Reporter ohne Grenzen: 41 Angriffe auf Journalisten in Deutschland
Reporter ohne Grenzen (RSF) beobachtet in Deutschland eine zunehmend pressefeindliche Stimmung. Die Zahl der physischen Übergriffe auf Medienschaffende war im Jahr 2023 zwar rückläufig. Laut dem am Dienstag veröffentlichten Bericht “Nahaufnahme Deutschland” blieben die Zahlen im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie aber weiter hoch.
Im Jahr 2023 hat die Organisation demnach insgesamt 41 Angriffe auf Medienschaffende und Redaktionen dokumentiert und verifiziert. Die Zahl der Übergriffe ist im Vergleich zum Vorjahr 2022 deutlich gesunken, als RSF 103 Angriffe gezählt hat. Im Jahr 2021 waren es 80.
Dennoch sei keine stabile Umkehr des Negativtrends zu beobachten. Im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie blieben die Zahlen vergleichsweise hoch – so hatte RSF 2019 beispielsweise nur 13 Übergriffe registriert.
RSF-Vorstandsmitglied Michael Rediske sagte: “Im vergangenen Jahr wurden Reporter wieder verprügelt, ihre Ausrüstung wurde zerstört und ihnen wurde im Internet massiv gedroht. 2024 startete unter anderem mit der brutalen Körperverletzung eines Journalisten am Rande einer Demonstration in Leipzig.”
Laut der “Nahaufnahme Deutschland” wurden Medienschaffende am häufigsten mit Tritten und Schlägen angegriffen, die auch mit Gegenständen wie Fackeln erfolgten. Die Organisation hat diese als Angriff gewertet, sofern Körper oder Ausrüstung von Journalistinnen und Journalisten tatsächlich getroffen wurden.
Medienschaffenden wurde auch Ausrüstung entrissen, sie wurden zu Boden gerissen oder mit Sand und Steinen beworfen. Eine Theaterkritikerin wurde sogar mit Fäkalien beschmiert.
Angriffe bei Demos
Die gefährlichsten Orte für Medienschaffende waren laut RSF politische Versammlungen wie Parteiveranstaltungen, Demonstrationen oder andere Protestaktionen. 32 von insgesamt 41 Fällen seien im Zusammenhang mit solchen Veranstaltungen gezählt worden.
RSF berichtet beispielsweise von einer Demonstration in München im Februar 2023. Dort habe ein Teilnehmer einen Reporter von hinten zu Boden gerissen und diesen fixiert. Nach Angaben des Betroffenen, der Anzeige gestellt hatte, wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage von 1000 Euro eingestellt.
Im Mai wurde ein Journalist beim Fackelmarsch von schlagenden Studentenverbindungen mit einer brennenden Fackel angegriffen, die das Kameraobjektiv traf. Zuvor hatte ein anderer Teilnehmer bereits versucht, den Kopf des Journalisten mit Fackeln zu treffen.
Bei den Protesten gegen die Räumung des Kohlebergwerks Lützerath wurde ein Fotograf der Nachrichtenagentur dpa von einem Teilnehmer geohrfeigt. Und im Hambacher Forst wurde ein WDR-Team von einer vermummten Person angegriffen; dabei wurde eine Kamera beschädigt.
Ein Großteil der Angriffe (18) habe in der verschwörungsideologischen oder der extrem rechten Szene stattgefunden. Diese seien unter anderem in ihrem Hass auf die sogenannte “Lügenpresse” und ihrer Kritik an demokratischen Prozessen vereint.
Zuhause bedroht
In einigen Fällen würden Journalisten sogar im Privaten bedroht. So sei das Wohnhaus des Passauer Lokaljournalisten Hubert Jakob Denk Anfang 2023 beschädigt worden. Denk hatte unter anderem kritisch über die Corona-Proteste berichtet. David Janzen, der über die extrem rechte Szene schreibt, fand seine Haustür beschmiert vor – und in seinem Briefkasten lagen Fleischstücke.
Die meisten der im Jahr 2023 verifizierten Angriffe ereigneten sich laut RSF in Sachsen (12), gefolgt von Bayern (6), Berlin und Nordrhein-Westfalen (beide je 5).
Auch zu Beginn dieses Jahres wurden der Organisation bereits Vorfälle gemeldet, die sie als “alarmierend” bezeichnet. So seien ein Videojournalist und sein Begleiter auf einer Pro-Palästina-Demonstration in Leipzig von drei Unbekannten krankenhausreif geprügelt worden.
Am Rande eines Bauernprotests in Südbrandenburg im Januar wurde ein Übertragungswagen eines rbb24-Teams angegriffen. In Halle fuhr ein Autofahrer einen Lokalreporter an, der vor Ort über eine Aktion der Gruppe “Letzte Generation” berichtete.
Zeitungsauslieferung blockiert
Besonders besorgniserregend ist nach Einschätzung von RSF auch, dass im Februar 2024 Zufahrten von Presseverteilzentren und Druckereien unter anderem mit Traktoren zugestellt wurden, um die Auslieferung von Zeitungen zu verhindern. Hierbei handle es sich um eine neue Angriffsform auf die Pressefreiheit.
Michael Rediske erklärte: “Das zeigt, dass die Freiheit, unabhängig zu berichten, hierzulande nicht nur durch Übergriffe gegen einzelne Medienschaffende bedroht ist. Unzufriedenheit mit einer angeblich zu geringen Berichterstattung über Bauernproteste reicht offenbar aus, um bei Angriffen gegen die Pressefreiheit die Hemmschwelle weiter zu senken.”
Aber auch digitale Gewalt trifft Medienschaffende. Dazu zählt beispielsweise sogenanntes Doxxing, also die Veröffentlichung von privaten Daten wie Wohnadressen. Aber auch Hassrede, Gewaltandrohungen und konzentrierte und systematische Online-Attacken treffen Medienschaffende. Betroffen sind sie insbesondere, wenn sie zu Themen wie Migration, Rechtsextremismus und Korruption recherchieren.
In der “Nahaufnahme Deutschland” verweist RSF auf die Eckpunkte für ein Gesetz gegen digitale Gewalt des Bundesjustizministeriums aus dem April 2023. Die Organisation fordert etwa, dass in einem Gesetz Medienschaffende explizit als zu schützende Berufsgruppe genannt werden. Bislang existiert noch kein vom Kabinett gebilligter Gesetzentwurf. (js)