New York: Rechnungsprüfer übt Kritik an Schusserkennungssoftware
Der Rechnungsprüfer von New York City hat dem umstrittenen Schusserfassungssystem ShotSpotter Unzuverlässigkeit bescheinigt und den weiteren Einsatz in Frage gestellt. Wie in einem Prüfbericht vom 20. Juni zu lesen ist, verursacht das System eine große Menge Fehlalarme und schickt Polizistinnen und Polizisten oftmals an Orte, an denen offensichtlich gar keine Schüsse abgefeuert wurden. “In den Untersuchungsmonaten der Jahre 2022 und 2023 führten ShotSpotter-Warnungen nur in 8 bis 20 Prozent der Fälle zu bestätigten Schießereien”, heißt es in dem Bericht.
Im Juni 2023 beispielsweise habe ShotSpotter 940 Warnungen ausgegeben, auf die das New York Police Department (NYPD) reagiert hat. In 82 Prozent der Fälle hätten aber die Schüsse vor Ort nicht bestätigt werden können. In 5 Prozent der Fälle sei der Alarm unbegründet gewesen und nur in 13 Prozent hatte tatsächlich ein Schusswechsel stattgefunden. Im untersuchten Zeitraum habe die Quote an nachweislich korrekten Schussmeldungen nie höher als als 20 Prozent gelegen. Dennoch habe das System seine vertraglich festgelegten Leistungsziele in fast allen Bezirken erreicht – da die Zielwerte so niedrig angesetzt wurden.
Rechnungsprüfer Brad Lander sagte laut Pressemitteilung: “Die Daten zeigen, dass die NYPD wertvolle Zeit und Geld für diese Technologie verschwendet und ihre Ressourcen besser verwalten muss. Die Verfolgung von Fehlzündungen bei Autos und Baulärm macht uns nicht sicherer.”
ShotSpotter soll Schüsse im öffentlichen Raum automatisch erkennen, orten und den Ermittlungsbehörden melden. Um verdächtige Geräusche zu erfassen, werden über ganze Bezirke oder gar Städte hinweg Mikrofone beispielsweise an Laternen befestigt. Mithilfe von Algorithmen soll das System dann analysieren, ob es sich tatsächlich um Schüsse oder um andere Geräusche wie Feuerwerkskörper handelt. Löst die Software einen Alarm aus, hören sich Angestellte die Aufnahme an – und alarmieren gegebenenfalls die Polizei.
Zeitverschwendung
Die Unzuverlässigkeit des Systems führt laut Bericht dazu, dass Polizeibeamte viel Zeit damit verbringen, Falschmeldungen nachzugehen: Im Juni letzten Jahres hätten die Polizisten knapp 427 Stunden mit der Untersuchung von Warnungen verbracht, bei denen keine Schießereien festgestellt werden konnten. “Über ein Jahr verteilt stellt dies möglicherweise eine erhebliche Verschwendung von Beamtenstunden dar”, so der Bericht. Dadurch ergäben sich Ausgaben, die sich die Stadt kaum leisten könne.
Dennoch erfasse das NYPD selbst derzeit nicht die Zeit, die für die Reaktion auf solche Fälle aufgewendet werden muss; auch die damit verbundenen Personalkosten würden nicht aufgeführt. Gegenüber der New York Times hat sich die Behörde nicht zu der Untersuchung geäußert. Allerdings erklärte eine Sprecherin des Bürgermeisters in einer Stellungnahme: “Wir verstehen zwar, dass sich neue Technologien weiterentwickeln und es immer Raum für Verbesserungen gibt, aber was dem Rechnungsprüfer entgangen zu sein scheint, ist, dass ShotSpotter der NYPD die Möglichkeit gegeben hat, unzählige Verbrechen aufzuklären und Leben zu retten.”
Die Betreiberfirma SoundThinking attestierte dem Bericht in einer Stellungnahme "einen Mangel an Verständnis für die Arbeit der öffentlichen Sicherheit vor Ort. In dem Bericht seien die falschen Datengrundlagen verwendet worden, um den Erfolg des Systems zu bewerten.
Gefahr von Diskriminierung
Forschende und Bürgerrechtsorganisationen haben in Vergangenheit immer wieder Bedenken im Bezug auf ShotSpotter geäußert. Eine Untersuchung der American Civil Liberties Union Massachusetts (ACLUM) kam im April zu dem Ergebnis: “ShotSpotter ist eine unzuverlässige Technologie, die eine erhebliche Bedrohung für die Bürgerrechte und die bürgerlichen Freiheiten darstellt.” Betroffen seien fast ausschließlich Menschen in Wohnvierteln, die ohnehin ständig überwacht würden.
Kritiker weisen darauf hin, dass Fehlalarme – wie Feuerwerk oder andere laute Geräusche – zu einer übermäßigen Polizeipräsenz in Brennpunktvierteln führen können, da Beamte entsandt würden, obwohl kein Verbrechen begangen wurde. Das US-Magazin Wired hatte Anfang des Jahres eine Liste von Sensoren-Standorten veröffentlicht – die vom Anbieter des Systems bestätigt wurde. Demnach sind die Sensoren vor allem in Stadtteilen mit einer ärmeren und mehrheitlich nicht-weißen Bevölkerung verbaut. Bürgerrechtler kritisieren schon lange, dass Betroffene unbegründeten Polizeieinsätzen ausgesetzt seien, nur weil die Sensoren in ihrer Gegend installiert sind.
US-amerikanische Senatoren hatten hatten angesichts der Kritik im Mai 2024 in einem Brief das US-amerikanische Department of Homeland Security aufgefordert, seine Finanzierung für ShotSpotter zu untersuchen und zu prüfen, ob der Einsatz der umstrittenen Überwachungstechnik zu Bürgerrechtsverletzungen geführt hat.
Andere Städte beenden Zusammenarbeit
Zahlreiche andere Städte in den USA haben bereits den Einsatz von ShotSpotter eingestellt und ihre Verträge auslaufen lassen, berichtet die New York Times. In Chicago beispielsweise war im Jahr 2021 ein unbewaffneter 13-Jähriger von Polizeibeamten erschossen worden, nachdem das System einen Fehlalarm ausgegeben hatte. Der Bürgermeister Brandon Johnson entschied daraufhin, ShotSpotter abzuschaffen. In Boston steht steht das System ebenfalls in der Kritik, nachdem drei Kongressabgeordnete in einem offenen Brief die Untersuchung des Überwachungssystems gefordert hatten.
Seit die New Yorker Polizei ShotSpotter im Jahr 2015 eingeführt hat, sind 45 Millionen US-Dollar an den kalifornischen Betreiber SoundThinking geflossen. Weitere 9 Millionen Dollar sind bereits eingeplant. Derzeit sind in der Stadt mehr als 2000 Sensoren installiert.
Im Dezember müsste der Vertrag mit dem NYPD erneuert werden. Der Rechnungsprüfer empfiehlt, den Auftrag vorerst nicht zu verlängern, bis das System vollständig evaluiert werden kann. Es müsse zuerst die Datenerfassung verbessert und kritischer analysiert werden. Zudem sollten die Daten im Interesse der Transparenz veröffentlicht werden. “Die derzeit vom NYPD gesammelten und veröffentlichten Daten ermöglichen keine umfassende Bewertung der Wirksamkeit oder Wirtschaftlichkeit des Tools […]”, kritisiert der Rechnungsprüfer. (hcz)