Polizeibefugnisse in Mecklenburg-Vorpommern teils verfassungswidrig

Polizist aus Mecklenburg-Vorpommern
Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern muss das Gesetz nun bis zum 31. Dezember 2023 überarbeiten. (Quelle: IMAGO / BildFunkMV)

Mehrere Vorschriften aus dem Polizeigesetz in Mecklenburg-Vorpommern sind mit dem Grundgesetz unvereinbar. Das teilte das Bundesverfassungsgericht am heutigen Mittwoch mit. Einige der im Gesetz geregelten Befugnisse verletzen unter anderem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das sogenannte IT-Grundrecht und das Fernmeldegeheimnis. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), von der die Klage koordiniert wurde, sprach von einem Grundsatzurteil mit weitreichender Bedeutung.

Das Gericht erklärte, die angegriffenen Vorschriften seien vor allem deshalb teils verfassungswidrig, weil sie den in der ständigen Rechtsprechung konkretisierten Anforderungen der Verhältnismäßigkeit nicht vollständig genügen.

Das Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) in Mecklenburg-Vorpommern wurde im Jahr 2020 reformiert. Die Polizei hatte damit zusätzliche Überwachungsbefugnisse erhalten, gegen die im Sommer 2021 Verfassungsbeschwerde eingereicht wurde.

Zu den Beschwerdeführenden zählten eine Rechtsanwältin, ein in den Bereichen politischer Extremismus und Migration arbeitender Journalist, eine Klima-Aktivistin sowie zwei Fußballfans aus der Fanszene von Hansa Rockstock. Sie hatten kritisiert, die Gesetzesänderungen erlaubten tiefe Eingriffe in die Privatsphäre, ohne dass eine konkrete Gefahr vorliegen muss. Unterstützt wurde die Klage von der GFF und dem Bündnis “SOGenannte Sicherheit”.

Online-Durchsuchung und Wohnraumüberwachung

Das Gesetz erlaubt der Polizei etwa, mithilfe von Software eine sogenannte Online-Durchsuchung auf technischen Geräten durchzuführen. Das Gericht sah hier jedoch keine ausreichende Eingriffsschwelle. Verfassungsrechtlich sei der Eingriff in IT-Systeme nur bei einer konkreten Gefahr zu rechtfertigen.

Außerdem sieht das Gesetz vor, dass Ermittler nach richterlicher Anordnung eine Wohnung heimlich betreten dürfen, um dort Spähsoftware für die Online-Durchsuchung auf Computern oder Smartphones zu installieren. Auch diese Regelung bemängelten die Richter, denn ein Eingriff in die im Grundgesetz garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung könne nur in absoluten Ausnahmefällen bei einer konkretisierten “Gefahr für ein Rechtsgut von sehr hohem Gewicht” gerechtfertigt werden.

Auch bei den Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung und zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung sei im Gesetz keine ausreichende Eingriffsschwelle vorgesehen.

Im Falle der akustischen und optischen Wohnraumüberwachung bemängelten die Richter ebenfalls zu niedrige Eingriffsschwellen. Nach dem Grundgesetz dürfe eine solche Maßnahme nur zur “Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit” ergriffen werden.

Ein weiterer Punkt der fast 100-seitigen Entscheidung ist der Schutz des sogenannten Kernbereichs privater Lebensgestaltung beim Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern. Hier stellt das Gericht strenge Vorgaben für das Verhalten verdeckter Ermittler auf: Ausgeschlossen ist demnach etwa, dass sie intime Beziehungen zum Zweck der Informationsgewinnung eingehen.

Es müsse auch ausgeschlossen werden, dass höchst private Details, die zum Kernbereich der privaten Lebensführung gehören, weitergegeben würden. Im Gesetz in Mecklenburg-Vorpommern sei dies nicht sichergestellt.

Auch Vorgaben zur Ausschreibung von Personen zur polizeilichen Beobachtung und zu längerfristigen Observationen hat das Bundesverfassungsgericht beanstandet.

GFF sieht Auswirkungen auf Gesetze in anderen Bundesländern

Das Gesetz muss nun bis Ende des Jahres überarbeitet werden. Ein Teil der Vorschriften wurde direkt für nichtig erklärt, darunter die Bestimmungen zur Online-Durchsuchung, Telekommunikations- und Wohnraumüberwachung. Andere Vorschriften bleiben mit Einschränkungen in Kraft. Hier seien nicht die Befugnisse an sich verfassungswidrig, sondern nur die Ausgestaltung.

Die GFF bezeichnete die Entscheidung als Grundsatzurteil, das auch der Verschärfung von Polizeigesetzen in anderen Bundesländern rechtsstaatliche Grenzen setze. Verfahrenskoordinator David Werdermann erklärte: “Das Urteil ist ein Erfolg für die Freiheitsrechte und wird über Mecklenburg-Vorpommern hinaus Auswirkungen haben. Karlsruhe stellt klar: Tiefe Grundrechtseingriffe wie die Wohnraumüberwachung oder die Telekommunikationsüberwachung sind nur gerechtfertigt, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt. Die Polizeirechtsverschärfungen in verschiedenen Bundesländern, die Überwachung weit im Vorfeld einer Gefahr zulassen, verletzen das Grundgesetz.”

Verfassungsbeschwerden der GFF gegen andere Polizeigesetze, unter anderem in Sachsen, sind aktuell noch anhängig. (dpa / js)