Kennzeichenerfassung in Brandenburg war rechtswidrig

Kennzeichenscanner in Brandenburg
Auf der Bundesautobahn 11 hatte Brandenburg zwei Kennzeichenscanner betrieben und die Daten vorbeifahrender Fahrzeuge auf Vorrat gespeichert. (Quelle: IMAGO / Olaf Selchow)

Der Einsatz von automatischen Kennzeichenscannern im sogenannten Aufzeichnungsmodus auf brandenburgischen Autobahnen war illegal. Das hat das Landgericht Frankfurt (Oder) entschieden. Geklagt hatte ein Mitglied der Piratenpartei. Die Daten seines Fahrzeuges hätten auf der Bundesautobahn 11 nicht erfasst und gespeichert werden dürfen, so das Gericht. Das Gericht hob damit einen anderslautenden Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) aus dem Jahr 2019 auf.

Kennzeichenscanner erfassen die Nummernschilder aller vorbeifahrenden Fahrzeuge – auch die unbescholtener Personen. Die Technik ist umstritten, auch weil sie als ineffizient und fehleranfällig gilt.

Brandenburg hatte das Kennzeichenerfassungssystem (Kesy) jahrelang im Aufzeichnungsmodus eingesetzt: Die Scanner waren also dauerhaft im Betrieb und hatten die hinteren Kennzeichen fotografiert. Auch ein Bild der gesamten Rückseite der vorbeifahrenden Fahrzeuge wurde aufgenommen und gemeinsam mit Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung auf Vorrat in einer zentralen Datenbank gespeichert.

Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Dieser Betriebsmodus sei “als gewichtiger Grundrechtseingriff zu qualifizieren”, heißt es nun in dem Urteil des Landgerichts. Besonderes Gewicht sahen die Richterinnen und Richter, weil die Daten zeitlich unbegrenzt gespeichert wurden. Dadurch sei es möglich gewesen, über Jahre das Bewegungsverhalten weiter Teile der Bevölkerung nachzuvollziehen.

Zudem könnten solche Informationen mit anderen Datensammlungen zusammengeführt werden. Dies beeinträchtige die “grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen” des Betroffenen. Eine weitere Besonderheit bei Maßnahmen der elektronischen Datenverarbeitung liege in der Menge der verarbeiteten Daten, “die auf konventionellem Wege gar nicht bewältigt werden könnte”. Die automatische Kennzeichenerfassung greife “in erheblicher Weise in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung” ein.

Belastend falle dabei ins Gewicht, dass die Kennzeichenscanner verdeckt und anlasslos genutzt wurden. Um Kesy rechtskonform einsetzen zu können, hätte es einer “speziellen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage” bedurft – diese habe aber nicht existiert.

Das Gericht stellte weiter fest, bei solchen Ermittlungsmaßnahmen “mit großer Streubreite” könne “ein Gefühl des Überwachtwerdens” entstehen.

Brandenburg hatte Aufzeichnungsmodus jahrelang verwendet

Der Kläger, Marko Tittel, begrüßte das Urteil: Autofahrerinnen und Autofahrer würden durch die Kennzeichenerfassung “dem Risiko eines falschen Verdachts oder missbräuchlicher Nachverfolgung der persönlichen Lebensführung durch Unbefugte” ausgesetzt.

Brandenburg hatte die Systeme zwischen April 2017 und Ende Juni 2021 im Aufzeichnungsmodus betrieben. Bekannt geworden war das erst im Jahr 2019. Daraufhin hatte sich auch Brandenburgs Landesdatenschutzbeauftragte Dagmar Hartge mit der Kennzeichenerfassung beschäftigt und wollte deren Rechtmäßigkeit überprüfen – und hatte eine mangelnde Unterstützung der Polizei beanstandet.

Im Januar 2020 hatte die Datenschützerin den Kesy-Einsatz im Aufzeichnungsmodus dann für unzulässig befunden. Dazu hatte sie erklärt: “Durch den dauerhaften Betrieb des Aufzeichnungsmodus sind ganz überwiegend unbeteiligte Personen betroffen, welche die Erfassungsgeräte auf den überwachten Straßenabschnitten passieren. Die Erfassung und Speicherung dieser Daten stellt einen unzulässigen Eingriff in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.”

Im Oktober 2020 hatte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) im Innenausschuss des Landtags erklärt, alle Daten aus der Kennzeichenerkennung, die nicht länger gespeichert werden dürften, seien gelöscht worden.

Im Sommer vergangenen Jahres wurde auf Bundesebene eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Kennzeichenerkennung geschaffen. Erlaubt ist sie allerdings nur zu Fahndungszwecken, wenn Anhaltspunkte für “eine Straftat von erheblicher Bedeutung” vorliegen – und sie sowohl örtlich als auch zeitlich begrenzt ist. Im Fahndungsmodus muss der Abgleich der Kennzeichen unverzüglich erfolgen. Stellt die Software keine Übereinstimmung fest, so müssen die Daten “sofort und spurenlos” gelöscht werden. Eine Speicherung der Daten auf Vorrat ist also nicht zulässig.

Brandenburg will Aufzeichnungsmodus wieder aktivieren

Das brandenburgische Innenministerium plant indes ein neues Gesetz, um auch den Aufzeichnungsmodus unter bestimmten Umständen nutzen zu können. Wie die Potsdamer Neueste Nachrichten berichten, hält Innenminister Stübgen an den Plänen auch nach dem Urteil fest.

Ein Ministeriumssprecher sagte gegenüber der Zeitung: “Vorbehaltlich einer gründlichen Auswertung der Urteilsbegründung sehen wir zum jetzigen Zeitpunkt dem Grunde nach keine direkte Auswirkung des Gerichtsurteils auf das geplante Gesetzesvorhaben.” Das Gericht habe sich mit der Kennzeichenerfassung im Aufzeichnungsmodus für die Strafverfolgung auf Grundlage der Strafprozessordnung beschäftigt. Stübgen wolle aber eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz des Aufzeichnungsmodus zur Gefahrenabwehr im Zusammenhang mit besonders schweren Straftaten wie Mord schaffen.

Der Sprecher ergänzte: “Im Übrigen ergibt sich aus dem Urteil für das Innenministerium kein Handlungsbedarf, da der Aufzeichnungsmodus außer Betrieb genommen wurde, nachdem der Bund die Strafprozessordnung im vergangenen Jahr überarbeitet hatte.”

Zu den Plänen des Innenministeriums sagte Jasper Schüler-Dahlke, Richter und Pressesprecher am Landgericht Frankfurt (Oder), gegenüber den Potsdamer Neuesten Nachrichten: “Das Ministerium kann natürlich machen, was es will.” Bei einer Wiedereinführung des Aufzeichnungsmodus müsse aber bedacht werden, dass das Gericht in einer Einzelfallentscheidung dafür in der Vergangenheit keine Rechtsgrundlage gesehen habe.

Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2008 und 2018 zu der Technik geurteilt: Demnach greift sie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, wenn die Kennzeichen nicht unverzüglich verarbeitet und dann sofort gelöscht werden. Eine Speicherung auf Vorrat ist somit nicht zulässig. Außerdem darf die Technik nur anlassbezogen verwendet werden. (js)