Madison Square Garden setzt Hausverbot per Gesichtserkennung durch
Wer in New York Hausverbot in den Liegenschaften der Madison Square Garden Entertainment Corporation (MSG) hat, muss auf einige der größten Sport-, Unterhaltungs- und Konzertveranstaltungen der Stadt verzichten – Spiele der Knicks und Rangers und Konzerte von Billy Joel und Madonna beispielsweise. Davon betroffen sind derzeit auch tausende Anwältinnen und Anwälte, weil MSG ihnen den Zutritt zu seinen Veranstaltungsorten pauschal verboten hat. Die Angestellten von 90 Kanzleien haben sich nichts zu Schulden kommen lassen, sondern sind bei Firmen angestellt, die Klienten in Rechtsstreitigkeiten mit MSG vertreten. Nun hat sich die New Yorker Generalstaatsanwaltschaft in den Fall eingeschaltet. Sie prüft, ob MSG mit diesem Vorgehen gegen Gesetze verstoßen hat.
Ob die Anwälte selbst an Verfahren gegen MSG arbeiten, spielt bei den Platzverweisen US-Berichten zufolge keine Rolle. MSG betreibt in New York neben dem Madison Square Garden auch die ebenso berühmte Radio City Hall und weitere Großveranstaltungsorte in anderen US-Städten.
Für öffentliche Aufmerksamkeit sorgten die Zutrittsverbote auch, weil die Betreiberfirma automatisch arbeitende Gesichtserkennungs-Software in den Veranstaltungshallen einsetzt – und mithilfe dieser auch ihr Hausrecht durchgesetzt hat. Trotz gültiger Tickets wurde den Kanzleiangestellten der Einlass verweigert oder sie wurden nach Betreten gezielt aus den Hallen verwiesen. Dass ihre Identität während des Besuches automatisch überprüft wird, war den Betroffenen in keinem der Fälle bewusst.
Falscher Arbeitgeber
So berichtete beispielsweise die Rechtsanwältin Barbara Hart dem Rolling Stone im Dezember davon, im Oktober im Vorfeld eines Konzerts im Madison Square Garden von Sicherheitskräften zusammen mit ihrem Mann abgeführt worden zu sein – das Paar feierte an dem Tag Hochzeitstag.
Das Sicherheitspersonal hätte ihr erklärt, dass die automatische Gesichtserkennung sie identifiziert habe. Dabei hätten die Angestellten ein Bild von ihr auf der Webseite ihres Arbeitgebers erwähnt. Weil sie bei der Anwaltskanzlei Grant & Eisenhofer angestellt ist, sei sie des Gebäudes verwiesen worden.
Hintergrund ist ein laufender Rechtsstreit zwischen MSG und einigen Investoren, die unter anderem von Harts Arbeitgeber vertreten werden.
MSG bestätigte die Geschehnisse in einer Stellungnahme vom Dezember gegenüber dem Rolling Stone. Der Konzern habe eine Richtlinie erlassen, die jedem, der in einem laufenden Rechtsstreit gegen das Unternehmen steht, den Zutritt zu den Veranstaltungsorten des Unternehmens untersagt. Der umstrittene Vorstandsvorsitzende James Dolan bestätigte zudem gegenüber dem TV-Sender Fox 5, dass die Gesichtserkennung auch gegen die Angestellten der Kanzleien eingesetzt werde.
“Das ist ein Vergeltungsverhalten mächtiger Leute gegen andere, und das sollte uns Sorgen machen”, hatte Hart gegenüber dem Rolling Stone gewarnt. Der Fall demonstriere den Missbrauch von Technologie.
“Sie kannten meinen Namen”
MSG setzt seit mindestens 2018 Gesichtserkennung an seinen Veranstaltungsorten ein: Kameras nehmen Bilder von allen Besucherinnen und Besuchern auf und vergleichen diese per Algorithmus mit einer Fotodatenbank, hatte die New York Times damals berichtet. Die Technik wird dem Betreiber zufolge zu Sicherheitszwecken eingesetzt.
Ein zweiter Vorfall hatte sich im Dezember im Eingangsbereich der Radio City Music Hall zugetragen. Die Anwältin Kelly Conlon wollte zusammen mit ihrer Tochter und deren Pfadfinderinnengruppe die Showtanzgruppe The Rockettes sehen. Conlon arbeitet für Davis, Saperstein and Solomon, eine Kanzlei in New Jersey, deren Klienten einen Rechtsstreit mit MSG bezüglich eines Restaurants austragen.
Gegenüber dem Fernsehsender NBC 4 berichtete Conlon im Dezember, im Eingangsbereich des Veranstaltungsorts von Sicherheitsangestellten abgefangen worden zu sein, als sie den Metalldetektor passierte. Über die Lautsprecher sei “etwas über eine Frau mit langen dunklen Haaren und einem grauen Schal” zu hören gewesen – die Beschreibung traf auf sie zu.
Das Sicherheitspersonal hätte ihr dann den Zutritt verweigert und nach einem Ausweis gefragt. “Ich glaube, sie sagten, ‘unsere Erkennung hat Sie aufgegriffen’”, berichtete die Anwältin. “Sie kannten meinen Namen, bevor ich es ihnen sagte. Sie kannten die Firma, mit der ich verbunden war, bevor ich es ihnen sagte. Und sie sagten mir, ich dürfte dort nicht sein.”
Die Mädchengruppe musste die Show ohne die Mutter besuchen. Conlon selbst hatte nach eigener Aussage nie an dem Fall mit MSG gearbeitet.
Beängstigender Einsatz von Gesichtserkennung
MSG hatte Ende Juni 2022 mindestens zwei an Rechtsstreits beteiligte Kanzleien, darüber informiert, dass ihre Angestellten unter anderem die Veranstaltungsorte Madison Square Garden, Radio City Music Hall und Beacon Theatre nicht mehr betreten dürfen. Das Verbot gelte, bis die juristischen Auseinandersetzungen beigelegt sind.
Der Betreiber begründete die Zutrittsbeschränkung in den Briefen an die Kanzleien mit beruflichen Verhaltensregeln (“professional conduct rules”), die Kontakte zwischen den Anwälten der Kläger und den MSG-Angestellten verbieten würden. “Obwohl wir verstehen, dass diese Richtlinie für einige enttäuschend ist, können wir die Tatsache nicht ignorieren, dass Rechtsstreitigkeiten ein von Natur aus ungünstiges Umfeld schaffen”, erklärte MSG gegenüber NBC 4. Die Firma habe Recht und Pflicht, sich während Gerichtsverfahren zu schützen, schrieb eine Unternehmenssprecherin in einer Mail an die Nachrichtenagentur Reuters.
“Dieses ganze Schema ist ein Vorwand für die kollektive Bestrafung von Gegnern, die es wagen, MSG in ihrem milliardenschweren Netzwerk zu verklagen”, sagte hingegen Sam Davis, Miteigentümer der Kanzlei, in der Conlon arbeitet. “Eine Mutter mitzunehmen, eine Mutter von ihrer Tochter und Pfadfinderinnen zu trennen, die sie beaufsichtigte – und dies unter dem Vorwand, die Offenlegung von Informationen zu Rechtsstreitigkeiten zu schützen – ist absolut absurd.” Die Tatsache, dass MSG dafür Gesichtserkennung verwendet, sei beängstigend.
Justiz will Antworten
Nach Ansicht der New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James könnte MSG mit seiner Vorgehensweise gegen lokale, staatliche und bundesstaatliche Gesetze wie beispielsweise Anti-Diskriminierungsgesetze verstoßen. Das gab die Staatsanwaltschaft Ende Januar bekannt. “MSG Entertainment kann ihre Rechtsstreitigkeiten nicht in ihren eigenen Arenen führen”, sagte James gegenüber der Financial Times. Sie sorge sich darum, dass Minderheiten diskriminiert werden könnten. “Jeder mit einem Ticket für eine Veranstaltung sollte sich keine Sorgen machen, dass ihm der Zutritt aufgrund seines Aussehens zu Unrecht verweigert wird.” MSG solle die Richtlinie zurückziehen.
Nach den Berichten über die automatische Gesichtserkennung hatte die Generalstaatsanwältin die Betreiberfirma um Antworten gebeten. Ein entsprechender Brief sei an die MSG übermittelt worden, teilte James in der vergangenen Woche mit.
Ein Richter in Delaware, dem die Richtlinie von MSG im November vorgelegt worden war, bezeichnete diese als “das Dümmste, was ich je gelesen habe”, berichtete die Financial Times. Gregory Varallo, ein beteiligter Anwalt, sagte dem Gericht, dass MSG “Gesichtserkennungssoftware verwendet hat, um alle Webseiten aller beteiligten Firmen zu durchsuchen und diese Gesichtserkennungssoftware dann im [Madison Square] Garden und an anderen Orten zu verwenden”.
“Der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie durch MSG […] ist ein inakzeptabler Eingriff in die Privatsphäre aller ihrer Kunden und ein eklatanter Versuch, diejenigen einzuschüchtern und zu schikanieren, die ihre Verfahren vor Gericht gegen das Unternehmen fortsetzen wollen”, sagte Staatssenatorin Liz Krueger der Financial Times zufolge am Montag. Es sei an der Zeit, dass die Stadt und der Staat alle Genehmigungen, Lizenzen und Vorteile, die MSG gewährt wurden, überdenke.
“Das ist schlecht, und es ist nur ein Beispiel dafür, wie die Gesichtserkennung verwendet werden könnte, um die Rechte von Menschen zu verletzen”, sagte Evan Greer, Direktor von Fight for the Future, in einer Erklärung. “Diese Technologie setzt Musikfans, Sportfans und andere dem Risiko aus, zu Unrecht inhaftiert, belästigt, verurteilt oder sogar abgeschoben zu werden.”
MSG teilte im Dezember dennoch mit, man wolle die automatische Gesichtserkennung in absehbarer Zeit nicht aufgeben. Vorstandsvorsitzender Dolan kündigte zudem vergangene Woche an, die Verwendung von Gesichtserkennung an den Veranstaltungsorten sogar ausbauen und verdoppeln zu wollen. Gegenüber CNN rechtfertigte er die Überwachungsmaßnahmen unter anderem damit, dass Personen immer von Kameras beobachtet würden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit aufhielten. (hcz)