Studie: Deutschland verpasst Klimaziele für 2022

Kohlekraftwerk
Der Energieträger Kohle erlebte 2022 in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine ein klimaschädliches Comeback. (Quelle: IMAGO / Panama Pictures)

Deutschland hat im Jahr 2022 seine selbst gesteckten Klimaziele verfehlt. Auch der Ausbau erneuerbarer Energien müsse erheblich beschleunigt werden, heißt es in der Untersuchung der Denkfabrik Agora Energiewende. 

Bei Solaranlagen müsse sich die Zubau-Geschwindigkeit den Berechnungen zufolge mehr als verdoppeln, bei Windkraftanlagen an Land mehr als verdreifachen und bei Windparks auf See sogar mehr als verachtfachen. Die Organisation stellte ihre Untersuchung mit dem Titel “Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2022” diesen Mittwoch der Öffentlichkeit vor.

Insgesamt wurden demnach die erneuerbaren Energien im vergangenen Jahr schneller ausgebaut als 2021, und zwar um 9,6 Gigawatt beziehungsweise 61 Prozent mehr als im Vorjahr. Die installierte Gesamtleistung Erneuerbarer betrug Ende 2022 demnach 148,2 Gigawatt. Die Bilanz fällt aber je nach Bereich sehr unterschiedlich aus.

“Kurzfristig hält das Jahr 2022 schlechte Nachrichten bereit: Die Emissionen stagnieren auf viel zu hohem Niveau, der Ausbau der Erneuerbaren Energien stockt noch immer”, bilanziert Agora. Durch eine stärkere Nutzung von Strom sollen klimaschädliche Energieträger zurückgedrängt werden – sei es bei Elektroautos, Wärmepumpen zum Heizen oder in der Industrie.

Kohleverstromung gefährdet Klimaziele

Sorge bereite auch der hohen Ausstoß an Treibhausgasemissionen in Deutschland und die stärkere Nutzung von Kohle, um ausfallende Gaslieferungen aus Russland auszugleichen.

Zwar sei der Energieverbrauch im vergangenen Jahr um 4,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken, unter anderem wegen massiver Preissteigerungen bei Erdgas und Strom und milder Witterung. Der stärkere Einsatz von Kohle und Öl habe die Emissionsminderungen durch Energieeinsparungen jedoch zunichte gemacht. Der Verkehrs- und der Gebäudesektor verpassten ihre Sektorziele erneut. Deutschland habe seine Reduktionsziele für 2022 verfehlt: Die Emissionen hätten bei 761 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten stagniert.

“2022 sind die Klimaziele aufgrund kurzfristiger Maßnahmen für die Energiesicherheit ins Hintertreffen geraten”, kritisierte Agora-Direktor Simon Müller. Im laufenden Jahr müsse die Regierung die Trendwende schaffen.

Der Expertenrat der Bundesregierung hatte bereits im Herbst gewarnt, dass Deutschland auch seine Klimaziele für das Jahr 2030 zu verfehlen drohe. Bis dahin soll eigentlich der Ausstoß an Treibhausgasen um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken. Zudem sollen bis dahin 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne gedeckt werden.

Steigerungen – von zu niedrigem Niveau

Den größten Zuwachs bei den erneuerbaren Energien gab es im vergangenen Jahr bei Solaranlagen. Insgesamt wurden nach vorläufigen Daten Anlagen mit einer Leistung von 7,2 Gigawatt neu in Betrieb genommen, ein Plus von 44 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Um das im Erneuerbare-Energien-Gesetz festgeschriebene Kapazitäts-Ziel von 215 Gigawatt bis 2030 zu erreichen, wäre ab 2023 ein Zubau von durchschnittlich 18,6 Gigawatt jährlich nötig, rechnet Agora vor.

Bei Windrädern an Land kam im vergangenen Jahr eine Kapazität von 2 Gigawatt hinzu, rund 21 Prozent mehr als im Jahr davor. Das war die dritte Steigerung in Folge, allerdings von einem niedrigen Niveau. Um das 2030-Ziel von 115 Gigawatt zu schaffen, müssten pro Jahr Anlagen mit einer Kapazität von rund 7,1 Gigawatt entstehen.

Schleppend ging es bei Windenergie auf See voran, mit nach vorläufigen Daten nur 0,3 Gigawatt neuer Kapazität 2022. Bis 2030 sollen es laut Windenergie-auf-See-Gesetz mindestens 30 Gigawatt werden, was einen jährlichen Zubau von durchschnittlich 2,7 Gigawatt entspräche.

Mehr Flächen für Windkraft

Die Bundesregierung hatte im Juli 2022 umfangreiche Gesetzesänderungen für einen schnelleren Ausbau beschlossen. So sollen 2 Prozent der gesamten Landesfläche für Windräder ausgewiesen werden. Die Länder sollen in den kommenden Jahren mehr Flächen bereitstellen. Für jedes Land gelten – je nach Voraussetzungen – aber unterschiedliche Zielwerte.

Agora hält neben mehr Flächen für die Windkraft auch die Ausweisung so genannter Go-To-Areas für nötig – Gebiete, die als grundsätzlich geeignet für Windkraftanlagen gelten und in denen dies deshalb nicht für jedes neue Projekt einzeln festgestellt werden müsste. Auch müsse der Bau in Außenbereichen von Städten einfacher werden.

Habeck sagte Ende Dezember, die Entwicklung zeige “in die richtige Richtung”. Wenn es um den Ausbau der erneuerbaren Energien geht, käme man aber aus dem “Tal der Tränen”, fügte der Minister hinzu und spielte damit auf die Energiepolitik seiner Vorgänger an. (dpa / hcz)