Polen: Überwachungsgesetz verstößt gegen Menschenrechtskonvention

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Da Betroffene nicht mitgeteilt bekommen, dass sie überwacht wurden, können sie auch nicht dagegen vorgehen. (Quelle: CherryX – CC BY-SA 3.0 Deed)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat entschieden, dass Polen das von der inzwischen abgewählten PiS-Regierung eingeführte Anti-Terror-Gesetz ändern muss, weil es gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Das Gericht hielt die erlaubten Überwachungsmaßnahmen im Urteil am vergangenen Dienstag für zu weitreichend und kritisierte die mangelhaften Kontrollmechanismen und Einspruchsmöglichkeiten für Betroffene.

Konkret verstoßen sowohl die praktizierte Anordnung von Überwachungsmaßnahmen als auch die Auswertung von Vorratsdaten gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dieser schützt die Privatsphäre der Bevölkerung und begrenzt Eingriffe des Staates.

Das 2016 verabschiedete Anti-Terror-Paket erlaubt es Polizei und Geheimdiensten in Polen, den Internetverkehr fast uneingeschränkt zu überwachen und Nutzerdaten ohne vorherige richterliche Genehmigung zu sammeln. Die Betroffenen werden darüber nicht informiert.

Polen habe eine Überwachungsregelung geschaffen, “nach der die Daten praktisch jedes Telekommunikations- oder Internetnutzers abgefangen werden können, ohne dass diejenigen jemals über diese Überwachung informiert werden”, hieß es vom Gericht am Dienstag. Die aktuelle Gesetzgebung biete keine ausreichenden Garantien gegen übermäßige Überwachung und unzulässige Eingriffe in das Privatleben Einzelner. Zwar sehen die Vorschriften eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahmen vor, doch glichen diese Mechanismen die festgestellten Mängel nicht ausreichend aus, so der Gerichtshof.

Auch die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Polen sei nicht mit den Menschenrechten vereinbar. Dort müssen Provider alle Kommunikationsdaten ein Jahr lang speichern und Behörden so zur Verfügung stellen, dass diese jederzeit ohne Zutun der Anbieter auf die gespeicherten Daten zugreifen konnten. Das Gericht kommt hier zu dem Schluss, dass die Gesetze nicht sicherstellen, dass Eingriffe ins Privatleben auf das “in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maß” beschränkt bleiben.

Ebenso verstoßen laut Gericht die Bestimmungen zur geheimen Überwachung gegen die Menschenrechtskonvention – da es kein unabhängiges Gremium gibt, das die Anordnungen zur Überwachung oder deren Anwendung überprüft und in dem nicht auch Geheimdienst- oder Strafverfolgungbeamte vertreten sind. Die aktuelle Regelung böte “keine angemessenen und wirksamen Garantien gegen Willkür und die Gefahr des Missbrauchs […], die jeder geheimen Überwachungsregelung innewohnt”.

Die Klagenden

Das Urteil geht auf einen Antrag aus dem Jahr 2017 zurück. Geklagt hatten damals fünf polnische Staatsbürger – zwei Mitglieder der Bürgerrechtsorganisation Panoptykon Foundation, zwei von der Helsinki Foundation of Human Rights sowie ein Anwalt. Aufgrund ihrer beruflichen und öffentlichen Tätigkeiten hielten sie es für wahrscheinlich, dass sie überwacht wurden. In ihren Anträgen argumentierten sie, dass die Kontrollmöglichkeiten der polnischen Geheimdienste ihre Rechte als Bürger verletzen würden.

Wojciech Klicki, einer der Kläger von der Panoptykon Foundation, forderte am Dienstag eine sofortige Reaktion der aktuellen polnischen Regierung auf das Urteil und mehr Aufsicht über die Geheimdienste: “Die jetzige Regierungskoalition hat sich verpflichtet, eine solche Reform einzuleiten. Das Urteil zeigt deutlich, was geändert werden muss.” Die Regierung müsse nun einen Aktionsplan vorlegen.

Schon immer umstritten

Bei dem nun gekippten Gesetz handelt es sich um ein Anti-Terror-Paket von 2016, das die damals regierende rechtskonservative PiS-Partei auf den Weg gebracht hatte. Bürgerrechtsorganisationen und Zivilgesellschaft hatten damals gegen das Vorhaben protestiert.

Es räumt Strafverfolgern und Geheimdiensten deutlich mehr Befugnisse ein und ermöglicht ihnen, fast uneingeschränkt Daten bei Ministerien und Behörden einzuholen. Für den Zugriff auf staatliche Datenbanken und für Datenabfragen über Bürgerinnen und Bürger ist seitdem kein Richtervorbehalt mehr nötig. Auch die Behörden, bei denen die Daten liegen, erfahren nichts vom dem Zugriff.

Zudem ermöglicht das Gesetz dem Inlandsgeheimdienst, Webseiten vier Monate lang ohne Richterbeschluss zu blockieren. Die Polizei darf im Krisenfall die Telekommunikation komplett abschalten. Das Demonstrationsrecht kann im Krisenfall eingeschränkt werden wobei dieser nur vage definiert ist.

Regierung am Zug

Die Organisation Panoptykon zweifelte in einer Mitteilung von Dienstag auch die Effektivität der Überwachungsmaßnahmen an: Ihr zufolge hat die Polizei im Jahr 2022 insegsamt 9781 Abhörmaßnahmen durchgeführt, aber nur in 13 Prozent der Fälle (1308) hätten diese Beweise für weitere Strafverfahren erbracht. Das Material der übrigen Fälle sei an die Polizeiarchive weitergeleitet worden. “Die überwachten Personen wissen nichts davon und können die Tatsache, dass sie überwacht wurden, nicht in Frage stellen”, so Panoptykon.

Rechtsanwältin Małgorzata Mączka-Pacholak, die die Kläger vertrat, sagte anlässlich der Urteilsverkündung: “Das heutige Urteil macht deutlich, dass die polnischen Vorschriften im Bereich der Überwachung reformiert werden müssen.” Nur so könne gewährleistet werden, dass das Recht auf Privatsphäre geachtet wird.

Die amtierende Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk muss das Gesetz nun umfassend überarbeiten. (hcz)