Kennzeichenerkennung zu Fahndungszwecken soll ausgeweitet werden

Kennzeichenscanner
Seit 2019 werden Kennzeichenscanner auch zur Kontrolle von Dieselfahrverboten eingesetzt. (Quelle: Jenoptik)

Das Bundesjustizministerium will den Strafverfolgungsbehörden in Zukunft erlauben, automatisierte Kennzeichenlesesysteme (AKLS) bundesweit an Kontrollpunkten für Fahndungen zu nutzen. Das geht aus einem am 15. Oktober veröffentlichten Gesetzentwurf “zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung” hervor.

Die Systeme erfassen automatisch die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Fahrzeuge und gleichen diese mit den Halterdaten ab. Die Technik kommt bereits in verschiedenen Bundesländern zum Einsatz, beispielsweise zur Durchsetzung der LKW-Maut. Das Justizministerium will mit einem neuen Paragrafen Regelungslücken in der Strafprozessordnung (StPO) schließen. Zuvor hatte es erhebliche Zweifel gegeben, ob die bisherigen Regeln den Einsatz von Kennzeichenerfassung zu Fahndungszwecken rechtfertigen.

Denn in der Strafprozessordnung ist bisher nur allgemein geregelt, dass bei Ermittlungen “auch ohne Wissen der betroffenen Personen außerhalb von Wohnungen Bildaufnahmen hergestellt werden dürfen”, um den Aufenthaltsort von Beschuldigten festzustellen. Nicht gestattet ist hingegen der Abgleich der Bilder mit Datenbeständen. Mit dem Gesetzentwurf will die Bundesjustizministerin nun den Einsatz der Technik inklusive Datenabgleich direkt in der StPO verankern.

Im Juni 2019 hatte die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister einstimmig beschlossen, eine gesetzliche Regelung für den Einsatz der Systeme zu schaffen.

Künftig sollen “amtliche Kennzeichen von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung” ohne das Wissen der betroffenen Personen automatisch ausgewertet werden dürfen. Voraussetzung für den Einsatz der Scanner sollen Anhaltspunkte für eine “Straftat von erheblicher Bedeutung” sein. Dazu zählen Gefahren für Leib und Leben oder für die Sicherheit von Bund und Ländern. Vorgesehen ist zudem der “Schutz von nicht unerheblichen Sachwerten”. Eine Beschränkung auf bestimmte Straftaten ist jedoch nicht vorgesehen. Außerdem muss “die Annahme gerechtfertigt” sein, dass durch die Kennzeichenscans der Aufenthaltsort von Beschuldigten festgestellt werden kann.

Keine flächendeckende Überwachung

Die automatische Datenerhebung darf nur vorübergehend und nicht flächendeckend erfolgen. Alle passierenden Fahrzeuge werden dann abgelichtet – auch die der unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger. Eine Software liest die Ziffernfolge des amtlichen Kennzeichens aus. Die erhobenen Kennzeichen sollen mit den Daten von Autos abgeglichen werden, die auf die beschuldigte Person oder ihre Kontaktpersonen zugelassen sind.

Daten müssen gelöscht werden

Der Abgleich muss “unverzüglich” erfolgen, nachdem Daten erfasst wurden. Zeigt die Software einen Treffer an, so muss die Polizei eine manuelle Prüfung durchführen. Sollte die Software keine Übereinstimmung feststellen oder sich dies bei der manuellen Prüfung herausstellen, so seien “die erhobenen Daten sofort und spurenlos zu löschen”.

Diese Vorgabe erklärt sich durch vorausgegangene Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht hatte sich in den Jahren 2008 und 2018 mit der umstrittenen Erkennungstechnik beschäftigt. Beide Male kam das Gericht zu der Entscheidung, dass sie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift, solange die Kennzeichen nicht unverzüglich verarbeitet und dann sofort gelöscht würden. Eine Speicherung auf Vorrat ist somit nicht zulässig.

Der Gesetzentwurf schließt ausdrücklich aus, dass die Personen im Fahrzeug durch Gesichtsabgleich identifiziert werden. Wie viele Personen sich in einem Fahrzeug befinden, darf ebenfalls nicht erfasst werden.

Beim Einsatz der Kennzeichenerkennung müsse die Kontrollstelle im öffentlichen Raum in der Anordnung ausdrücklich genannt werden. Auch dürfe die Technik nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Die Kennzeichenerfassung muss jedoch nicht richterlich angeordnet werden. Stattdessen soll eine Anordnung der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen ausreichen.

Länder setzen Technik schon länger ein

Die automatische Kennzeichenerkennung wird seit längerem nicht nur zur Gefahrenabwehr, sondern seit 2005 auch zur Kontrolle der LKW-Mautpflicht eingesetzt. Das Mautgesetz erlaubt die Datenerhebung aber nur zur Gebührenerhebung. Dem Online-Magazin netzpolitik.org sagte ein Ministeriumssprecher: “Ob bereits vorhandene AKLS-Geräte, die derzeit zu anderen Kontrollzwecken eingesetzt werden, künftig auch für [Fahndungszwecke] zum Einsatz kommen können, wäre jeweils durch die einzelnen Bundesländer zu entscheiden.”

Brandenburg speicherte Daten auf Vorrat

Besonders umstritten war zuletzt der Einsatz der Kennzeichenerkennung in Brandenburg: Hier hatte die Polizei die Scanner dauerhaft betrieben und die erfassten Daten auf Vorrat gespeichert. Laut Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) wurde der Dauerbetrieb Ende September abgeschaltet und Abfragen können nur noch gezielt erfolgen. Im Januar 2020 hatte die brandenburgische Datenschutzbeauftragte, Dagmar Hartge, das Verfahren für unzulässig erklärt. In Brandenburg ist noch eine Verfassungsbeschwerde der Piratenpartei anhängig.

Der dauerhafte Einsatz wie in Brandenburg wäre auch mit dem neuen Gesetz nicht zulässig. Allerdings bleibt unklar, wie ein Dauerbetrieb konkret verhindert werden soll. Zumal keine ausdrückliche und pauschale “Höchstfrist” für den Einsatz der Technik festgelegt werden soll. Das Justizministerium begründet dies mit der Zweckbindung der Kennzeichenerfassung: Bei längerer Suche ohne Erfolg würde die Anordnung nicht verlängert. Wie ein Dauerbetrieb einer Kontrollstelle durch verschiedene dort laufende Fahndungen verhindert werden soll, ist dem Gesetzentwurf dennoch nicht zu entnehmen.

Die Piratenpartei schrieb auf Twitter zu den Plänen des Justizministeriums: “Die automatische Kennzeichenerfassung ist ein Frontalangriff gegen unser Recht auf informationelle Selbstbestimmung!” Der netzpolitik.org-Redakteur Andre Meister kritisierte das Vorhaben der Bundesregierung als “Auto-Rasterfahndung”.

Beim Einsatz der Technik werden unweigerlich Unbeteiligte erfasst. Werden die Daten, wie in Brandenburg, gespeichert, lassen sich so Bewegungsprofile erstellen. Die Nachrichtenseite BuzzFeed hatte 2018 zudem Statistiken veröffentlicht, wonach es bei den in den Ländern eingesetzten Systemen hohe Fehlerquoten gibt. Auch bei den für die LKW-Maut eingesetzten Kennzeichenscannern wurden zwischen September 2018 und März 2019 zahlreiche Nummernschilder falsch erfasst. Unbeteiligte können somit leicht in das Visier der Ermittler geraten. Auch das Justizministerium gesteht ein, dass von den Maßnahmen “typischerweise Personen in sehr großer Anzahl betroffen” seien.

Der Entwurf des Justizministeriums wurde an die Bundesländer und Verbände verschickt. Diese haben bis zum 12. November Zeit, Stellung zu nehmen. Danach soll das Gesetz auf den Weg gebracht werden. (js)