Lieferkettengesetz: Kritik an abgeschwächtem Gesetzentwurf

Kinderarbeit im Libanon
Das geplante Lieferkettengesetz soll Kinderarbeit verhindern. (Quelle: IMAGO / VWPics)

Nach langem Streit will die Bundesregierung nun noch in dieser Legislaturperiode ein Lieferkettengesetz verabschieden. Am 12. Februar hatten Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) einen gemeinsamen Referentenentwurf vorgestellt. Doch was Heil als “historischen Durchbruch” bezeichnet, kritisieren Umwelt- und Menschenrechtsverbände jetzt als “vertane Chance”.

Das Lieferkettengesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, auf die Einhaltung von Menschenrechten bei ihren Zulieferern zu achten. Kinderarbeit, Umweltschäden oder Hungerlöhne sollen so verhindert werden. Dafür müssen Unternehmen eine Risikoanalyse ihrer Lieferkette vornehmen. Der Gesetzentwurf bezieht sich allerdings nur auf die “unmittelbaren Zulieferer”. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) forderte am Dienstag hingegen, dass Unternehmen die gesamte Lieferkette bewerten müssen.

Es sei gut, dass die Regierung nun ein solches Gesetz vorgeschlagen hat. “Aber wenn dieses Gesetz die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen in den globalen Lieferketten verhindern soll, müssen die Unternehmen die Risiken auch bei Zulieferern, die nicht unmittelbar für sie arbeiten, systematisch bewerten und angehen, und nicht nur in Ausnahmefällen, wenn NGOs oder die Medien Alarm schlagen”, sagte Juliane Kippenberg von HRW. Denn der Referentenentwurf sieht vor, dass bei anderen Unternehmen in der Lieferkette nur eine “anlassbezogene” Sorgfaltsprüfung durchgeführt werden muss, wenn “substantiierte Kenntnisse” von möglichen Menschenrechtsverletzungen vorliegen.

Unternehmen untersuchen Menschenrechtsverletzungen nicht

Die Menschenrechtsorganisation weist darauf hin, dass Menschen, die in globalen Lieferketten arbeiten, wiederholt Opfer von schweren Arbeitsrechtsverletzungen geworden sind. Kinder seien besonders gefährdet. Gemeinden litten beispielsweise unter Umweltschäden durch den Bergbau. Dennoch untersuche die große Mehrheit der Unternehmen in Deutschland keine Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden in ihren Lieferketten – und ginge auch nicht gegen diese vor. Es brauche daher ein robustes Lieferkettengesetz. Der aktuelle Vorschlag sei ein Schritt in die richtige Richtung, reiche jedoch nicht aus. Dabei sind Unternehmen durch internationale Wirtschafts- und Menschenrechtsnormen verpflichtet, in ihrer gesamten Lieferkette eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung durchzuführen.

Kritik gibt es auch daran, dass das Gesetz vorerst nur für wenige Großunternehmen gelten soll: Ab 2023 sind 600 deutsche Großbetriebe betroffen, die mindestens 3000 Angestellte haben; ab 2024 dann auch Firmen mit mindestens 1000 Mitarbeitern. “Ein wirkungsvolleres Gesetz wäre möglich gewesen. Doch offenbar sind der CDU ihre guten Beziehungen zu den Wirtschaftsverbänden wichtiger als der effektive Schutz von Menschenrechten und Umwelt. Nur so ist zu erklären, dass das Gesetz zunächst nur für so wenige Unternehmen gilt”, sagte Johanna Kusch von der Initiative Lieferkettengesetz. Die Initiative ist ein Bündnis von 124 Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen sowie Gewerkschaften und kirchlichen Akteuren.

Nach Recherchen des ARD-Magazins Monitor haben Wirtschaftsverbände die Einschränkungen im Gesetzestext durchgesetzt. Demnach wären momentan ab 2024 nur noch 2900 Unternehmen in Deutschland von dem Gesetz betroffen. Zuvor sei noch von mehr als 7000 Unternehmen die Rede gewesen. Die Verbände hätten zuletzt auch mit der wirtschaftlichen Belastung durch die Corona-Krise argumentiert. Eine Studie der EU-Kommission schätzt die Kosten für die Umsetzung von Menschenrechts- und Umweltpflichten jedoch gerade einmal auf 0,005 Prozent des Umsatzes bei großen Unternehmen; bei kleinen und mittleren Unternehmen auf 0,07 Prozent.

“Auch kleine und mittelständische Unternehmen, insbesondere aus Risikobranchen wie der Textilindustrie, müssen dringend zum Menschenrechtsschutz verpflichtet werden”, forderte auch Miriam Saage-Maaß vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Umweltstandards unzureichend berücksichtigt

Human Rights Watch merkt an, das Gesetz nehme “auf einige wichtige internationale Menschenrechts-, Arbeitsrechts- und Umweltstandards Bezug”. Allerdings würden viele andere Standards ausgelassen, darunter die UN-Kinderrechtskonvention und das Pariser Klimaabkommen. So gebe es auch keine vollständig definierte ökologische Sorgfaltspflicht. Auch Johanna Kusch von der Initiative Lieferkettengesetz kritisiert, dass die Pflicht zur Einhaltung von Umweltstandards nur “marginal” berücksichtigt worden sei.

Positiv sehen die NGOs, dass in Zukunft eine Behörde prüfen soll, ob Unternehmen ihren Verpflichtungen nachkommen. Bei Verstößen können Bußgelder verhängt werden. Unternehmen sollen zudem von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden können.

Auch sieht der Gesetzentwurf vor, dass Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften im Namen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen Klage vor Zivilgerichten einreichen können. Allerdings wurde eine zivilrechtliche Haftung aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Damit hätten Betroffene Schadensersatzforderungen für Menschenrechts-, Arbeitsrechts- oder Umweltschäden geltend machen können. Miriam Saage-Maaß vom ECCHR erklärte der ARD, dass sich dies auch auf Menschenrechtsverletzungen bezogen hätte, die vom deutschen Zivilrecht nicht erfasst werden, beispielsweise die Verschmutzung von Wasser oder die Verwehrung des Zugangs zu Nahrung.

Eine solche Haftung sei “offenbar nicht gewollt”, so Michel Brandt von der Linken-Fraktion im Bundestag. Organisationen und Gewerkschaften könnten nun nur unter dem “bestehenden, unzureichenden, internationalen Privatrecht” klagen. Er verweist darauf, dass es bisher nur ein Fall vor ein deutsches Gericht geschafft hat: Die Klage nach einem Brand in einer Fabrik des Textildiscounters Kik in Pakistan wurde 2019 jedoch wegen Verjährung abgewiesen.

Regierung soll nachbessern

Es wird erwartet, dass das Kabinett den Gesetzentwurf noch im März verabschiedet und dann in den Bundestag einbringt. “Der Bundestag spielt nun eine entscheidende Rolle dabei, um aus dem Entwurf ein effektives Gesetz zu machen”, so Juliane Kippenberg von HRW. “Was wir brauchen, ist ein robustes Gesetz, das dazu beiträgt, die Rechte der schutzbedürftigsten Menschen zu respektieren.”

Die Initiative Lieferkettengesetz fordert die Bundestagsabgeordneten auf, “sicherzustellen, dass die Sorgfaltspflichten von Unternehmen den UN-Leitprinzipien entsprechen”. Ein Lieferkettengesetz müsse auch Umweltstandards berücksichtigen und eine zivilrechtliche Haftungsregelung enthalten.

“Das Sorgfaltspflichtengesetz, wie es momentan aussieht, verdient den Namen nicht. Es wird sich für Unternehmen weiter finanziell rechnen, Arbeits- und Umweltstandards zu untergraben”, konnotierte Michel Brandt. Die Bundesregierung müsse nun “gründlich” nachbessern und solle dabei die Forderungen der zivilgesellschaftlichen Initiative berücksichtigen. (js)