Kennzeichenerkennung zu Fahndungszwecken soll bundesweit zulässig werden

Kennzeichenscanner
Kennzeichenscanner erfassen alle vorbeifahrenden Fahrzeuge. Liegt kein Treffer vor, müssen die Daten sofort gelöscht werden. (Quelle: imago images / Olaf Selchow)

Künftig sollen Strafverfolgungsbehörden automatisierte Kennzeichenlesesysteme (AKLS) bundesweit an Kontrollpunkten zur Fahndung nutzen dürfen. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den “Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften” gebilligt, der die entsprechenden Regeln enthält. Bundestag und Bundesrat müssen noch zustimmen.

Die Systeme erfassen automatisch die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Fahrzeuge. Auch zur Durchsetzung der LKW-Maut kommt die Technik bereits in verschiedenen Bundesländern zum Einsatz. Der neue Paragraf 163g der Strafprozessordnung (StPO) soll nun Regelungslücken in Bezug auf die Kennzeichenerfassung schließen, wie das Bundesjustizministerium mitteilte.

Demnach dürfen “Kennzeichen von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung” automatisch und ohne Wissen der betroffenen Personen ausgewertet werden. Voraussetzung sind Anhaltspunkte für “eine Straftat von erheblicher Bedeutung”. Der Gesetzentwurf sieht weiter vor, dass “die Annahme gerechtfertigt” sein muss, dass sich durch die Kennzeichenscans die Identität oder der Aufenthaltsort eines Beschuldigten feststellen lässt.

Bei der Kennzeichenerfassung liest eine Software die Ziffernfolge der amtlichen Kennzeichen aus. Die Anlagen nehmen dabei alle vorbeifahrenden Fahrzeuge auf – also auch die unbescholtener Bürgerinnen und Bürger. Die Aufnahmen werden anschließend automatisch mit Kennzeichen abgeglichen, die auf Beschuldigte oder Kontaktpersonen zugelassen sind.

Polizei muss Treffer prüfen

Der Abgleich muss “unverzüglich nach der automatischen Datenerhebung” erfolgen. Kommt es zu einem Treffer, muss die Polizei das Ergebnis manuell überprüfen. Sollte die Software keine Übereinstimmung feststellen oder sich dies bei der manuellen Prüfung herausstellen, so sind die Daten “sofort und spurenlos zu löschen”.

Damit berücksichtigt das Gesetz Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte bereits 2008 und 2018 zu der umstrittenen Erkennungstechnik geurteilt: Demnach greift sie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, wenn die Kennzeichen nicht unverzüglich verarbeitet und dann sofort gelöscht werden. Eine Speicherung auf Vorrat ist somit nicht zulässig. Außerdem darf die Technik nur anlassbezogen verwendet werden.

Erlaubt ist der Einsatz der Erkennungstechnik “im öffentlichen Verkehrsraum”; in der Praxis soll es “vor allem um den Einsatz […] auf Fernstraßen” gehen. Dabei dürfen die Scanner “nur vorübergehend und nicht flächendeckend” eingesetzt werden. Allerdings ist keine pauschale “Höchstfrist” für den Betrieb vorgesehen. In dem Gesetzentwurf begründet das Justizministerium dies mit der Zweckbindung: Bei einer längeren Fahndung ohne Erfolg würde die Anordnung nicht verlängert. Wie ein Dauerbetrieb einer Kontrollstelle durch verschiedene dort laufende Fahndungen verhindert werden soll, ist dem Gesetzentwurf dennoch nicht zu entnehmen.

Eine richterliche Anordnung ist für die Kennzeichenerfassung nicht vorgesehen, eine schriftliche Anordnung der Staatsanwaltschaft soll ausreichen. In ihr müssen die Dauer der Maßnahme und die Kontrollstelle im öffentlichen Raum ausdrücklich benannt werden. Bei “Gefahr in Verzug” kann die Anordnung auch mündlich durch die “Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft” erfolgen.

Ausgeschlossen ist, dass die Polizei im Rahmen der Kennzeichenscans feststellt, wie viele Personen sich in einem Fahrzeug befinden. Ebenfalls dürfen die Personen nicht mit einem “technisch möglichen Gesichtsabgleich” identifiziert werden.

Bisher erlaubt die Strafprozessordnung nur allgemein, dass bei Ermittlungen “auch ohne Wissen der betroffenen Personen außerhalb von Wohnungen Bildaufnahmen hergestellt werden dürfen”, um den Aufenthaltsort von Beschuldigten festzustellen. Der Abgleich mit Datenbeständen ist jedoch nicht erlaubt. Deshalb hatte es erhebliche Zweifel gegeben, ob der Einsatz von Kennzeichenlesesystemen für Fahndungen zulässig ist.

Umstrittene Technik

Die Kennzeichenerkennung ist schon länger umstritten und gilt als fehleranfällig. So ist auch im Gesetzentwurf die Rede von “aufgrund technischer Unzulänglichkeiten nicht vermeidbaren ‘unechten Trefferfälle[n]’”. Der Europaabgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei hält die Technik für ineffizient: “Der massenhafte Abgleich von KFZ-Kennzeichen führt selten und allenfalls zufällig einmal zur Aufklärung von Straftaten.” Polizisten müssten “die zu über 90 Prozent falschen Treffermeldungen der fehleranfälligen Technik aussortieren”.

Besonders kritisiert wurde zuletzt der Einsatz der Technik in Brandenburg: Die Polizei hatte die Scanner dort dauerhaft betrieben und die erfassten Daten auf Vorrat gespeichert. Mit solchen Daten lassen sich Bewegungsprofile erstellen. Laut Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) wurde der Dauerbetrieb im September 2020 abgeschaltet. In Brandenburg ist noch eine Verfassungsbeschwerde gegen die Praxis anhängig.

Kennzeichen Unbeteiligter werden erfasst

Beim Einsatz der Technik werden unweigerlich Unbeteiligte erfasst. Selbst das Justizministerium merkt an, dass “typischerweise Personen in sehr großer Anzahl betroffen” sind. Laut dem Gesetzentwurf sei es aber “praktisch undurchführbar”, alle betroffenen Personen zu informieren. Zudem schreibe das Bundesverfassungsgericht dies auch nicht vor. Deshalb sollen nur die Beschuldigten und Kontaktpersonen informiert werden, wenn nach Auswertung der Daten weitere Ermittlungen geführt wurden.

Breyer warnte im Zusammenhang mit der Technik vor ständiger Überwachung: “Die vom Grundgesetz garantierte Handlungsfreiheit geht verloren, wo permanent aufgenommen und abgeglichen wird, weil dadurch der Anschein einer permanenten Aufzeichnung und Kontrolle des eigenen Verhaltens erweckt wird. Autofahrer wissen eben nicht, ob ihr Kennzeichen im Fahndungsbestand verzeichnet ist und ob ihre Bewegungen gespeichert werden oder nicht – was auch irrtümlich erfolgen kann.” Breyer hatte 2018 beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die Kennzeichenerfassung durch die Bundespolizei eingereicht. Das Gericht hat in dem Fall noch nicht entschieden. (js)