NSO Pegasus: Führende Politiker standen auf Ausspähliste

Emmanuel Macron und Charles Michel
Zu den potenziellen Zielen zählen auch Emmanuel Macron (links) und Europaratspräsident Charles Michel. (Quelle: IMAGO / HMB-Media)

Tausende Menschen weltweit könnten mit der Spionagesoftware Pegasus des israelischen Anbieters NSO ausspioniert worden sein. Auf der Liste der potenziellen Ausspähziele standen mehrere europäische Politikerinnen und Politiker. Auch mehrere Staatsoberhäupter sind betroffen. Die französischen Behörden haben bereits Ermittlungen wegen der Überwachung von Journalisten eingeleitet. Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat Klage gegen das gezielte Ausspähen von Medienschaffenden eingereicht.

An den unter dem Titel “Pegasus-Projekt” veröffentlichten Recherchen sind NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung, die Zeit, mehrere internationale Medien sowie die Organisationen Forbidden Stories und Amnesty International beteiligt. Sie hatten eine Liste mit mehr als 50.000 Telefonnummern ausgewertet. Dabei soll es sich um Nummern handeln, die Pegasus-Nutzer als mögliche Überwachungsziele eingegeben haben. NSO verkauft die Software nach eigenen Angaben nur an staatliche Stellen.

14 Staatsoberhäupter auf Ausspähliste

Medienberichten zufolge enthält die Liste eine Mobilfunknummer des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Auch die Nummern seines ehemaligen Premierministers Édouard Philippe und weiterer französischer Minister sollen 2019 als mögliche Überwachungsziele ausgewählt worden sein.

Zudem ist die Telefonnummer des früheren belgischen Premierministers und heutigen Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, in dem Datensatz enthalten. Ebenso die seines Vaters, Louis Michel, der bis 2019 Abgeordneter des Europäischen Parlaments war.

Die meisten potenziellen Überwachungsziele stammen aber aus Mexiko: Alleine zwischen 2016 und 2017 wurden dort 15.000 Menschen ins Visier genommen. Darunter mehr als 40 Personen aus dem Umfeld des heutigen Präsidenten und damaligen Oppositionsführers André Manuel López Obrador. Auch 26 mexikanische Journalistinnen und Journalisten gehören zu den potenziellen Opfern.

Nach Angaben von Amnesty International wurden die Nummern von insgesamt 14 Staatsoberhäuptern gefunden, darunter auch die von Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa und Marokkos Premierminister Saadeddine Othmani. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, sowie zahlreiche UN-Botschafter und der Gründer des Messenger-Dienstes Telegram sollen ebenfalls auf der Ausspähliste stehen.

Amnestys Generalsekretärin Agnes Callamard sagte, man habe seit langem gewusst, dass Aktivisten und Journalisten Ziel von Angriffen mit Pegasus sind. Nun sei klar, dass selbst Politiker an der Spitze von Staaten der Spionagesoftware nicht entkommen können. Die Enthüllungen sollten “den führenden Politikern der Welt einen Schauer über den Rücken jagen”.

Ehemaliger französischer Umweltminister wurde überwacht

Unklar ist jedoch, ob diese Personen tatsächlich mit Pegasus überwacht wurden. Dies ließe sich nur durch eine forensische Analyse ihrer Mobiltelefone herausfinden. IT-Experten des Amnesty International Security Labs konnten jedoch das Smartphone des ehemaligen französischen Umweltministers François de Rugy untersuchen und nachweisen, dass Pegasus darauf im Juli 2019 aktiv war. Insgesamt hatten die Sicherheitsforscher auf 37 iPhones Spuren von Pegasus gefunden. Darunter die Telefone mehrerer französischer und ungarischer Journalistinnen und Journalisten.

Hinter den mutmaßlichen Spionageaktionen in Frankreich und auf Charles und Louis Michel werden marokkanische Behörden vermutet. Staatschef Emmanuel Macron nehme die Angelegenheit “sehr ernst”, sagte Regierungssprecher Gabriel Attal am Donnerstag im Radiosender France Inter. Ein von Macron geleitetes Sondertreffen im Élyséepalast werde sich mit der Affäre beschäftigen. Marokko hatte am Mittwoch jegliche Beteiligung an der Überwachung von Personen des öffentlichen Lebens dementiert.

Der Pegasus-Trojaner lässt sich aus der Ferne auf Smartphones installieren, ohne dass die Opfer davon etwas mitbekommen. Anschließend können Angreifer beispielsweise das Mikrofon unbemerkt anschalten, um Gespräche aufzunehmen. Außerdem lassen sich Telefonate abhören, Chats mitlesen und Bilder aufnehmen.

Ermittlungen und Klage in Frankreich

Unterdessen hat die Pariser Staatsanwaltschaft erste Ermittlungen eingeleitet. Hintergrund sind Anzeigen von zwei Journalisten sowie der Verlagsgesellschaft der französischen Online-Zeitung Mediapart. Die Smartphones der beiden Journalisten sollen zwischen 2019 und 2020 mit Pegasus angegriffen worden sein. Die Untersuchung werde von einer Spezialeinheit der Polizei für Kriminalität in der Informations- und Kommunikationstechnik geführt. Es gehe unter anderem um den Vorwurf der betrügerischen Gewinnung und Weitergabe von Daten und einen Angriff auf die Privatsphäre.

Am Dienstag reichte außerdem die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) gemeinsam mit zwei marokkanisch-französischen Journalisten Klage in Paris ein. Die Staatsanwaltschaft solle klären, wer für die gezielte Überwachung von Medienschaffenden verantwortlich ist. Der deutsche RSF-Geschäftsführer Christian Mihr sagte: “Wir werden alles dafür tun, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.” Er warf NSO einen “Frontalangriff auf die Pressefreiheit” vor, der Journalistinnen und Journalisten in “persönliche Tragödien gestürzt” habe. Mit Sicherheit werde man noch weitere Klagen anstrengen.

Der britische Guardian berichtet zudem, dass die israelische Regierung eine Sondereinheit aus Vertretern verschiedener Ministerien, des Auslandsgeheimdienstes Mossad und der Armee bildet. Demnach gibt es Sorge in Regierungskreisen, dass sich aus den Berichten eine diplomatische Krise für Israel entwickeln könnte.

Moratorium gefordert

Reporter ohne Grenzen und Amnesty International fordern angesichts der Recherchen ein Moratorium für den Export von Überwachungstechnologien. Auch Edward Snowden, der im Jahr 2013 die NSA-Affäre aufgedeckt hatte, fordert ein Handeln der Politik: “Dieses Problem lässt sich meiner Meinung nach nur lösen, wenn wir den Handel mit dieser Art von Technologie mit einem globalen Moratorium belegen.”

Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, teilte am Montag mit, die Berichte hätten “einige der schlimmsten Befürchtungen über den möglichen Missbrauch von Überwachungstechnologien” bestätigt. Die an der Entwicklung und dem Vertrieb solcher Techniken beteiligten Unternehmen müssten sicherstellen, dass die Menschenrechte nicht verletzt werden.

Der Hersteller der Spionagesoftware, NSO, hatte die Vorwürfe bereits am Sonntag als falsch und irreführend zurückgewiesen. In einer neuen Stellungnahme mit der Überschrift “genug ist genug” sprach das Unternehmen von einer “bösartigen und verleumderischen Kampagne”. Die Liste stehe nicht im Zusammenhang mit NSO. Man werde nicht weiter auf Medienanfragen in dieser Angelegenheit reagieren. (dpa / js)