicht das Ende der Standortüberwachung. In Großbritannien sind zudem noch Klagen von Betroffenen gegen die Standortüberwachung anhängig. (js)