Kenia: Facebook erlaubt Mordaufrufe in Werbeanzeigen
Die kenianische “Kommission für Zusammenhalt und Integration” (NCIC) fordert, Facebook müsse vor den anstehenden Wahlen in Kenia mehr gegen Hassrede unternehmen. Andernfalls drohe der Plattform eine Sperre in dem Land. Menschenrechtler hatten zuvor festgestellt, dass Facebook in Kenia bezahlte Werbung mit Gewaltaufrufen zulässt. Sie fordern die Plattform zum Handeln auf.
Am 9. August finden in dem ostafrikanischen Land Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen statt. Die NCIC hatte dem Facebook-Konzern Meta am Freitag sieben Tage Zeit gegeben, um gegen Hassrede vorzugehen – ansonsten werde die Plattform in Kenia gesperrt.
Danvas Makori von der NCIC sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: “Facebook verstößt gegen die Gesetze unseres Landes.” Über die Plattform verbreiteten sich Hassrede und Desinformationen. Aufgabe der Kommission ist es, gegen Diskriminierung unterschiedlicher Ethnien vorzugehen und ethnisch motivierte Gewalt zu verhindern.
Facebook lässt Gewaltaufrufe zu
Hintergrund der Sperrandrohung ist eine am Donnerstag veröffentlichte Untersuchung der Organisationen Global Witness und Foxglove: Sie hatten bei Facebook probeweise Werbeanzeigen eingereicht, die inhaltlich klar gegen die Gemeinschaftsstandards der Plattform verstoßen. Unter anderem wurden darin bestimmte ethnische Gruppen mit Tieren verglichen und es wurde zu Enthauptungen aufgerufen; die Inhalte basierten auf Beispielen von Hassrede, die seit 2007 kursieren. Die Anzeigen waren jeweils in den beiden Amtssprachen Swahili und Englisch formuliert.
Die Plattform hatte jedoch nur die englischsprachigen Anzeigen beanstandet – allerdings nicht wegen ihrer Inhalte, sondern aufgrund sprachlicher Mängel. Nach kleinen Korrekturen seien auch diese angenommen worden.
Die Organisationen hatten sich bei ihrem Test für Anzeigen und nicht für normale Beiträge entschieden, weil sie diese nach der Genehmigung durch Facebook wieder löschen konnten, ohne dass Nutzerinnen und Nutzer sie zu Gesicht bekommen.
Mit den Ergebnissen konfrontiert hatte Meta neue Maßnahmen angekündigt, um gegen Hassrede in Kenia vorzugehen. So seien etwa Moderatoren speziell dafür abgestellt worden, Beiträge zu den Wahlen zu prüfen. Global Witness führte daraufhin einen weiteren Test durch: auch die zwei erneut eingereichten Anzeigen wurden von Facebook akzeptiert.
Politiker schließen Facebook-Sperre aus
Die Untersuchungsergebnisse bestätigten eigene interne Tests, teilte die NCIC mit. Sollte Facebook nicht nachbessern, werde die Kommission der zuständigen Regulierungsbehörde eine Sperre der Plattform empfehlen.
Am Montag stellte der zuständige Informations- und Kommunikationsminister jedoch klar, die Regierung beabsichtige nicht, Facebook zu sperren. Innenminister Fred Matiang’i hatte sich zuvor ähnlich geäußert: Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei in der kenianischen Verfassung verankert. Die Regierung habe nicht die Absicht, dagegen zu verstoßen.
Die Menschenrechtsorganisation Access Now begrüßte die Ankündigung der Minister: Hassrede und Desinformation während des Wahlkampfes seien ein ernstzunehmendes Problem in Kenia. Sie dürften aber nicht als Rechtfertigung für Internetsperren dienen – Kenianern würden dadurch wichtige Kommunikationswege vorenthalten.
Die Afrikasektion der Menschenrechtsorganisation Article 19 forderte, Plattformen wie Facebook müssten ihre Regeln durchsetzen, um die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Zugang zu Informationen zu schützen. Eigene Untersuchungen hätten in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Online-Dienste in Kenia Inhalte wiederholt unzureichend moderiert haben. Für die Umsetzung von Regeln brauche es ein Verständnis der lokalen Sprache und des historischen, kulturellen und politischen Kontextes.
Facebook müsse in die Moderation von Inhalten investieren und beispielsweise Moderatoren ein faires Gehalt zahlen, ihnen psychologische Unterstützung anbieten und gewerkschaftliche Organisation ermöglichen. Ein ehemaliger Facebook-Moderator aus Kenia hatte das Unternehmen Anfang des Jahres aufgrund der Arbeitsbedingungen verklagt.
Global Witness und Foxglove riefen Facebook dazu auf, “Notfallmaßnahmen” in Kenia zu ergreifen, um die Integrität der Wahlen zu schützen. So soll der Konzern bis zum Ende der Wahlen etwa keine Anzeigen mehr zulassen. Ava Lee von Global Witness sagte: “Facebook hat die Macht, Demokratien zu stärken oder zu zerstören, und doch haben wir immer wieder erlebt, dass das Unternehmen Profiten Vorrang vor Menschen gibt. Wir waren entsetzt, als wir feststellten, dass Facebook, selbst nachdem es behauptet hatte, seine Systeme zu verbessern und seine Ressourcen vor den Wahlen in Kenia aufzustocken, immer noch unverhohlene Aufrufe zu ethnischer Gewalt billigte.”
Warnung vor Ausschreitungen
Laut Global Witness nutzen mehr als 20 Prozent der etwa 55 Millionen Einwohner Kenias Facebook. Das Problem ist indes nicht auf Facebook beschränkt: Erst kürzlich hatte die Mozilla Foundation berichtet, dass sich Hassrede und manipulierte Inhalte in Kenia auch auf TikTok verbreiten, obwohl sie gegen die Richtlinien des sozialen Netzwerks verstoßen.
In Kenia war es nach den Wahlen im Jahr 2007 zu Ausschreitungen gekommen, bei denen über 1000 Menschen ums Leben kamen. Auch nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017 kam es zu Gewalt im Land – laut Human Rights Watch (HRW) wurden damals über 100 Menschen von der Polizei und bewaffneten Banden getötet. Die Organisation kritisiert, nur wenige Beamte seien für ihre Taten zur Verantwortung gezogen worden, deshalb bestehe auch bei den diesjährigen Wahlen das Risiko, dass es wieder zu Übergriffen kommen könnte.
Laut Amnesty International wendete die Polizei auch im vergangenen Jahr exzessive Gewalt an, um friedliche Proteste aufzulösen – dabei seien 167 Menschen getötet worden. (js)