Saudi-Arabien: 34 Jahre Haft wegen Twitter-Nutzung
In Saudi-Arabien wurde eine Frau zu 34 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie auf Twitter Frauenrechtsaktivistinnen folgte und deren Beiträge geteilt hat. Menschenrechtsorganisationen zufolge handelt es sich um die härteste Strafe, die in dem Land jemals gegen eine Aktivistin oder einen Aktivisten verhängt wurde. Sie fürchten, weitere Urteile könnten folgen.
Wie die European Saudi Organization for Human Rights (ESOHR) berichtet, wurde Salma al-Schihab bereits am 9. August verurteilt. Sie unterliegt zudem einem Reiseverbot von weiteren 34 Jahren.
Die zweifache Mutter Salma al-Schihab lebt eigentlich in Großbritannien, wo sie an der Universität Leeds in Zahnmedizin promoviert. Im Januar 2021 wurde sie während eines Besuchs in Saudi-Arabien wenige Tage vor ihrer geplanten Rückreise festgenommen. Anschließend sei sie 285 Tage lang verhört worden, bevor sie vor Gericht gestellt wurde, heißt es von der Organisation ALQST for Human Rights.
Nach Angaben des Gulf Centre for Human Rights hatte die Staatsanwaltschaft al-Schihab unter anderem vorgeworfen, die “gesellschaftliche und staatliche Sicherheit destabilisiert” zu haben. Auch “falsche und bösartige Gerüchte auf Twitter zu verbreiten”, sei ein Anklagepunkt gewesen. Sie sei nach dem saudischen Anti-Terrorgesetz sowie dem Gesetz gegen Computerkriminalität verurteilt worden.
Zunächst geringere Strafe
Das Gericht hatte al-Schihab zunächst zu sechs Jahren Haft verurteilt. In der vergangenen Woche hatte ein Berufungsgericht das Strafmaß jedoch auf 34 Jahre erhöht, nachdem die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hatte.
Al-Schihab gehört der schiitischen Minderheit an, die im sunnitischen Saudi-Arabien diskriminiert wird. Auf ihrem Twitter-Profil hatte sie nur rund 2500 Follower. Sie unterstützte dort unter anderem die Forderung, das System männlicher Vormundschaft von Frauen in Saudi-Arabien zu beenden. In einem Tweet aus dem Jahr 2019 schrieb sie: “Ich lehne Ungerechtigkeit ab und unterstütze die Unterdrückten”. Ende 2020 hatte sie “Freiheit für die Häftlinge des Patriarchats” gefordert.
Sie unterstützte auch die Frauenrechtsaktivistin Loujain al-Hathloul, die im Jahr 2018 aus den Vereinigten Arabischen Emiraten entführt, nach Saudi-Arabien verschleppt und dort im Jahr 2020 zu fast sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Sie hatte sich unter anderem für die Abschaffung des Fahrverbotes für Frauen in Saudi-Arabien eingesetzt. Im Februar 2021 wurde sie auf Bewährung freigelassen – ihr ist die Ausreise aus dem Land jedoch für insgesamt fünf Jahre verboten.
Berichte über Folter
Die Menschenrechtsorganisation ESOHR sprach von einem “beispiellosen und gefährlichen” Urteil gegen Salma al-Schihab. Die Organisation befürchtet eine weitere Eskalation beim Vorgehen gegen Aktivistinnen in Saudi-Arabien. Diese seien in den vergangenen Jahren willkürlich verurteilt und in einigen Fällen schwer gefoltert worden. Auch Human Rights Watch (HRW) hatte im vergangenen Jahr berichtet, saudische Frauenrechtsaktivistinnnen seien gefoltert worden – darunter auch Loujain al-Hathloul.
Lina al-Hathloul von ALQST kritisierte: “Dieses entsetzliche Urteil verhöhnt die Behauptungen der saudischen Behörden, die Frauenrechte und das Rechtssystem zu reformieren. Und es zeigt, dass sie nach wie vor entschlossen sind, jeden, der seine Meinung frei äußert, hart zu bestrafen.”
Das Gulf Centre for Human Rights bezeichnete das Urteil als eine “Botschaft der Drohungen und Einschüchterung von Kronprinz Mohammed bin Salman” an “alle Internet-Aktivisten”. Friedliche Meinungsäußerungen würden schwer bestraft. Die Organisation äußerte die Sorge, weitere Aktivistinnen könnten zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt werden.
Amnesty International und Human Rights Watch zufolge gehen die saudischen Behörden inzwischen routinemäßig gegen Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten vor. Sie werden für regierungskritische Äußerungen zu hohen Haftstrafen verurteilt. So wurde im April 2021 beispielsweise der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation aufgrund von Meinungsäußerungen zu 20 Jahren Haft verurteilt, gefolgt von einem Reiseverbot von weiteren 20 Jahren.
Die Organisation GCHR fordert Regierungen, die Vereinten Nationen und die Europäische Union dazu auf, bei Beziehungen mit der saudischen Regierung die Menschenrechte zur Priorität zu erklären. Sie sollten zudem Druck ausüben, um die Freilassung von Salma al-Schibab zu erwirken. (dpa / js)