Polen: Staatlicher Ölkonzern entlässt regierungskritische Journalisten

Orlen
Mit dem eigentlichen Geschäft des Ölkonzerns Orlen hat der Kauf der Medien wenig zu tun. (Quelle: IMAGO / ZUMA Press)

Befürchtungen um die Pressefreiheit in Polen haben sich bestätigt: Erst im Dezember hatte der vom Staat kontrollierte Ölkonzern Orlen ein Paket aus führenden Regionalzeitungen aufgekauft, nun wurden drei Chefredakteure entlassen und durch regierungsfreundliche Mitarbeiter ersetzt. Orlen-Vorstandsvorsitzender Daniel Obajtek hatte Mitte April noch versichert, dass es nach der Übernahme des Verlags Polska Press weder Entlassungen noch inhaltliche Einmischungen geben werde. Wenige Wochen später mussten die drei leitenden Redakteure nun gehen.

Wahlen im Blick

“Drei Personen an einem Tag – und es sieht so aus, als ob weitere Entlassungen in polnischen Regionalzeitungen zu erwarten sind. Das zeugt meiner Meinung nach davon, dass es dabei nicht sachlich darum ging, wie die Zeitungen gearbeitet haben”, bewertete Pawel Buczkowski, stellvertretender Chefredakteur der Zeitung “Dziennik Wschodni”, die nicht zur Verlagsgruppe gehört.

Unter anderem hat Orlen den Chefredakteur einer Zeitung im südpolnischen Rzeszow ausgetauscht. Dort werden Mitte Juni Kommunalwahlen stattfinden. In Umfragen liegt die Kandidatin der PiS weit abgeschlagen zurück.

“Einen Monat vor den Wahlen wird der Chefredakteur der größten regionalen Zeitung ausgewechselt. Wir wissen nicht, wie sich das auf die Wahlkampfberichterstattung und die Wahlen auswirken wird”, sagte Buczkowski der Tagesschau.

Kein wirtschaftliches Interesse

Der teilstaatliche Mineralölkonzern Orlen hatte im Dezember 2020 die Mediengruppe Polska Press von der deutschen Verlagsgruppe Passauer Neue Presse gekauft. Das Ölunternehmen brachte so 20 der 24 regionalen Tageszeitungen Polens in seinen Besitz, außerdem rund 120 lokale Wochenblätter und 500 Internetportale. Laut Mediapanel Polska erreichten im November 2020 allein die Online-Portale 17,4 Millionen Nutzer pro Monat.

Der Medienexperte Maciej Mrozowski von der Universität Warschau sagte im Dezember über den damals vereinbarten Kauf, der Mineralölkonzern brauche den Kauf der Mediengruppe nicht zu wirtschaftlichen Zwecken, etwa um den Benzinverkauf an seinen Tankstellen zu erhöhen. “Vieles deutet daraufhin, dass es eine politische, nicht nur eine geschäftlich bedingte Entscheidung ist.”

“Repolonisierung”

Der Öl- und Tankstellenkonzern Orlen gehört zu 27,5 Prozent dem polnischen Staat. Sein Chef Obajtek ist Mitglied der nationalkonservativen Regierungspartei PiS – und immer wieder mit Korruptionsvorwürfen belastet. Die PiS propagiert seit dem Frühjahr 2016 die “Repolonisierung” der Medien im Land. Parteichef Jarosław Kaczyński erklärte damals, man werde bei der Nationalisierung der Medien “Schritt für Schritt” vorgehen. Ein Großteil der privaten polnischen Medien gehörte bislang ausländischen Unternehmen. Mitglieder der Regierungspartei PiS behaupten seit Jahren, diese Medien würden von Politikern in Berlin oder Washington gesteuert und deswegen regierungskritische Inhalte produzieren. Die Behauptungen grenzen teilweise an Verschwörungstheorien.

“Heute verstehen wir die wahre Bedeutung des Wortes Repolonisierung”, twitterte Michał Szułdrzyński, stellvertretender Chefredakteur der Mitte-Rechts-Zeitung Rzeczpospolita. Es gehe darum, Leute von Gazeta Polska – einer PiS-verbundenen Zeitung – in bisher unabhängigen Medien zu beschäftigen.

Laut der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) nutzt die Regierung die staatliche Ölgesellschaft, um ihr erklärtes Ziel der “Repolonisierung” privater Medien zu verfolgen und sie redaktionell zu beeinflussen oder gar zu zensieren.

Mit dem Unternehmen Ruch besitzt Orlen seit November 2020 zudem ein landesweites Pressevertriebsunternehmen und somit eine eigene Vetriebsstruktur für Zeitungen. Die Firma betreibt unter anderem über 26.000 Verkaufsstellen für Presseerzeugnisse und hat einen Marktanteil von rund 40 Prozent.

Gerichtsurteil wird ignoriert

Juristisch ist bei der Übernahme von Polska Press das letzte Wort noch nicht gesprochen: Im April urteilte das Warschauer Gericht für Wettbewerb und Verbraucherschutz, dass der Verkauf aus kartellrechtlicher Sicht noch einmal geprüft werden müsse. Bis zu einer endgültigen gerichtlichen Genehmigung verbot die Justiz Orlen jegliche den Medienkonzern betreffende Entscheidungen.

Orlen-Chef Obajtek sieht aber keinen Grund, sich der Entscheidung des Gerichts zu beugen. Er schrieb auf Twitter: “Der Erwerb von Polska Press-Aktien war am 1. März 2021 wirksam, das heißt bevor das Gericht die Entscheidung erlassen hat. Daher ist die Entscheidung des Gerichts sinnlos und hat keinen Einfluss auf unsere Handlungen oder die Wirksamkeit des Erwerbs dieses Unternehmens.”

Das polnische Amt für Wettbewerb und Verbraucherschutz (UOKiK) griff nicht ein, als Orlen nach dem Urteilsspruch begann, redaktionelle Veränderungen vorzunehmen. Reporter ohne Grenzen forderte Orlen deswegen dazu auf, “Entscheidungen, die die Aktivitäten der Redaktion beeinträchtigen, zu widerrufen und andere Entscheidungen zu unterlassen.” ROG appellierte an die bislang untätige Wettbewerbsschutzbehörde, dafür zu sorgen, dass dies geschieht.

Vorgänge wie diese haben dazu geführt, dass Polen in der Rangliste der Pressefreiheit innerhalb eines Jahres um zwei Plätze abgestiegen ist. Das Land befindet sich nun auf Platz 64 von 180 zwischen Armenien und Bhutan. (hcz)