Usbekistan: Haftstrafen für Online-Kritik am Präsidenten
Usbekische Behörden verhaften zunehmend Menschen, weil sie angeblich Präsident Schawkat Mirsijojew im Internet beleidigt haben sollen. Das berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) am Donnerstag. Sie fordert eine Aufhebung des zugrundeliegenden Gesetzes.
Die Organisation konnte eigenen Angaben zufolge eine Anklage und fünf Urteile prüfen, die im vergangenen Jahr in Usbekistan wegen “öffentlicher Beleidigung oder Verleumdung des Präsidenten” erhoben beziehungsweise verhängt wurden. Der entsprechende Paragraf des usbekischen Strafgesetzbuches beziehe sich ausdrücklich auch auf angebliche Beleidigungen in der Presse, anderen Medien und dem Internet.
Laut der Organisation steht auf den Tatbestand eine Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis.
Vorgehen gegen Meinungsäußerungen
HRW habe bei der Überprüfung festgestellt, dass die Behörden Bürgerinnen und Bürger zu Unrecht wegen Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung verfolgen. Weitere Berichte deuteten sogar auf eine höhere Zahl von Strafverfahren in diesem Zusammenhang hin. Das Onlinemagazin The Diplomat berichtete Anfang Mai etwa von einer “jüngsten Eskalation” der Strafverfahren und schrieb: “Jede negative Äußerung über Mirsijojew und seine Familie könnte nach den Änderungen von 2021 als Beleidigung oder Verleumdung gemäß Artikel 158 Absatz 3 des Strafgesetzbuchs gewertet werden.”
Hugh Williamson, Direktor für Europa und Zentralasien bei HRW, sagte: “Die Menschen in Usbekistan sollten in der Lage sein, den Präsidenten und Behörden offen zu kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen.” Die Regierung sollte den Straftatbestand der “Beleidigung des Präsidenten im Internet” dringend aufheben und aufgrund dieser Anklage Inhaftierte freilassen, so Williamson.
HRW berichtet unter anderem über einen Fall, in dem ein 27-Jähriger Anfang 2023 in den sozialen Medien Unterbrechungen der Gas- und Stromversorgung in der Stadt Kokand beklagt hatte. Im Mai wurde er unter anderem wegen “Beleidigung des Präsidenten im Internet” und dem “Versuch des Umsturzes der verfassungsmäßigen Ordnung Usbekistans” zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Laut dem Urteil habe er zugegeben, den Rücktritt des Präsidenten gefordert zu haben. Auch habe er zu einer Kundgebung gegen die Gas- und Stromknappheit in Kokand aufgerufen. Eine staatlich angeordnete linguistische Analyse hatte in seinen Nachrichten einen Aufruf zu Unruhen gesehen.
Im Oktober 2023 sei zudem ein 19-Jähriger wegen eines einzelnen Kommentars bei Instagram zu zweieinhalb Jahren in einer Strafkolonie verurteilt worden.
Im April 2024 wurde zudem ein 28-Jähriger zu zwei Jahren und sechs Monaten Strafarbeit verurteilt. Er hatte unter Instagram-Videos von Präsident Mirsijojew und seiner Tochter Saida Mirsijojewa kommentiert und den Präsidenten dabei unter anderem als “Clown” bezeichnet.
Gesetzesänderung im Jahr 2021
HRW kritisiert, Gesetze die Strafen für Kritik an Personen des öffentlichen Leben vorsehen, würden gegen internationales Recht verstoßen. Auch wenn eine Meinungsäußerung als beleidigend angesehen werden kann, rechtfertige das keine Gefängnisstrafen. Vielmehr sei der Strafbestand der “Beleidigung des Präsidenten” ein Instrument der Regierung, um sich für Angriffe zu rächen.
Noch im Jahr 2020 habe Präsident Mirsijojew eigentlich angekündigt, Verleumdungen zu entkriminalisieren – stattdessen seien ein Jahr später Online-Beleidigungen des Präsidenten unter Strafe gestellt worden. Laut The Diplomat wurde damit die alte Regel, die traditionelle Medien betroffen hatte, auf alle Online-Inhalte ausgeweitet. So seien nun Blogs, Beiträge in den sozialen Medien, aber auch Online-Kommentare in jeglicher Form betroffen.
Laut HRW wurde noch im Jahr 2021 der Blogger und Regierungskritiker Valijon Kalonov angeklagt, nachdem er den Präsidenten kritisiert und zum Boykott der Wahlen aufgerufen hatte. Seit zweieinhalb Jahren sei er zwangsweise in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht. HRW fordert seine sofortige Freilassung.
Williamson konstatierte: “Diese Fälle von ‘Beleidigung des Präsidenten’ verspotten die Reformversprechen von Präsident Mirsijojew und zeigen stattdessen die Bereitschaft, auf Taktiken zurückzugreifen, die von seinem Vorgänger Islam Karimov angewendet wurden, um gegen Andersdenkende vorzugehen und kritische Stimmen mundtot zu machen.”
Mirsijojew war im Jahr 2016 Präsident der Republik Usbekistan geworden, nachdem der langjährige, autoritäre Amtsvorgänger und Staatsgründer Islam Karimow gestorben war.
Menschenrechtsorganisationen berichten, dass die Meinungsfreiheit im Land weiter eingeschränkt ist. So kritisiert auch Amnesty International, dass die Beleidigung des Präsidenten ein Straftatbestand ist. Mindestens zehn Blogger seien 2023 wegen kritischer Online-Veröffentlichungen verurteilt worden. Insbesondere gegen kritische Stimmen in sozialen Netzwerken würden die Behörden zunehmend hart vorgehen.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen berichtet von “widersprüchlichen politischen Signalen” seit Mirsijojew das Land regiert. So seien zunächst beispielsweise alle inhaftierten Journalisten freigelassen worden – manche hatten fast zwanzig Jahre im Gefängnis gesessen. Andererseits seien erneut kritische Medienschaffende inhaftiert worden. Jahrelang gesperrte Online-Medien seien wieder zugänglich – doch es würden auch immer wieder Internetseiten und soziale Medien zensiert. (js)