Türkei verweigert unabhängigen Journalisten Akkreditierung

Demonstranten in der Türkei halten Schilder in Form einer Pressekarte hoch (2017)
Reporter ohne Grenzen wirft den Behörden vor, kritischen Journalisten die Akkreditierung zu entziehen, während regierungsfreundliche Medienschaffende keine Probleme hätten, sie zu erhalten. (Quelle: IMAGO / Depo Photos)

In den vergangenen drei Jahren wurden in der Türkei mehr als 1300 Anträge auf Pressekarten abgelehnt, berichtet Reporter ohne Grenzen (RSF). Die Organisation kritisiert diese Entscheidungen als willkürlich. Die zuständigen Behörden würden damit kritische Medienschaffende unter Druck setzen und die Berichterstattung einschränken.

Nach Angaben von RSF können Journalistinnen und Journalisten in der Türkei ohne Pressekarte nicht von Pressekonferenzen des Präsidenten berichten. Die Polizei kann sie außerdem daran hindern, Straßeninterviews zu führen. Seit Ende April ist es Journalisten ohne diese Akkreditierung zudem untersagt, Polizeieinsätze bei Demonstrationen zu filmen.

Betroffen seien auch ausländische Medienschaffende. In ihrem Fall sei die Pressekarte nicht nur Arbeitserlaubnis, sondern in der Regel auch die Voraussetzung für ihre Aufenthaltsgenehmigung. Ein aktuelles Beispiel: Der Nahost-Korrespondent des Magazins Stern, Jonas Breng. Er konnte nicht nach Istanbul entsandt werden, weil ihm die türkischen Behörden die Akkreditierung verweigerten – eine Begründung dafür habe es laut Verlag nicht gegeben. Seit Juli berichtet Breng nun von Athen aus. Der deutsche RSF-Geschäftsführer Christian Mihr kritisierte die Entscheidung: “Anstatt unabhängige Auslandsberichterstattung einzuschränken, müssen die türkischen Behörden […] dafür sorgen, dass der Korrespondent Jonas Breng in der Türkei frei arbeiten kann.”

Korrespondenten mussten Türkei verlassen

Bereits im März 2019 mussten der Tagesspiegel-Korrespondent Thomas Seibert sowie der ZDF-Korrespondent Jörg Brase die Türkei zwischenzeitlich verlassen, nachdem die Behörden ihnen ihre Arbeitserlaubnis entzogen hatten. Mihr hatte den Akkreditierungsentzug damals als “Feldzug gegen die Medienvielfalt” kritisiert. Gut einen Monat später hatten die beiden Korrespondenten ihre Pressekarten doch noch erhalten.

RSF nennt aber auch Fälle, in denen türkischen Medienschaffenden die Pressekarte seit längerem verweigert wird: So habe der Journalist Mustafa Sönmez seit November 2019 keine Akkreditierung. Gegen ihn laufe unter anderem ein Verfahren wegen “Beleidigung des Präsidenten”. Im Mai hatte ein Verwaltungsgericht in Ankara jedoch angeordnet, ihm eine Pressekarte auszustellen. Er erfülle alle Kriterien für eine dauerhafte Akkreditierung.

Auch die Journalistin Nadire Mater hat seit zwei Jahren keine Pressekarte und ist deswegen vor Gericht gegangen. In ihrem Fall steht eine Entscheidung noch aus. Sie hatte ein Buch veröffentlicht, in dem Soldaten den Kampf gegen bewaffnete kurdische Separatisten beschreiben. Daraufhin wurde ihr die “Verunglimpfung von Sicherheitskräften” vorgeworfen. Im Jahr 2000 wurde sie von diesem Vorwurf freigesprochen.

“Reine Schikane”

RSF-Geschäftsführer Mihr nannte die Praxis der Behörden “reine Schikane”, mit der kritische Journalistinnen und Journalisten bestraft würden. “Wir fordern eine unabhängige Instanz, damit die voreingenommene Vergabe von Pressekarten endlich ein Ende hat.”

RSF berichtet, dass sich die Situation seit dem Putschversuch im Juli 2016 verschärft habe: Seitdem wurden rund 2000 Pressekarten annulliert, unter anderem von pro-kurdischen Pressevertretern. Regierungsfreundliche Medienschaffende würden Pressekarten erhalten, trotz Hassrede, Desinformation oder Hetze gegen Menschenrechtler, kritisiert die Organisation.

Seit 2018 ist die Präsidialdirektion für Kommunikation (CIB) für die Akkreditierungen in der Türkei zuständig. Alleine in dieser Zeit seien 1371 der 10.486 eingereichten Akkriditierungsanträge abgelehnt worden. Zudem habe die Behörde seit 2019 mehr als 1200 Presseausweise annulliert. Der Chef der türkischen Journalistengewerkschaft TGS schätzt, dass nur ein Viertel der 25.000 Journalistinnen und Journalisten in der Türkei eine Pressekarte besitzt.

“Wenig zufriedenstellende” Richtlinie

Der Staatsrat hatte 2020 entschieden, dass die vagen Richtlinien für die Verweigerung einer Pressekarte geeignet seien, “ein Klima der Einschüchterung für Journalistinnen und Journalisten zu schaffen”. Einer der Gründe war beispielsweise, wenn Personen “die Ehre des Berufsstandes untergraben oder gegen ihn handeln”. Anlass für die Entscheidung war die Beschwerde eines türkischen Journalistenverbands.

Ende Mai hat das CIB eine neue Richtlinie verabschiedet, die aus Sicht von Reporter ohne Grenzen jedoch “wenig zufriedenstellend” ist. Demnach wird Medienschaffenden bereits die Pressekarte entzogen, wenn sie nach einem Monat Arbeitslosigkeit keine neue Arbeitsstelle finden. Zudem könne ein Sonderkomitee darüber entscheiden, Journalisten die Pressekarte zu entziehen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 153 von 180 Staaten. Reporter ohne Grenzen hat Einschränkungen der Pressefreiheit in dem Land wiederholt kritisiert: Im Juni etwa hatte die Organisation berichtet, dass sich derzeit mindestens zwölf Medienschaffende in der Türkei auf Grundlage des dortigen Antiterrorgesetzes vor Gericht verantworten müssen. Die Regierung kontrolliere mittlerweile rund 90 Prozent der nationalen Medien. (js)