Reporter ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit veröffentlicht
In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit 2020 der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) hat sich Deutschland um zwei Plätze vom 13. auf den 11. Rang verbessert. Um die Pressefreiheit ist es hierzulande somit in etwa so gut bestellt wie in Portugal (10.) und Belgien (12.).
Der Grund für den Aufstieg ist laut ROG, dass es im vergangenen Jahr keine rechtspopulistischen Proteste von vergleichbarer Dimension wie im Spätsommer 2018 in Chemnitz und Köthen gegeben hat. Deswegen sei auch die Zahl der tätlichen Angriffe gegen Journalisten gesunken.
Detaillierte Informationen zur Lage der Pressefreiheit hierzulande hat ROG in einem eigenen Bericht zusammengefasst. Die Organisation zählte demnach trotz der hohen Platzierung der Bundesrepublik hierzulande im vergangenen Jahr immer noch mindestens 13 tätliche Angriffe auf Medienschaffende. 2018 waren es noch mindestens 22. Hinzu kamen eine nicht genannte Anzahl an verbalen Angriffen und Einschüchterungsversuchen.
Als “besonders besorgniserregend” sieht ROG Schmäh- und Hasskampagnen im Netz. Die Betroffenen seien “auf sich allein gestellt” und eine juristische Verfolgung bliebe oft folgenlos. In sogenannten Feindeslisten Rechtsradikaler finden sich Namen und Adressen zahlreicher Journalisten.
Auch der Staat gefährdet die Pressefreiheit
Die Bedrohung der Pressefreiheit geht aber nicht nur von Extremisten aus, als Gefahr für den freien Journalismus sieht ROG auch einige deutsche Gesetzesinitiativen an: Der sogenannte Darknet-Paragraf, eine Initiative des CSU-geführten Innenministeriums, bedroht den Betrieb von Servern des Tor-Netzwerkes. Die Technik ermöglicht unter anderem Journalisten in repressiven Staaten, frei zu kommunizieren und zu recherchieren. Momentan verweigert die SPD ihre Zustimmung zu dieser Gesetzesinitiative.
Der Entwurf des “Gesetzes zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts”, ebenfalls vom Innenministerium initiiert, gilt laut ROG als “Lizenz zum Hacken” für den Verfassungsschutz. Das Gesetz würde den Geheimdiensten erlauben, ohne richterliche Anordnung auch Redaktionen und Journalisten heimlich online auszuforschen.
Laut ROG könnten die Dienste beispielsweise heimlich einen Trojaner installieren und Daten zu Informanten und sonstiger Recherchetätigkeit einsehen. Kontrollieren soll diese Geheimdienstaktivitäten statt eines Richters nur das selten tagende G10-Gremium, dessen Gespräche und Entscheidungen geheim blieben. So gäbe es für die Öffentlichkeit keine Möglichkeit, diese Überwachungsmaßnahmen auf Rechtmäßigkeit zu kontrollieren. Betroffene hätten auch keine rechtliche Handhabe dagegen – die meisten würden nicht einmal erfahren, dass sie ausspioniert wurden. Diese Art von Gesetzen würde laut ROG “den Informanten- und Quellenschutz weitgehend aushöhlen”.
Auch 2019 kam es zu Behinderungen von Journalisten durch die deutsche Polizei. Das war vor allem im Umfeld rechter Demonstrationen und Veranstaltungen der Fall. Die Polizeibehörden einiger Bundesländer, unter anderem Sachsens, hätten aber reagiert, eine “transparente Fehleranalyse” vorgenommen und die Themen “Rechte von Medien” und “Freiheit der Berichterstattung” in Fortbildungen aufgenommen.
Juristische Blockaden gegen Recherchen
2019 setze sich der Trend fort, dass Unternehmen, Behörden und Einzelpersonen unliebsame Recherchen und Berichterstattung mithilfe von Anwälten blockieren oder erschweren. Besonders freie Journalisten leiden unter dieser Strategie, da sie meist keine juristische Rückendeckung eines größeren Auftraggebers genießen. Laut ROG ist nicht verlässlich feststellbar, wie viele Beiträge an dieser Vorgehensweise scheitern.
Als Beispiel nennt ROG einen Fall vom Februar 2019, in dem der Energiekonzern RWE einen Journalisten und mehrere Aktivisten auf Schadenersatz in Millionenhöhe verklagte, weil sie 2017 an der Besetzung des Braunkohlekraftwerks Weisweiler beteiligt waren.
Bundesbehörden greifen laut ROG gelegentlich zu ähnlichen Mitteln. Im Oktober 2019 wurde bekannt, dass Bundesministerien 250 bis 380 Euro pro Stunde zahlen, um Presseanfragen abzuwehren. Wie bei einer Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke herauskam, gab das Bundesamt für Verfassungsschutz in den Jahren 2013 bis 2018 mit 74.147 Euro am meisten für solche Fälle aus, gefolgt von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben mit 48.990 Euro und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit 34.931 Euro.
Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung sind die Ministerien mit ihren Präventiven Anwaltsstrategien gegenüber Medien nicht sonderlich erfolgreich. Allerdings neigen laut ROG viele Medien eher dazu, Unterlassungserklärungen abzugeben, als es früher der Fall war. Das sei eine "für die Pressefreiheit bedenkliche Entwicklung“.
Ausdünnung der Medienlandschaft
Der Blick ins Ausland zeigt, dass schwindende Vertriebs- und Anzeigenerlöse sowie steigende Produktionskosten die in vielen Fällen ohnehin schwierige Lage der freien Medien verschärft. Folge seien immer kleinere Redaktionen und eine zunehmende Medienkonzentration – auch in Deutschland.
Wer freien Zugang zu unabhängigen Informationen sicherstellen wolle, müsse sich gerade in schwierigen Zeiten dafür starkmachen, dass Journalisten ungehindert recherchieren und berichten können. Profitdenken befördere Polarisierung und Banalisierung der Medien, was wiederum zu abnehmendem Vertrauen gegenüber den Medien führe.
Lage weltweit
ROG warnt, dass Diktaturen sowie autoritäre und populistische Regime in verschiedenen Ländern immer unverhohlener versuchen, unabhängige Informationen zu unterdrücken und eine undemokratische Weltsicht durchzusetzen – vor allem jetzt während der Corona-Pandemie. Als Beispiele nennt die Organisation in ihrem Bericht außer China auch Saudi-Arabien und Ägypten. In diesen drei Staaten ist die Zahl der Medienschaffenden, die im Gefängnis sitzen, laut ROG am höchsten.
China versucht mit großem Aufwand, selbst jenseits seiner Grenzen eine neue Weltordnung der Medien durchzusetzen. Regierung und Kommunistische Partei kaufen sich international bei Auslandsmedien ein und bilden laut ROG “Tausende Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt zu prochinesischen Multiplikatoren aus”.
Gegen kritische Medienmacher geht das Regime auch im Ausland “mit Verleumdung, Druck und Drohungen” vor. China strebe nach “weltweiter medialer Dominanz” und sehe Journalisten nur als “Erfüllungsgehilfen der staatlichen Propaganda”. Der staatliche Fernsehsender China Global Television Network (CGTN) sendet mittlerweile in 140 Ländern und ergänzte seine Produktionsstandorte in Afrika, Amerika und Europa zuletzt im Dezember um ein Studio in London mit 90 Mitarbeitern.
Gezielte Desinformation
Unter dem Vorwand, “Fake News” bekämpfen zu wollen, schränkten Länder wie Singapur und Benin die Medienfreiheit ein. In Russland, Indien, den Philippinen und Vietnam setzen demnach Troll-Armeen im Dienste der Regierenden selbst auf Desinformation, um die öffentliche Meinung zu lenken und kritische Medienleute zu diskreditieren. In den USA und Brasilien schürten demokratisch gewählte Präsidenten Feindseligkeit und Hass.
Ob im Irak, im Libanon, in Chile, in Bolivien oder Ecuador – das von Populisten betriebene Misstrauen gegenüber Nachrichtenmedien habe sich 2019 vielerorts in Gewalt gegen Reporter entladen. Auch in Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland schreckten nationalistische und rechtsextremistische Gruppen nicht vor direkten Drohungen zurück.
Skandinavien vorne
Die Rangliste beruht laut ROG auf Befragungen und der Zahl registrierter Angriffe auf Journalisten. An oberster Stelle unter 180 Staaten stehen Norwegen, Finnland und Dänemark.
Da die Corona-Pandemie erst unmittelbar nach Ende der Umfrage ausgebrochen ist, ist das Verhalten von Staaten in der Krise in die aktuelle Platzierung noch nicht eingeflossen. (dpa / hcz)