Modeindustrie: Weniger Schadstoffe, aber immer mehr Produktion

Kleidungsgeschäft
Jede Sekunde landet weltweit eine LKW-Ladung Textilien im Müll. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Ein Teil der Modebranche hat in den vergangenen Jahren einen Wandel durchlaufen, wie aus dem neuen “Detoxreport 2021” der Umweltorganisation Greenpeace hervorgeht. Mittlerweile setzen die 29 untersuchten Modekonzerne in über 90 Prozent ihrer Produktionsstätten keine besonders giftigen Stoffe mehr ein. Darunter finden sich Branchenriesen wie Mango, H&M, Primark, Nike oder Adidas. Die Unternehmen hatten sich im Rahmen der Greenpeace-Detox-Kampagne in den vergangenen Jahren zu mehr Nachhaltigkeit und Verzicht auf giftige Chemikalien verpflichtet.

Dennoch stellt die Umweltorganisation in ihrem Bericht fest: “Die Textilbranche gehört weltweit zu den klimaschädlichsten.” Denn was die Industrie durch den Verzicht auf schädliche Chemikalien an Nachhaltigkeit gewonnen hat, mache sie durch immer höheren Absatz, mehr Kollektionen und kürzere Produktzyklen wieder zunichte.

“Fast-Fashion wird nie nachhaltig sein, ganz gleich ob ihre Produktion mit weniger giftigen Chemikalien auskommt”, stellte Viola Wohlgemuth, Konsumexpertin bei Greenpeace, angesichts der Untersuchungsergebnisse fest.

Hersteller werden sauberer

Im Zuge der vor zehn Jahren gestarteten Greenpeace-Kampagne “Detox My Fashion” haben sich 80 internationale Textilhersteller und Zulieferer verpflichtet, bis 2020 keine gefährlichen Chemikalien mehr in ihren Lieferketten zu verwenden. Ab 2014 wollten die Firmen auch die Probleme Überproduktion und Müll angehen. Diese Maßnahmen sollten mit Transparenz über den Nachweis toxischer Substanzen in den Abwässern der Fabriken einhergehen.

Greenpeace hat nun untersucht, ob die Unternehmen ihre Versprechen gehalten haben. Die Umweltorganisation hat den aktuellen Stand anhand von Selbstaussagen der Firmen und öffentlich zugänglicher Daten überprüft. Das Fazit des Berichts fällt zwiegespalten aus.

In Bezug auf die Verwendung von Chemikalien ist das Urteil positiv: “Alles in allem wurde das Momentum der Detox-Kampagne aufrechterhalten.” Zwar sei noch vieles zu tun und der Prozess im Gange, doch führende Textilunternehmen übernähmen aktuell Verantwortung für die Erreichung der vereinbarten Ziele und verzichten auf Stoffe wie Weichmacher, PFCs und Azofarbstoffe. Diese gelten als krebsfördernd, fortpflanzungsschädigend oder hormonell wirksam.

Gleichzeitig gäbe es aber einen gefährlichen “Unterbietungswettlauf”: In Afrika würden nun umweltschädliche Praktiken in der Textilindustrie angewendet, die zuvor in Asien und Mittelamerika bereits aufgedeckt wurden – statt auf dem Kontinent gleich eine saubere Industrie aufzubauen.

“Wegwerfmode” belastet Umwelt

Ebenfalls negativ auf die Umweltbilanz der Branche wirke sich deren Wachstum aus. Da “Fast Fashion”, Überproduktion und Überkonsum allgegenwärtig seien, würden Auswirkungen auf Gesundheit, Umwelt und Menschen vervielfacht mit der steigenden Menge an Kleidungsstücken.

In den vergangen sechs Jahren habe sich die weltweite Menge an jährlich produzierten Kleidungsstücken verdoppelt – auf 200 Milliarden Teile. Die Textilindustrie sei in den letzten zwei Jahrzehnten “explosionsartig gewachsen”. Der jährliche Umsatz mit Bekleidung stieg von 1 Billion US-Dollar im Jahr 2002 auf 1,8 Billionen im Jahr 2015. Bis zum Jahr 2025 besagen die Prognosen eine Steigerung auf 2,1 Billionen US-Dollar.

Die Lieferketten der Textilindustrie sind laut Greenpeace die mit dem drittgrößten Treibhausgasausstoß – hinter denen der Lebensmittel- und Baubranche. Allein auf die Produktion gingen mindestens drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen zurück. Die Treibhausgasemissionen aus der Textilproduktion hätten im Jahr 2015 1,2 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente betragen.

Vor allem der Trend zur “Wegwerfmode” führe zu diesen Problemen. Immer kürzere Produktzyklen und teils wöchentlich wechselnde Kollektionen “übernutzen” Ressourcen und produzieren viel Müll. Konsumentinnen und Konsumenten tragen ihre Kleidung nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren.

Von den 29 untersuchten Unternehmen würden 20 eine solche Strategie fahren – unter anderem Primark, Mango und C&A. “Durch den Fast-Fashion-Wahnsinn landet jede Sekunde eine LKW-Ladung Textilien weltweit auf Mülldeponien oder wird verbannt”, sagte Wohlgemuth. Während nur 1 Prozent der Textilien wieder zu neuen Kleidungsstücken recycelt werde.

Positive Gegenbeispiele seien Marken wie Vaude, Benetton oder Paramo. Sie hätten laut Bericht “erste Schritte unternommen, um ihre Kollektionen zu reduzieren, ihre Warenströme zu entschleunigen und so ihren Ressourcenverbrauch zu senken”. Zum Teil bieten sie Reparaturservices und -anleitungen an – oder Mietsysteme für ihre Produkte.

Gesetzgeber aufgefordert

Angesichts der bestehenden Probleme sei ein weiteres Umdenken in der Modeindustrie nötig. Deswegen fordert Greenpeace: “Die Branche muss vom Händler zum Dienstleister werden, um wirkliche Fortschritte im Klimaschutz zu erzielen. Reparieren, Mieten und Second Hand müssen das neue Normal werden.” Hersteller sollten ihre Waren langlebiger gestalten, sie reparierbar und wiederverwendbar machen. Auch Pflege und Reparaturangebote würden eine längere Verwendungsdauer sichern.
Lieferketten und Abwasserdaten sollten offengelegt werden.

Es brauche zudem gesetzliche Regulierung – Selbstverpflichtung reiche nicht aus. Um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, sei auch die EU am Zug. Sie solle gleiche Bedingungen für alle Textilprodukte schaffen, die auf den EU-Markt kommen. Mit der EU-Strategie für nachhaltige Textilien und dem Lieferketten- oder Due-Diligence-Gesetz fänden derzeit zwei politische Prozesse statt, “die den Regierungen die Verantwortung übertragen, die besten Verfahren auf Grundlage der Detox-My-Fashion-Kampagne zu entwickeln und diese für die gesamte Branche verpflichtend zu machen”. Greenpeace schlägt vor, die EU-Gelder zur Bewältigung der Pandemie für eine Neustrukturierung der Textilbranche zu verwenden und nur an Unternehmen zu vergeben, die sich von Modehändlern zu Modedienstleistern entwickeln (z. B. Reparatur, Wiederverwendungs-, Vermietungs- und Tauschdienstleistungen)". Zudem sei es notwendig, niedrigere Grenzwerte – “so nah wie möglich am technischen Nullwert” – für gefährliche Chemikalien festzulegen.

Firmen sollten für ihren Einfluss auf Menschenrechte und Umwelt auch rechtlich Verantwortung übernehmen müssen. Die unternehmerische Sorgfaltspflicht müsse EU-weit festgeschrieben sein, die gesamte Lieferkette abdecken, zivilrechtliche Haftung vorsehen, kleinere Unternehmen einbeziehen und die Umweltstandards erhöhen. Die aktuelle Version des deutschen Lieferkettengesetzes erfülle diese Anforderungen beispielsweise nicht zur Gänze.

Zugunsten eines Materialkreislaufes sollten aus Sicht von Greenpeace Recycling-Projekte priorisiert werden, die tatsächlich Textilien weiterverwenden. Materialien aus anderen Abfallströmen sollten hingegen nicht verwendet werden – beispielsweise Plastikflaschen. Denn zunehmend sei Kleidung aus Materialmix im Umlauf, die “quasi nicht recycelbar” sei und daher verbrannt werden muss.

“Wenn die neue Bundesregierung Umwelt und Klima schützen will, muss sie endlich auch die Textilindustrie in den Blick nehmen. Mit Selbstverpflichtungen allein wird die Branche das 1,5 Grad Limit nicht erreichen, dafür braucht es gesetzlich bindende Sektorziele”, fordert Greenpeace Deutschland zudem von der kommenden Bundesregierung. (hcz)