Klimaklage vor Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte erfolgreich

EGMR
“Wenn alle so handeln würden, wie die Schweiz es heute tut, dann wäre bis 2100 eine globale Erwärmung von bis zu drei Grad Celsius zu erwarten.” (Quelle: IMAGO / viennaslide)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat entschieden, dass Staaten für Menschenrechtsverletzungen belangt werden können, wenn sie nicht genug für den Klimaschutz tun. Die Richterinnen und Richter verurteilten am Dienstag im französischen Straßburg die Schweiz, weil sie durch mangelnden Klimaschutz das Recht auf Familien- und Privatleben der Klägerinnen verletzt habe. Damit sprach der Gerichtshof erstmals ein Urteil in einer Klage, die für mehr Klimaschutz eintrat.Geklagt hatten die “Klimaseniorinnen”, ein von Greenpeace unterstützter und initiierter Verein mit mehr als 2000 Mitgliedern in der Schweiz.

Die Menschenrechtskonvention verpflichte die Staaten, die Bevölkerung vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, teilte das Gericht mit. Der Gerichtshof bemängelte außerdem, das Land habe seine Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen in der Vergangenheit nicht erreicht. Die schweizerischen Behörden hätten nicht rechtzeitig und angemessen gehandelt, um entsprechende Gesetze auszuarbeiten. Nun muss die Schweiz nachsteuern bei den Treibhausgasemissionen.

Die Klage war die erste Klimaklage überhaupt, die vor der Großen Kammer des EGMR angehört wurde. Das Urteil bindet zwar erst einmal nur die Schweiz, hat aber große Signalwirkung. Denn der EGMR mit Sitz im französischen Straßburg gehört zum Europarat und ist für die Einhaltung der Menschenrechtskonvention zuständig. Zum Europarat zählen die EU-Staaten, aber auch andere große Länder wie die Türkei oder Großbritannien. Das Urteil könnte nun ein Präzedenzfall für weitere Klimaklagen nicht nur vor dem EGMR, sondern vor unzähligen nationalen Gerichten werden.

1,5-Grad-Ziel aus dem Fokus

Die Seniorinnen hatten argumentiert, dass sie durch ihr Alter besonders durch den Klimawandel gefährdet sind, beispielsweise wegen extremer Hitzewellen. “Es gibt umfangreiche Evidenz dafür, dass sie [ältere Frauen] einem erheblichen Risiko ausgesetzt sind, an den Folgen der Hitze zu sterben oder zu erkranken”, schrieben die Klägerinnen Mitte März. Aus ihrer Sicht reichten die durch den Klimawandel verursachten Schäden und Risiken aus, um den Staat zu Schutzmaßnahmen gemäß der Menschenrechtskonvention zu verpflichten.

“Die Schweizer Klimapolitik ist mit Blick auf das Ziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, klar ungenügend. Wenn alle so handeln würden, wie die Schweiz es heute tut, dann wäre bis 2100 eine globale Erwärmung von bis zu drei Grad Celsius zu erwarten”, kritisierten die “Klimaseniorinnen” vor der Urteilsverkündung.

Greenpeace wertete das Urteil als historischen Erfolg. Gianna Martini, Greenpeace-Expertin für Klima und Energie, sagte: “Klimaschutz ist Staatspflicht, das haben wir nun schwarz auf weiß.” Die Politik müsse nun handeln. “Die Schweiz wird ihre Klimaschutzziele drastisch anpassen müssen”, so die Organisation weiter. Auch aus anderen Ländern seien nun weitere Klagen zu erwarten.

Beispielsweise unterstützt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) derzeit neun junge Menschen, die vor dem EGMR auf ähnliche Weise gegen die Bundesregierung und für mehr Klimaschutz klagen. Der Gerichtshof hatte die Entscheidung in diesem Verfahren so lange ruhend gestellt bis über das aktuelle Verfahren entschieden ist. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch verwies in einer Stellungnahme auf Untersuchungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen. Dieser hatte Ende März festgestellt, dass das CO2-Budget für Deutschland bereits aufgebraucht ist, wenn die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden soll.

Eventuell weitere Klagen nötig

Die aktuelle Entscheidung war mit Spannung erwartet worden. Denn der EGMR hat sich zwar zuvor schon mit Umweltemissionen – wie Lärm oder Luftverschmutzung – auseinandergesetzt, aber noch nie mit den CO2-Emissionen eines Landes. Zur Urteilsverkündung reisten mehrere Hundert Menschen an, auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg.

Wie es nun in der Schweiz weiter geht, ist offen. Die Alpenrepublik muss dem Urteil unbedingt Folge leisten, bei der Umsetzung gibt es aber Entscheidungsspielraum. Denkbar ist, dass die Klägerinnen erneut in ihrem Heimatland vor Gericht ziehen, nachdem der EGMR auch entschieden hat, dass ihr Recht auf ein faires Verfahren in der Schweiz verletzt wurde.

In jedem Fall muss die Schweiz den Klimaseniorinnen ihre Kosten in Höhe von 80.000 Euro erstatten. Schadenersatz für die erlittenen Menschenrechtsverletzungen hatten die Frauen nicht gefordert.

Weitere Klagen gescheitert

Zwei andere Klimaklagen aus Frankreich und Portugal wurden vom Gerichtshof am Dienstag abgewiesen. Ein ehemaliger französischer Bürgermeister hatte geklagt, weil sein Heimatort am Ärmelkanal vom steigenden Meeresspiegel bedroht sei. Die französische Regierung habe keine ausreichenden Maßnahmen zur Verhinderung des Klimawandels ergriffen. Die Richterinnen und Richter erklärten seine Klage jedoch für unzulässig. Er wohne nicht mehr in dem Küstenort. Dem französischen Politiker fehle daher die sogenannte Opfereigenschaft, weil er nicht direkt oder indirekt von einer potenziellen Menschenrechtsverletzung betroffen sei.

Auch die Klage von sechs portugiesischen Jugendlichen wurde abgewiesen. Sie hätten sich zuerst in Portugal durch die Instanzen klagen müssen, bevor sie den Gerichtshof in Straßburg anrufen. Sie hatten 32 europäischen Staaten – darunter auch Deutschland – vorgeworfen, die Klimakrise verschärft und damit die Zukunft ihrer Generation gefährdet zu haben. Den Richtern zufolge gibt es in der Menschenrechtskonvention aber keine Grundlage dafür, dass Staaten außerhalb ihres Hoheitsgebiets derart weitreichend haftbar gemacht werden können.

Die Klage der Jugendlichen hatte für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Selten wurde in Straßburg ein so großer Prozess verhandelt: Allein aufseiten der gerügten Staaten waren bei der Anhörung 80 Anwälte vertreten.

Anlass für die Klage waren die verheerenden Waldbrände von 2017 in Portugal. Die Jugendlichen hatten in in einer Anhörung angegeben, dass die Waldbrände ihre Gesundheit gefährdeten und das heiße Wetter Beschwerden wie Schlafstörungen, Allergien und Atemprobleme verschlimmere. Zwei der Kläger erklärten, durch die Klimaveränderung verstärkte Winterstürme könnten ihr Haus in Lissabon beschädigen. Sie hatten gehofft, dass der EGMR die Regierungen dazu verpflichtet, strengere Klimaziele zu beschließen und einzuhalten.

Sofia Oliveira, eine der jugendlichen Klägerinnen, sagte nach dem Urteil, dass sie natürlich enttäuscht sei, aber der Sieg der Seniorinnen ein Sieg für sie alle bedeute. (dpa / hcz)