Nicaragua: Redaktion muss aus dem Ausland weiterarbeiten
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert die Verfolgung unabhängiger Medien in Nicaragua. In den vergangenen Wochen habe diese einen neuen Höhepunkt erreicht: Mitarbeitende der einzigen überregionalen Tageszeitung La Prensa sahen sich gezwungen, das Land zu verlassen. Auch NGOs stehen unter großem Druck.
Wie RSF am Mittwoch berichtete, hatte die Polizei in der Hauptstadt Managua Anfang Juli die Wohnungen von mehreren Mitarbeitern von La Prensa durchsucht. Zwei Fahrer der Zeitung wurden am selben Tag verhaftet – eine Begründung dafür hätten die Behörden nicht genannt.
Eine Journalistin und ein Fotograf des Mediums, deren Wohnungen ebenfalls durchsucht wurden, seien daraufhin untergetaucht. Sie hätten den Verhaftungen so zwar entgehen können, seien aber gezwungen gewesen, heimlich aus dem Land zu fliehen.
Die gesamte Belegschaft der Zeitung müsse aufgrund anhaltender Schikanen nun ihre Arbeit außerhalb von Nicaragua verrichten.
RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske sagte: “La Prensa ist eine der letzten Bastionen des unabhängigen Journalismus in Nicaragua. Ihre Berichterstattung ist für die Menschen im Land unverzichtbar.”
Schikanen gegen die Zeitung
Nach Angaben von RSF reihen sich die Durchsuchungen im Juli ein in eine lange Liste von Behördenschikanen: So hatte die Polizei die Zentralredaktion der Zeitung im August 2021 willkürlich geschlossen. Die Mitarbeiter konnten seitdem nicht in das Gebäude zurückkehren. Die Beamten hatten zudem die gesamte technische Ausrüstung der Redaktion beschlagnahmt – inklusive der Rotationsdruckmaschine zum Zeitungsdruck.
Bereits zuvor hatte die Regierung La Prensa und anderen Zeitungen wiederholt Druckpapier und Tinte vorenthalten. La Prensa hatte es zeitweise dennoch geschafft, weiter eine gedruckte Ausgabe zu veröffentlichen. Seit August vergangenen Jahres erscheint jedoch keine Papierzeitung mehr – die Redaktion veröffentlicht ihre Artikel stattdessen im Internet. Einen Tag bevor die Polizei die Redaktion im August geschlossen hatte, hatte La Prensa die vorerst letzte Printausgabe veröffentlicht und getitelt: “Die Diktatur hält unser Zeitungspapier fest, aber sie kann die Wahrheit nicht verbergen.”
Im August wurde auch Geschäftsführer Juan Lorenzo Holmann Chamorro verhaftet und wegen angeblicher Geldwäsche zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt. RSF kritisiert, Beweise für die Anschuldigungen seien nie vorgelegt worden – außerdem würden ihm Zugang zu einem Anwalt und zu medizinischer Versorgung verwehrt.
RSF-Vorstandssprecher Rediske kritisierte: “Es ist erschütternd, zu welchen Mitteln die Regierung Ortega greift, um Medienschaffende zum Schweigen zu bringen. Die unabhängige Presse in Nicaragua liegt im Sterben, die letzten regierungskritischen Stimmen verschwinden.”
Im Juni hatte die Regierung auch die Vermögenswerte der unabhängigen Nachrichtenseite Trinchera de la Noticia beschlagnahmt und wenig später das Büro des Mediums stürmen lassen. Trinchera de la Noticia stellte daraufhin den Betrieb ein. Die Behörden werfen dem Medium vor, angeblich den “sozialen Frieden gestört zu haben”.
“Ausländische Agenten”
Nicaraguas Präsident Daniel Ortega hatte das zentralamerikanische Land bereits von 1979 bis 1990 regiert – zunächst als Teil einer Regierungsjunta, später als gewählter Präsident. Seit 2007 ist er erneut Staatsoberhaupt. Zuletzt wurde er im Jahr 2021 zu einer vierten Amtszeit wieder gewählt – international hatte es an der Wahl scharfe Kritik gegeben, weil der autoritär regierende Präsident im Vorfeld sieben Oppositionskandidaten hatte verhaften lassen.
Laut RSF führte Ortegas Wiederwahl zu einer Abwanderungswelle von unabhängigen Medienschaffenden: Mindestens 140 von ihnen befänden sich im Exil; die meisten in Costa Rica, den USA und Spanien. Viele hätten das Land heimlich verlassen, weil sie willkürlichen Gerichtsverfahren ausgesetzt oder von der Polizei bespitzelt wurden. Einigen Medienschaffenden, die ausreisen wollten, seien die Pässe entzogen worden – wodurch eine legale Ausreise nun unmöglich ist.
Die Organisation kritisiert, der Präsident gehe mit juristischen und wirtschaftlichen Schikanen gegen unabhängige Medien vor, um die journalistische Berichterstattung zu kontrollieren. So gebe es etwa Beschränkungen bei der Einfuhr journalistischer Ausrüstung. Zudem würde die Arbeit von Medienschaffenden durch Gesetze eingeschränkt: Personen, Unternehmen und Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten, müssen sich als “ausländische Agenten” beim Innenministerium registrieren lassen – das betrifft auch Korrespondenten von ausländischen Medien. RSF hatte vor Verabschiedung des Gesetzes gewarnt, es ziele auf die Zensur und Einschüchterung unabhängiger Medien ab.
Auch zivilgesellschaftliche Organisationen sind durch das Gesetz betroffen. UN-Menschenrechtsexperten hatten erst vergangene Woche festgestellt, es komme deswegen zu willkürlichen Schließungen. Seit diesem Jahr werde die ausländische Finanzierung von gemeinnützigen Organisationen außerdem erheblich eingeschränkt. Mehr als 700 NGOs seien in diesem Jahr bereits von der Nationalversammlung auf Antrag der Regierung geschlossen worden – darunter Menschenrechtsorganisationen und Umweltgruppen.
Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) wurde seit 2018 mehr als 950 Organisationen und Stiftungen die Registrierung entzogen, sodass sie nicht weiter in Nicaragua tätig sein können. HRW wirft der Regierung vor, die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit zu untergraben. NGOs stillzulegen sei Teil des Bestrebens, sowohl zivilgesellschaftliche Gruppen als auch unabhängige Medien mit repressiven Taktiken zum Schweigen zu bringen. Dazu zählten neben Gesetzen auch Einschüchterungen, willkürliche Verhaftungen und strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtlern und Medienschaffenden.
Amnesty International spricht von einer “Menschenrechtskrise” in dem Land.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Nicaragua auf Platz 160 von 180 Ländern. Ende vergangenen Jahres hatte die Organisation berichtet, mindestens 20 unabhängige Medien seien unter der Regierung Ortega verschwunden – in vielen Fällen durch die Beschlagnahmung von Ausrüstung oder erzwungene Schließungen. (js)