Erneut Verfassungsbeschwerde gegen Hessisches Polizeigesetz eingereicht
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat am Dienstag Verfassungsbeschwerde gegen das novellierte Hessische Polizeigesetz erhoben. Dieses enthalte verfassungswidrige Befugnisse für den polizeilichen Einsatz der Analysesoftware “Hessendata”, kritisiert die Organisation. Das Programm durchsucht Datenbanken, um Querverbindungen zwischen Personen, Gruppen oder Organisationen zu entdecken.
Die GFF hat die Klage gemeinsam mit sechs Beschwerdeführenden eingereicht: Dazu zählen Aktivisten, Medienschaffende und Anwältinnen und Anwälte. Zwei von ihnen waren bereits an der im Jahr 2019 erhobenen Verfassungsbeschwerde beteiligt.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte die Regelungen im “Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung” im Februar 2023 für verfassungswidrig befunden. Gegen die daraufhin von der damaligen Landesregierung aus CDU und Grünen verabschiedete Gesetzesnovelle richtet sich nun die erneute Verfassungsbeschwerde.
Laut der GFF ist das Ziel der Klage, die “andauernde Verletzung der Privatsphäre” zu beenden. Außerdem wolle die Organisation die automatisierte Datenauswertung (sogenanntes Data Mining) “endgültig auf den Boden des Grundgesetzes zurückzuholen”.
System stammt von umstrittener Firma
Hessendata basiert auf der Software Gotham des US-amerikanischen Anbieters Palantir. Beworben wird das Produkt mit dem Versprechen von sogenanntem Predictive Policing – also automatisierter Datenauswertung zur Vorbeugung von Straftaten. Palantir ist auch wegen Verbindungen zu US-Militär sowie zu US-Geheimdiensten und -Sicherheitsbehörden äußerst umstritten. Bei der Polizei in Hessen kommt das System bereits seit dem Jahr 2017 zum Einsatz.
Dem BVerfG zufolge muss die gesetzliche Grundlage klare Vorgaben machen, unter welchen Voraussetzungen die Polizei mithilfe einer Software Informationen und Querverbindungen zwischen Personen herstellen darf, um Straftaten zu verhindern.
Simone Ruf, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF, sagte: “Wenn die Polizei eine Analysesoftware einsetzt und massenhaft Daten auswertet, dann darf der Schutz der Privatsphäre nicht aus den Augen verloren werden. Auch für den Einsatz komplexer Algorithmen gelten die engen Schranken des Grundgesetzes.”
Kritik an “schwammigen” Vorgaben
Die GFF bemängelt, statt nachzubessern, seien die neuen gesetzlichen Vorgaben in Hessen weiter schwammig und die Grundrechtsverletzungen setzten sich fort.
So sei es der Polizei trotz klarer Vorgaben aus Karlsruhe weiterhin erlaubt, Daten von unbeteiligten Menschen in die Analysesoftware einzuspeisen. Hessendata erfasse “in riesigen Mengen” Vorgangsdaten, Daten von Social-Media-Plattformen und Daten aus polizeilichen Auskunftssystemen. Das Gesetz erlaube außerdem, Daten aus Asservaten zu verarbeiten. Die GFF befürchtet, darunter könnten Laptops oder Smartphones sein, auf denen Daten Unbeteiligter gespeichert sind. Auch eine Nachfrage, welche Daten bei der Polizei über die eigene Person hinterlegt sind, könne Teil einer späteren Analyse werden.
Mit “einem Knopfdruck” greife die Polizei mit der Software in das Recht der Betroffenen ein, über ihre eigenen Daten zu bestimmen. Auf Grundlage der Analyseergebnisse könnten dann weitere heimliche Überwachungsmaßnahmen wie Observationen folgen.
Weil Betroffene davon nichts mitbekommen, hätten sie auch keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Der GFF zufolge treffe das oft ohnehin diskriminierte Gruppen, die in polizeilichen Datenbanken überrepräsentiert seien.
Nach Einschätzung der GFF ist es außerdem klar verfassungswidrig, dass die Software bereits im Vorfeld von Taten eingesetzt wird.
Die Organisation kritisiert zudem, der hessische Gesetzgeber habe seine Regelungspflicht an die Polizei verschoben. Die Dienststellen sollen den Einsatz von Hessendata demnach hauptsächlich selbst durch Verwaltungsvorschriften regeln – womit Änderungen ohne öffentliche parlamentarische Debatte möglich seien. Außerdem sei damit der verfassungsrechtliche Wesentlichkeitsgrundsatz verletzt: Die Parlamentarier müssten selbst dafür sorgen, dass die Polizei mittels der Software nur unter engen Voraussetzungen in Grundrechte eingreifen darf.
Auch die datenschutzrechtliche Kontrolle kritisiert die GFF als unzureichend – obwohl diese vom BVerfG vorgesehen sei. In Hessen bestehe aber weiterhin keine Pflicht, dass die Analysen regelmäßig vom Landesdatenschutzbeauftragten kontrolliert werden.
Weitere Klagen anhängig
Schon bei ihrer früheren Verfassungsbeschwerde hatte die GFF befürchtet, dass aufgrund der Datenanalyse unbescholtene Menschen ins Visier der Behörden geraten könnten. Die gleiche Adresse oder der gleiche Fußballverein könnten bereits ausreichen, damit die Software Verbindungslinien zieht, hatte die Organisation gemahnt. Auch die Eingriffsschwelle sei viel zu niedrig.
Das BVerfG hatte im Februar 2023 außerdem die Rechtsgrundlage für den Einsatz von Software zur Datenanalyse bei der Polizei in Hamburg für verfassungswidrig erklärt. Dort kam eine solche Software im Unterschied zu Hessen noch nicht zum Einsatz.
Nordrhein-Westfalen setzt die Palantir-Software ebenfalls ein. Auch gegen die dortige Rechtsgrundlage ist noch eine Verfassungsbeschwerde der GFF anhängig. Die Organisation erwartet zudem noch in diesem Jahr eine Entscheidung zur Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz. (js)