Studie: 7,5 Millionen funktionsfähige Retoure-Artikel pro Jahr zerstört
Online-Händler haben in Deutschland im vergangenen Jahr Schätzungen zufolge 20 Millionen zurückgeschickte Artikel in den Müll geworfen. Davon waren laut einer Studie der Universität Bamberg 7,5 Millionen Artikel soweit intakt, dass sie eigentlich hätten weiterverwendet oder gespendet werden können – das entspricht einer Quote von 40 Prozent. Dabei handelte es sich größtenteils um Kleidung, aber auch Elektro- und Freizeitartikel, Möbel und Haushaltswaren sowie Produkte des täglichen Bedarfs.
Es sei “eine unnötige Verschwendung”, kritisierte Björn Asdecker, Leiter der Forschungsgruppe bestehend aus Wirtschaftswissenschaftlern. Diese Quote überrascht nicht, wenn man die Ergebnisse der Untersuchung betrachtet: Die Entsorgung von Produkten kostet im Schnitt nur 85 Cent. Es wäre viel teurer, die Ware zu prüfen, aufzubereiten, zu lagern und weiter zu verwerten – und noch dazu aufwendiger, vor allem für kleinere Händler. Viele wüssten laut Studie auch nicht, wer überhaupt eine Spende gebrauchen kann und welchen Wert die Ware noch hat. Die meisten Produkte, die am Ende weggeworfen werden, kosten weniger als 15 Euro.
Entsprechend gering sei meist auch die Qualität, so die Forscher. Immerhin gut die Hälfte der Produkte kann sowieso nicht mehr aufbereitet werden oder ist technisch defekt. “Eine Entsorgung ist oftmals alternativlos.” Außerdem werden rund eine Million Artikel entsorgt, weil es die Marken- oder Patentinhaber so vorschreiben. Verkaufen Händler nicht aus dem eigenen Lager, sondern nutzen beispielsweise die Dienstleistungen von Amazon, schlägt unverkaufte Ware umso mehr zu Buche. Denn Amazon verlangt bis zu 1000 Euro pro Kubikmeter Warenlagerfläche.
Problem Steuersystem
Wird die Ware zum Ladenhüter oder kann in der retournierten Form nicht mehr lohnenswert verkauft werden, wäre es naheliegend sie zu spenden. Doch dort wartet das deutsche Steuersystem mit einer Krux auf: Das TV-Magazin Frontal 21 rechnete vor, dass beispielsweise auf eine Warenspende im Wert von 100.000 Euro hierzulande eine Umsatzsteuer von 19 Prozent also 19.000 Euro anfällt. Würde die Ware hingegen entsorgt werden, fielen nur 5000 Euro Kosten für den Besitzer an. Ein Problem stellt oft auch die Wertermittlung dar.
Umweltministerium: mehr Pflichten für Händler
Die verschwenderische Entsorgungspraxis der Online-Händler ist bereits seit längerem bekannt. Den Anstoß zur öffentlichen Diskussion hatte ein Fernsehbeitrag des ZDF-Formats Frontal 21 aus dem Juni 2018 gegeben. Die Reportage prangerte vor allem die Praxis des Online-Händlers Amazon an. Ehemalige und aktuelle Angestellte des Konzerns hatten sich teils anonym an die Journalisten gewandt und von ihren Beobachtungen berichtet.
Seitdem diskutiert auch die Politik über das Problem. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) legte Ländern und Verbänden bereits einen Entwurf vor, der das Kreislaufwirtschaftsgesetz ändern soll. Ziel ist vor allem mehr Transparenz auf Seiten der Händler. Dass Ware vernichtet wird, könne nicht gänzlich verhindert werden. Doch sollten Händler die Fälle zumindest dokumentieren und begründen müssen.
Zudem will Schulze eine Obhutspflicht der Händler einführen, um zu verhindern, dass Artikel ohne werksseitigen Defekt unbrauchbar werden. Transport und Aufbewahrung müssen die Händler dann so gestalten, dass sie lange funktionstüchtig bleiben. Schon in der Produktion soll die Obhutspflicht greifen und dafür sorgen, dass die produzierten Mengen eher der wirklichen Nachfrage entsprechen. Geprüft werde außerdem, ob retournierte Ware, die gespendet wird, von der Umsatzsteuer befreit werden kann.
“Perversion der Wegwerfgesellschaft”
Die Grünen plädieren für ein Verbot, neuwertige Ware zu vernichten. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt beschrieb die Situation gegenüber der Funke-Mediengruppe: “Wir erleben eine Perversion der Wegwerfgesellschaft.” Der Staat müsse eingreifen.
Was aus Sicht der Grünen passieren müsse, hielt die Partei in einem Drei-Punkte-Plan fest: Online-Händlern soll es gesetzlich verboten werden, zurückgeschickte Ware, die noch funktionsfähig ist, zu zerstören. Ware, die nicht mehr verkauft werden kann, aber funktioniert, solle verschenkt werden. Als mögliche Empfänger nennt Göring-Eckardt Sozialkaufhäuser. Als dritte Maßnahme sollen Rohstoffe “zurück in den Werkstoffkreislauf”.
Vor allem die Umsetzung des letzteren Vorschlags macht größere wirtschaftliche und technische Anstrengungen bei der Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft notwendig: Viele Rohstoffe sind so verarbeitet, dass sie nur schwer wieder isolierbar sind. Einige wenige Recyclingbetriebe versuchen sich hierzulande beispielsweise daran, wertvolle Metalle aus Elektronikgeräten zu lösen. Der Aufwand ist groß und wegen der hohen Kosten ist es für die Firmen nicht einfach, wirtschaftlich zu arbeiten. Für die Rohstoffentnahme bei Kleidung gibt es bislang keine sinnvollen technischen Methoden. Stattdessen landet ein Großteil der Ware in Verbrennungsanlagen und dient der Energiegewinnung.
CDU und FDP halten nichts von Verboten
In den vorgeschlagenen Verboten der Grünen sieht die CDU nur moralische Bevormundung. CDU-Bundestagsabgeordneter Georg Nüßlein sagte dazu gegenüber der Rheinischen Post: “Verbote braucht nur der, der sich pharisäerhaft für moralisch maßgebend hält, aber lieber bei anderen anfangen möchte.” Er ärgere sich darüber, dass es Produkte gibt, die nicht hochwertig genug sind, umgepackt zu werden. Deswegen solle ein “Garantiewettbewerb” ausgerufen werden: Bringt ein Hersteller ein neues Produkt auf den Markt, soll dieser verpflichtet werden, einen Zeitrahmen zu nennen, in dem er für die Qualität garantiert. So habe habe der Kunde einen weiteren Qualitätsindikator neben dem Preis.
Details zu ihrem Vorschlag nannte die CDU noch nicht und so bleibt unklar, was mit garantierter Qualität gemeint ist – ob beispielsweise nur die Funktionsfähigkeit gewährleistet sein muss oder weitere Faktoren einfließen sollen. Bei vielen Produktkategorien müssen Verkäufer beziehungsweise Händler schon jetzt durch eine gesetzlich vorgeschriebene Gewährleistung für die Funktionstüchtigkeit bürgen.
Traditionsgemäß sieht auch die FDP wenig Sinn in der staatlichen Regulierung des Problems: Gegenüber des Handelsblatts warnte FDP-Fraktionsvize Michael Theurer davor, “die Verbotskeule zu schwingen”. Dem Umweltschutz werde damit weniger gedient; die geplanten Maßnahmen führten nur zu mehr Bürokratie. Stattdessen sollten die Händler mehr Verantwortung übernehmen etwa mit einer Selbstverpflichtung. Außerdem müssten die Kunden ihr Kaufverhalten hinterfragen.
Recht auf Reparatur und Nachhaltigkeit-Siegel
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace sieht die meisten Vorschläge skeptisch: "Lediglich auf Selbstverpflichtungen der Unternehmen zu setzen ist realitätsfremdes Wunschdenken”, sagt Greenpeace Konsum-Expertin Viola Wohlgemuth. Die NGO fordert ein vollständiges Verbot der Vernichtung neuwertiger und voll funktionstüchtiger Konsumgüter, die steuerliche Förderung von Reparaturdienstleistungen sowie Leih- und Sharing-Systemen sowie ein Recht auf Reparatur, insbesondere bei Elektronikwaren.
Die Bamberger Forschungsgruppe sieht hingegen keine Lösung darin, die Entsorgung der Produkte pauschal zu verbieten. Eine zuverlässige Kontrolle wäre aus ihrer Sicht unmöglich umzusetzen. Zumal kaum festzustellen wäre, ob eine Ware noch funktionsfähig war oder nicht. Stattdessen schlagen die Wissenschaftler vor, Anreize zu entwickeln – zum Beispiel mit der Einführung eines Nachhaltigkeit-Siegels. Auch ein Verzeichnis mit Spendenempfängern könnte den Händler helfen, herauszufinden, welche Organisation welche Art von Gütern auch in kleinen Stückzahlen entgegennimmt.
Gleichzeitig solle die Entsorgung teurer werden, um nicht die Kosten für Spenden zu unterbieten. Als Reaktion auf die öffentliche Kritik erhöhte Amazon im September die Mindestkosten für die Entsorgung von 10 auf 25 Euro-Cent.
Großteil der Retouren verkaufbar
Trotz einer Ausschussquote von vier Prozent bei zurückgeschickten Artikeln, können immerhin 79 Prozent der Retouren als A-Ware, also ohne anzugebende Mängel, weiterverkauft werden. 13 Prozent kommen als sogenannten B-Ware zurück auf den Markt, also mit kleinen Mängeln und reduziertem Preis. Immerhin drei Prozent werden an industrielle Verwerter verkauft oder gespendet. (dpa / hcz)